Der Vater der sowjetischen Wasserstoffbombe

Andrei Sacharow

Andrei Sacharow
Sacharows Lebensweg als Entwickler von Kernwaffen war außergewöhnlich. © American Institute of Physics

Vom Erfinder von Kernwaffen für die Sowjetunion zum Menschenrechtler: Die Lebensgeschichte des russischen Wissenschaftlers Andrei Dmitrijewitsch Sacharows ist von Widersprüchen geprägt. Dennoch folgte der Physiker stets konsequent seinem Gewissen – selbst als ihn dies zum „Staatsfeind Nummer 1“ machte.

Das Leben von Andrei Sacharow besteht scheinbar aus zwei Hälften: Am Anfang stand das Leben als genialer Physiker, der Sowjetrussland zur Wasserstoffbombe verhalf. Neben der Entwicklung von Kernwaffen arbeitete Sacharow jedoch auch an Fusionsreaktoren zur zivilen Nutzung der Kernenergie und an Problemen der Kosmologie. Das von ihm entwickelte Tokamak-Prinzip ist noch heute Basis zahlreicher Fusionsreaktoren in der Forschung.

In der zweiten Hälfte seines Lebens setzte sich Sacharow konsequent für Abrüstung, dem Kampf um Menschenrechte und die freie Rede in der Sowjetunion ein. Dies brachte ihm nicht nur den Friedensnobelpreis, sondern auch Ärger der sowjetischen Staatsmacht ein. Zeitweilig galt er sogar als „Staatsfeind Nr. 1“ der Sowjetunion. Heute ist er nicht nur als Physiker, sondern vor allem als Dissident und Menschenrechtler bekannt.

Die Anfänge im neuen Sowjetstaat

Ein schwieriger Start

Als Andrei Sacharow 1921 als Sohn einer Intelligenzija-Familie zur Welt kam, deutete bereits einiges auf seinen späteren Werdegang als Physiker hin. Bereits der Vater war Physiklehrer und Verfasser populärwissenschaftlicher Lehrbücher. Schon früh lehrte er seinen Sohn im Heimunterricht die Grundlagen der Naturwissenschaften und begeisterte ihn für die klassische Mechanik und Optik.

Studium im zweiten Weltkrieg

Für Sacharow folgte nach der Schulzeit daher fast wie selbstverständlich das Studium der Physik an der Lomonossow-Universität in Moskau. Dort konnte er seine Begabung ausleben, physikalische Probleme löste er im Nu. Allerdings hatte er in den Seminaren oft Probleme, seine Lösungen darzustellen. Die anderen Studenten bemerkten auch, wie unbeholfen und introvertiert er war. „Der arme Junge, er ist so gehemmt, was soll nur aus ihm werden?“, so ein ehemaliger Kommilitone, als er Sacharow zum ersten Mal sah.

Sacharow als junger Student im Alter von 22 Jahren. © American Institute of Physics

Doch das sollte die geringste Sorge des Studenten sein, denn am Horizont zogen dunkle Wolken auf: Hitler-Deutschland überfiel 1941 die Sowjetunion. Als die deutschen Truppen bereits vor den Toren Moskaus standen, wurde die Universität ins weit entfernte Aschgabat in Turkmenistan verlegt. Nach einer wegen des Krieges verkürzten Studienzeit von nur vier Jahren beendete Sacharow sein Studium.

Arbeit in der Munitionsfabrik

Von seinem Dozenten wurde Sacharow nach der Abschlussprüfung gefragt, ob er als Aspirant beim berühmten theoretischen Physiker Igor Tamm am Lebedew-Institut in Moskau anfangen wolle. Überraschenderweise lehnte er ab, denn er wollte stattdessen lieber seinen Beitrag im Krieg gegen die Deutschen leisten. Da er wegen eines Herzklappenfehlers ausgemustert wurde, konnte er nicht Soldat werden und dies nagte an ihm. „Ich spürte, dass ich einen Beitrag zu den Kriegsbemühungen leisten konnte – auch wenn ich noch keine klare Vorstellung davon hatte, was für einen“, beschreibt Sacharow seine damalige Motivation.

In der Munitionsfabrik Uljanowsk sammelte der junge Physiker seine ersten praktischen Erfahrungen, indem er neue Prüfverfahren zur Qualitätskontrolle von panzerbrechenden Geschossen entwickelte. 1945 war mit dem Kriegsende aber der Punkt erreicht, an dem sich Sacharow wieder der Grundlagenforschung zuwenden konnte. Er ging zurück nach Moskau und wandte sich unter der Leitung Igor Tamms Fragen der Plasma- und der Teilchenphysik zu.

