Das Geheimnis der Ediacara-Fauna

Generalprobe des Lebens

Ediacara-Fauna
Fremdartige Lebenswelt: Die Organismen des Ediacariums waren vermutlich die ersten mehrzelligen Tiere, hatten aber kaum Ähnlichkeit mit später nachfolgenden Tiergruppen. © Peter Trusler / University of Cambridge

Vor rund 570 Millionen Jahren machte die Evolution ihren ersten großen Sprung – von Mikroben zu großen, vielgestaltigen Organismen. Doch diese bizarren Wesen hatten keinerlei Ähnlichkeit mit heutigen Tiergruppen – und sie verschwanden genauso abrupt wie sie gekommen waren. Bis heute rätseln Forscher über verlorene Lebenswelt des Ediacariums. War sie eine „Generalprobe“ der Evolution?

Die Ediacara-Fauna war vor allem eines: ziemlich fremdartig. Einige dieser Wesen glichen halbaufgepumpten Luftmatratzen, andere fraktalen Farnen oder elliptischen Blasen. Lange war deshalb umstritten, ob es sich überhaupt um Lebensformen handelt. Inzwischen aber mehren sich die Indizien dafür, dass einige dieser bizarren Kreaturen sogar schon erstaunlich fortschrittlich waren. Sie besaßen tierische Merkmale, konnten sich gerichtet bewegen und bildeten schon urzeitliche Fraßgemeinschaften.

Doch so vielfältig diese Lebenswelt auch war: Mit dem Beginn des Kambriums verschwand die Ediacara-Fauna nahezu vollständig – nicht einmal Nachfahren dieser Organismen lassen sich unter den Fossilien finden. An ihre Stelle traten ganz neue Lebewesen, aus denen sich später alle modernen Tiergruppen entwickelten. Was jedoch aus der Tierwelt des Ediacariums wurde, ist bis heute rätselhaft.

Die Entdeckung der Ediacara-Fauna

Überraschender Fund

Die Anfänge des Lebens auf der Erde liegen bis heute weitgehend im Dunkeln. Wir kennen weder den genauen Zeitpunkt, an dem die ersten Zellen entstanden, noch die Umstände ihrer Entwicklung. Klar scheint nur, dass die Organismenwelt unseres Planeten mehr als zwei Milliarden Jahre lang einen gemeinsamen Nenner hatte: Die Lebewesen blieben einzellig und mikroskopisch klein.

Kambrische Tierwelt
in der kambrischen Explosion entstanden die Urahnen aller heutigen Tiergruppen – aber was war davor? © dottedhippo/ iStock.com

Wie aber entstanden aus diesen Urmikroben die Vorfahren der heutigen Tiere und Pflanzen? Lange vermuteten Paläontologen den Startschuss dieser Entwicklung in der „kambrischen Explosion„. In dieser Phase vor rund 540 Millionen Jahren tauchten plötzlich unzählige neue Mehrzeller-Formen auf. Scheinbar aus dem Nichts entwickelten sich damals nahezu alle Grundbaupläne des Tierreichs – von den Vorfahren der Krebse und Spinnentiere bis zum Urahn aller späteren Wirbeltiere. Bis heute gelten diese urzeitlichen Tiere als die Vorfahren allen tierischen Lebens.

Murrays Entdeckung

Umso überraschender war eine Entdeckung, die der schottische Geologe Alexander Murray im Jahr 1868 machte. Bei einer Expedition nach Neufundland stieß er in einer Gesteinsschicht auf scheibenförmige Fossilien, die ihn an winzige Quallenmedusen oder andere Nesseltiere erinnerten. Denn die mehrere Millimeter bis wenige Zentimeter großen Abdrücke wiesen konzentrische Ringe und radiäre Rippen auf, die auf eine rudimentäre Körpergliederung hindeuteten.

Aspidella
Fossil von Aspidella terranovica, dem ersten bekannten Vertreter der Ediacara-Fauna. © Smith609/ CC-by-sa 3.0

Merkwürdig nur: Diese Fossilien stammten aus einer Schicht unterhalb der kambrischen Ablagerungen. Demnach mussten diese Aspidella terranovica getauften Relikte deutlich älter sein als alle bisher bekannten Lebensformen. Den Datierungen nach stammten sie aus der Zeit vor 550 bis 600 Millionen Jahren. Sollte es demnach im Präkambrium doch schon Urzeittiere gegeben haben?

Tierisches Leben schon im Präkambrium?

Als Murray und der Paläontologe Elkanah Billings diese Theorie der Wissenschaftlergemeinde vorstellten, schlugen ihnen nur Ungläubigkeit und Zweifel entgegen. Einige Forscher hielten die scheibenförmigen Abdrücke für anorganische Ablagerungen, andere sahen darin Strukturen, die durch Gasblasen entstanden waren. An ein Tier aus dem Präkambrium wollte jedoch niemand glauben – und das blieb fast hundert Jahre lang so.