Kernwaffenentwicklung unter strengster Geheimhaltung

Kernforschung in Arsamas-16

Dass die Kernphysik das 20. Jahrhundert verändern sollte, zeigte sich spätestens mit dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 durch die Amerikaner. Auch Sacharow war die Bedeutung dieser Ereignisse klar: „Etwas Neues und etwas Furchtbares war in unser Leben getreten, und zwar durch die große Wissenschaft, die ich so sehr huldigte.“

Spätestens mit dem Abwurf von Atomwaffen auf Japan begann das Wettrüsten zwischen USA und UdSSR. © Charles Levy /CC-by-sa 3.0

Anfragen des Geheimdienstes

Da es damals in der Sowjetunion nicht allzu viele Physiker auf dem Gebiet der Kernphysik gab, ließen Anfragen des Geheimdiensts nicht lange auf sich warten. Er wollte Sacharow für den Bau sowjetischer Nuklearwaffen einspannen. Anfragen in 1946 und 1947 lehnte Sacharow noch ab, da er sich nicht zu weit von der Grundlagenforschung und von seinem Mentor Tamm entfernen wollte.

Doch im Jahr 1948 konnte der Physiker nicht mehr ablehnen: Tamm bat Sacharow und andere Studenten nach einer Vorlesung, noch zu bleiben. Er teilte ihnen mit, dass die Sowjetregierung ihn und sie, die besten seiner Studenten, für die Entwicklung thermonuklearer Waffen vorgesehen habe.

Kopie der Spaltungsbombe

Am Anfang konnten Tamm und Sacharow noch von Moskau aus arbeiten, später verrichteten sie ihr Werk im geheimen Institut der geschlossenen Stadt „Arsamas-16“, die offiziell nicht existierte und von sämtlichen Landkarten verschwand. Die Priorität des sowjetischen Atombombenprojekts lag zunächst nicht in der Entwicklung thermonuklearer Waffen, sondern im Bau einer „klassischen“ Atombombe unter Leitung von Kurtschatow, um im Wettlauf gegen die USA aufzuholen.

Bei Atombomben werden die Atomkerne des Uranisotops U-235 durch Neutronen in zwei kleinere Kerne gespalten. Bei dieser Reaktion entstehen weitere Neutronen, die eine Kettenreaktion in Gang setzen und enorme Mengen an Energie freisetzen können. Die Folge ist eine Explosion wie bei der Bombe, die auf Hiroshima fiel.

Durch die Hilfe von Spionen wie Klaus Fuchs konnten die Sowjets die Atombombe schätzungsweise ein Jahr früher fertigstellen. © Charles Levy /CC-by-sa 3.0

Dank Atomspionen wie Klaus Fuchs, Theodore Hall oder Oscar Seborer, die das US-Atomwaffenprogramm in Los Alamos auspionierten, verfügten die sowjetischen Kernphysiker über einige Informationen zum Aufbau der US-Atombomben. Dadurch gelang es ihnen, die erste sowjetische Atombombe nach nur vier Jahren fertigerstellen. Im August 1949 wurde sie erfolgreich getestet.

Eine neue Art der Kernwaffe

Den Sowjets war jedoch auch bekannt, dass die USA an einer neuen Art von Kernwaffen arbeiteten, einer Wasserstoffbombe. Bei diesen thermonuklearen Bomben werden die Kerne der leichten Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium zur Fusion gebracht. Dieser Prozess setzt noch mehr Energie frei als bei einer Spaltungsbombe.

Doch die Physiker wussten, wenn die Wasserstoffkerne verschmelzen sollen, müssen sie erst einmal ihre elektrostatische Abstoßung überwinden. Die dazu erforderlichen Temperaturen können nur durch die Zündung einer Kernspaltungsbombe erreicht werden. Dafür reicht es aber nicht, eine Atombombe einfach mit schwerem Wasserstoff zu ummanteln, denn der würde bei der Explosion weggefegt werden, bevor es zur Fusion kommen kann. In den USA lösten Physiker um Edward Teller das Problem durch eine spezielle Form des Bombengehäuses und der Sprengsätze.

Sacharow im Gespräch mit Kurtschatow, dem Leiter des sowjetischen Atomwaffenprogramms. © American Institut of Physics

Bombe im Zwiebelschalen-Design

Doch Sacharow kam auf eine eigene Idee, die vielversprechender schien als das Röhrendesign der Amerikaner. Bei seinem Aufbau ist das Fusionsmaterial aus Lithiumdeuterid wie in einem Sandwich von zwei Schichten aus spaltbarem Uran umgeben. Kommt es zur Zündung der Spaltbomben, wird das Lithiumdeuterid so stark komprimiert und erhitzt, dass es zur Fusion kommt. Inspiriert vom schichtweisen Aufbau wird dieses Design auch Slojka (russisch für Blätterteig) genannt.

Der Test am 12. August 1953, bei dem zwanzig Mal so viel Energie wie bei der Hiroshima-Bombe freigesetzt wurde, war ein voller Erfolg. Er brachte Sacharow neben zahlreichen Auszeichnungen wie dem Stalinpreis und der Auszeichnung als Held der sozialistischen Arbeit auch Kontakte in die höchsten Kreise der UdSSR. Mit 32 Jahren wurde er schließlich jüngstes Mitglied in der Russischen Akademie der Wissenschaften.

Forschung für Fusionsreaktoren und die Kosmologie

Jenseits der Bombe

Sacharow entwickelte in Arsamas-16 auch das Tokamak-Prinzip für Fusionsreaktoren. © American Institut of Physics

Neben dem Bau der Wasserstoffbombe blieb Andrei Sacharow auch Zeit für die reine Wissenschaft. So entwickelte er mit Tamm während seiner Zeit in Arsamas-16 das Tokamak-Prinzip für künftige Fusionsreaktoren. Tokamak ist die russische Abkürzung für „Torroidale Kammer in Magnetspulen“. In einer solchen Kammer wird das heiße Plasma aus Wasserstoffisotopen mit Magnetfeldern eingesperrt und komprimiert, bis es zur Kernfusion kommt.

Auf diese Weise kann die Energie, die beim Fusionsprozess frei wird, für die Energieerzeugung zu zivilen Zwecken eingesetzt werden. Noch heute ist die Tokamak-Anordnung die Basis mehrerer experimenteller Fusionsreaktoren in der Forschung. Zu den größten Anlagen dieser Art gehören unter anderem der Joint European Torus (JET) in Großbritannien und der noch im Bau befindliche europäische Fusionsreaktor ITER in Frankreich.

Kalte Fusionsprozesse

Eine andere Idee Sacharows, um Fusionsreaktoren zu realisieren, erwies sich leider als Fehlschlag: die myonenkatalysierte oder kalte Fusion. Myonen sind schwerere „Verwandte“ der Elektronen. Nach Vorstellung des Physikers könnten sie dabei helfen, die extremen Temperaturen, die für eine Fusionsreaktion nötig sind, zu reduzieren.

Auch heute noch funktionieren experimentelle Fusionsreaktoren nach dem Tokamak-Prinzip, wie ITER in Frankreich. © Charles Levy /CC-by-sa 3.0

Die Idee dahinter: Da das Myon schwerer ist als das Elektron und der Bahnradius mit steigender Masse abnimmt, hält sich dieses Teilchen sehr viel näher am Wasserstoffkern auf. Dadurch lassen sich diese Atomkerne einfacher verschmelzen. Doch wie Tests ergaben, bleibt das Myon in der Praxis aber zu oft an einem der Zwischenprodukte der Kernfusion haften, sodass keine Nettoenergie aus diesem Prozess gewonnen werden kann.

Ein rätselhaftes Universum

Nach seiner Zeit im Kernwaffenprojekt wandte sich Sacharow auch der Kosmologie zu. Im Fokus seiner Überlegungen stand dabei die Frage, warum es im Universum heute weit mehr Materie als Antimaterie gibt. Denn beim Urknall hätte theoretisch zu jedem Teilchen ein Antiteilchen gleicher Masse aber quasi spiegelbildlicher Ladung und Spin entstehen müssen. Stattdessen aber müssen die Bedingungen im frühen Universum dafür gesorgt haben, dass die Materie überwog – sonst hätten sich Materie und Antimaterie gegenseitig komplett wieder ausgelöscht.

Sacharow war der erste, der die notwendigen Bedingungen für dieses Ungleichgewicht erkannte und formulierte. Die drei von ihm aufgestellten Kriterien werden daher heute als Sacharowkriterien bezeichnet. Zu ihnen gehört auch die Verletzung der Ladungs-Parität (CP), die sich durch winzige Unterschiede im Zerfallsverhalten von Teilchen und ihren Antiteilchen bemerkbar machen kann. Erste Hinweise auf eine solchen CP-Verletzung haben Physiker vor wenigen Jahren nachgewiesen.

Sacharows Gewissen meldet sich

Der Weg zum Dissidenten

Während seiner Arbeit am sowjetischen Kernwaffenprojekt wussten Sacharow und die anderen Physiker zwar, an welch schrecklichen Massenvernichtungswaffen sie arbeiteten. Doch sie handelten aus patriotischem Pflichtgefühl. Sacharow erklärt die damalige Stimmung folgendermaßen: „Doch der Krieg war noch nicht lange vorbei, und er war ebenfalls unmenschlich gewesen! In jenem Krieg war ich kein Soldat, aber nun fühlte ich mich als Soldat des wissenschaftlich-technischen Krieges.“ Die Physiker waren auch der Meinung, dass nur ein nukleares Gleichgewicht zwischen den Supermächten die Welt vor der totalen Zerstörung bewahren kann.

Der Test der Zar-Bombe verursachte die größte jemals von Menschen verursachte Explosion. Für Sacharow war der Test eine persönliche Tragödie. © Charles Levy /CC-by-sa 3.0

Ein paar tausend Tote zu viel

Doch der Test von einem seiner „Produkte“ im Jahre 1955, bei dem zwei Zivilisten starben, darunter ein zweijähriges Mädchen, führte bei Sacharow zu einem Umdenken. Er beschäftigte sich auch immer stärker mit der Frage, wie stark die Umwelt durch das freigesetzte radioaktive Material verseucht wurde und wie viele Menschen dadurch zu Tode kommen. Seinen Berechnungen zufolge könnte der Fallout durch die Kernwaffentests der Sowjetunion und der USA pro Megatonne indirekt für 10.000 Todesfälle durch Krebs und andere Spätfolgen verantwortlich sein.

In der folgenden Zeit wandte sich der Physiker daher wiederholt an den damaligen Regierungschef Chruschtschow, um Tests von Atomwaffen in der Atmosphäre oder zumindest den unnötige Doppeltest von fast baugleichen Bomben, die der reinen Machtdemonstration dienten, zu beenden. Doch umsonst: am 30. Oktober 1961 explodierte die Zar-Bombe, die von Sacharow entwickelt wurde, über Nowaja Semlja. Der Physiker konnte die Schuld nun nicht mehr ertragen: „Ein Gefühl, der Ohnmacht, der unerträglichen Bitterkeit, der Scham und Erniedrigung erfasste mich. Ich fiel mit dem Gesicht auf den Tisch und weinte“, berichtet er.

Ein verhängnisvolles Essay

Sacharow wandte sich zunehmend gegen die Doktrin der kommunistischen Partei. Seine Position wurde radikaler und er begann die Arbeit an seinem Essay „Gedanken über Fortschritt, friedliche Koexistenz und geistige Freiheit“. Geprägt wurde das Werk auch von den Eindrücken des später von der roten Armee niedergeschlagenen Prager Frühlings, in dem ein neuer, liberaler Weg des Kommunismus in der Tschechoslowakei diskutiert wurde.

Die Niederschlagung des Prager Fühlings durch die Rote Armee begrub sämtliche Hoffnung auf einen liberalen Weg des Kommunismus. © Charles Levy /CC-by-sa 3.0

In den „Gedanken“ legt Sacharow die aus seiner Sicht größten Gefahren für die Menschheit dar: das Risiko eines Krieges mit thermonuklearen Waffen, Umweltverschmutzung und Hungersnöte durch Überbevölkerung. Für die Lösung der Probleme sei eine Annäherung und Verschmelzung zwischen kapitalistischem und sozialistischem System notwendig, schreibt er. Der Sozialismus habe der Arbeiterklasse enorme Vorteile verschafft. Jedoch müsse geistige Freiheit, Achtung der Menschenrechte und Abrüstung die Basis eines jeden Systems sein. Gegen Ende des Texts fordert Sacharow zudem die Freilassung politischer Häftlinge.

Verrat am Sozialismus

Veröffentlich wurde das Essay im Samisdat (russisch für Selbstverlag) – eine verbreite Form der Verteilung von Oppositionsschriften in Russland. Kopien des Werks schafften es sogar in den Westen und die „Gedanken“ wurden in der New York Times abgedruckt. Das KGB hingegen war alles andere als begeistert: Die Verschmelzung beider Systeme war aus ihrer Sicht Verrat am Sozialismus. Als Folge dessen verlor Sacharow seine Stelle im Kernwaffenprojekt.

Friedensnobelpreis, Verbannung und späte Freiheit

Nobelpreis und Verbannung

Die zweite Hälfte im Leben Sacharows war weitestgehend vom Kampf um die Demokratisierung Sowjetrusslands geprägt. So schrieb er Briefe an die Regierung, in denen er die Freilassung von gewaltsam in der Psychiatrie festgehaltener Dissidenten forderte und gründete zusammen mit Waleri Tschalidse und Andrei Twerdochlebow das Menschenrechtskomitee der UdSSR. Er wohnte auch Gerichtsprozessen gegen Dissidenten bei, die unter anderem wegen Besitz und Verbreitung seines Essays angeklagt waren. Bei einem dieser Prozesse lernte er seine spätere zweite Ehefrau, die Menschenrechtsaktivistin Jelena Bonner kennen, die seine Arbeit in den nächsten Jahren prägen und unterstützen sollte.

In seinem Kampf um die Menschrechte schonte Sacharow auch sich selbst nicht. 1974 trat er während eines Besuchs des US-Präsidenten Nixon in den Hungerstreik, um auf die Situation politischer Gefangener in der UdSSR aufmerksam zu machen. Für seinen Kampf um Menschenrechte bekam er 1975 schließlich den Friedensnobelpreis. Das KGB erlaubte ihm jedoch nicht, ins Ausland zu reisen, um den Preis entgegenzunehmen. Durch seine Arbeit am Atomwaffenprojekt sei er schließlich Geheimnisträger. Jelena Bonner nahm den Preis in Oslo stellvertretend entgegen.

Verbannung nach Gorki

Auch nach der Vergabe des Preises kämpfte Sacharow trotz der Repressalien des KGB gegen das autoritäre System der UdSSR. Den Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan verurteilte er aufs Schärfste. Da er sich dazu auch gegenüber westlichen Journalisten äußerte, galt er inzwischen als „Staatsfeind Nr.1“. Das Politbüro entschloss sich deshalb 1980 dazu, ihn in die geschlossene Stadt Gorki (heute: Nischni Nowgorod) zu verbannen.

In diesem Plattenbau lebte Sacharow während seiner Verbannung nach Gorki. Heute befindet sich in der Wohnung das Sacharow-Museum. © Charles Levy /CC-by-sa 3.0

Da die Stadt für Ausländer gesperrt war, hatte Sacharow – ganz nach Plan des KGB – keinen Kontakt mehr zu ausländischen Journalisten. Sieben Jahre sollte er in diesem Exil verbringen. In dieser Zeit schrieb er weiter Briefe an Aktivisten und Regierungsstellen und auch seine Memoiren, die ihm drei Mal vom KGB gestohlen wurden.

Gorbatschows Anruf

Im Jahr 1986 änderte sich mit der liberalen Politik Michail Gorbatschows auch Sacharows Schicksal. Im Dezember des Jahres teilte Gorbatschow ihm telefonisch mit, dass seine Verbannung aufgehoben sei. Sacharow sagte ihm, dass er „unendlich dankbar für diese Entscheidung“ sei. Glasnost – die offene Berichterstattung und Meinungsäußerung – und Perestroika – der Umbau der sozialistischen Gesellschaft – prägten die folgenden Jahre und führten letztendlich zum Zerfall der Sowjetunion.Sacharow, der zuvor noch als Staatsfeind galt, konnte sich nun aktiv politisch beteiligen und wurde sogar als Politiker in den Kongress der Volksdeputierten gewählt. Am 14.Dezember 1989 starb er an einem Herzinfarkt.

Was bleibt?

Sacharow war ein Physiker, der von ähnlichen moralischen Gewissensbissen wie Robert Oppenheimer, der Vater der US-Atombombe, geplagt wurde. Auch dieser hatte moralische Bedenken über den Einsatz von Atomwaffen. Und er wurde im kapitalistischen System der USA während der McCarthy-Ära aufgrund seiner „kommunistenfreundlichen“ Haltung von seinen Pflichten als Leiter des Kernwaffenprogramms entbunden.

Den Bau der Wasserstoffbombe hielt Sacharow für gerechtfertigt, da das Gleichgewicht des Schreckens nach seiner Meinung den dritten Weltkrieg verhindert hat. Unnötige Test von Atomwaffen lehnte er jedoch ab, dabei folgte er konsequent seinen moralischen Prinzipien. Nach ihm ist heute unter anderem der Sacharow-Preis der EU benannt, der für die Verteidigung von Menschenrechten verliehen wird. Vor allem hat er aber Fragen hinterlassen, die auch heute noch kontrovers diskutiert werden: Hat das Gleichgewicht des Schreckens wirklich einen dritten Weltkrieg verhindert? Kann die Energieversorgung der Zukunft durch die Kernfusion erfolgen? Wie kann man den Bedrohungen der Menschheit entgegenwirken?
Vor allem aber zeigte er, dass man als Humanist die Wissenschaft in den Dienst der Menschheit stellen kann, unabhängig vom Staatssystem, in dem man lebt.