Erst im Jahr 1946 wandelte sich das Bild. Denn dann entdeckten Paläontologen in den Ediacara-Hügeln in Südaustralien gleich mehrere unterschiedliche Fossilformen, die allesamt aus der Zeit vor der kambrischen Explosion stammten. Wenig später stießen Forscher auch in England auf ein farnähnliches Fossil, das eindeutig in präkambrischem Gestein eingebettet war. Damit war klar: Murrays „Scheiben“ waren kein Einzelfall mehr – es muss schon in der Zeit vor mehr als 550 Millionen Jahren größere Lebensformen gegeben haben.

Die Ediacara-Fauna – eine fremdartige Lebenswwelt.© Vanderbilt University

Inzwischen kennen Paläontologen rund 120 verschiedene fossile Spezies aus dieser Ediacarium getauften Zeitperiode. Diese Organismen kamen damals offenbar sowohl in flachen Küstengebieten des Urmeeres vor als auch in der Tiefsee. Doch worum handelt es sich bei diesen bizarren Wesen?

Wie passen diese Wesen in den Stammbaum?

Experiment der Evolution

Im Urmeer vor 570 bis 540 Millionen Jahren tummelt sich eine extrem bizarre Lebenswelt. Einige dieser Wesen aus dem Ediacarium-Zeitalter gleichen einem leeren Sack, andere ähneln einer Scheibe, einem verzweigten Blatt oder einer halbaufgepumpten Luftmatratze. Sogar erste Riffbaumeister gab es damals bereits, wie Fossilfunde nahelegen.

Dickinsonia
Fossil von Dickinsonia costata – Analyswen belegen, dass es scih hierbei schon ein echtes, mehrzelliges Tier handelte. © Verisimilus, wikipedia en/ CC-by-sa 3.0

Einzeller, Flechten oder Tiere?

Doch worum handelte es sich bei diesen Wesen? Waren es überhaupt schon Mehrzeller oder Tiere? Die meisten von ihnen sind so exotisch und fremdartig, dass man sie nicht einmal ansatzweise irgendeiner Großgruppe im Organismenreich zuordnen kann. Ein prominentes Beispiel dieser Rätselwesen ist Dickinsonia. Auf den ersten Blick ähneln diese flachen, ovalen Fossilien dem segmentierten Körper einer Assel oder eines anderen Krebses. Denn auch bei Dickinsonia gehen von einer Mittelachse beidseitig rippenförmige Unterteilungen aus.

Etwas Entscheidendes fehlt allerdings: Obwohl Dickinsonia bis zu 1,40 Meter lang werden konnte, besitzt sie weder Mund, noch Darm oder sonstige erkennbare Organe – und ähnliches gilt für die meisten Ediacara-Spezies. Auf den ersten Blick spricht dies eher gegen ein komplexeres tierisches Lebewesen. „Forscher streiten seit mehr als 75 Jahren darüber, was Dickinsonia war: ein riesenhafter Einzeller, eine Flechte, eines der ersten Tiere oder doch nur ein gescheitertes Experiment der Evolution?“, sagt Ilya Bobrovskiy von der Australian National University.

Eine Antwort auf diese Fragen haben Bobrovskiy und sein Team erst vor kurzem gefunden. Denn es gelang ihnen erstmals, Reste organischer Bestandteile in Dickinsonia-Fossilien zu finden und zu analysieren. Das Ergebnis war überraschend eindeutig: Das Material bestand zu 93 Prozent aus Cholesterin-ähnlichen Molekülen – Verbindungen, die für tierische Lebewesen typisch sind. Damit ist klar: Dickinsonia war ein mehrzelliges Tier.

Warum das Rätselwesen Dickinsonia ein echtes Tier ist.© ANU TV

Vorläufer der modernen Tier-Baupläne?

Wenn aber Dickinsonia und ihre Zeitgenossen schon echte Tiere waren – wo im Stammbaum des Tierreichs soll man sie einordnen? Naheliegend wäre die Vermutung, dass die Ediacara-Fauna ein Vorläufer der kambrischen Lebenswelt war. Dann müssten diese ersten Tiere – so bizarr sie auf den ersten Blick wirken – schon einige Merkmale der modernen Grundbaupläne aufweisen.

Tatsächlich gibt es einige wenige Ediacara-Spezies, die solche Parallelen zeigen. Zu ihnen gehört Kimberella quadrata, ein ovales, von einer gerieften Rückenschale bedecktes Wesen. Die zweiseitige Symmetrie dieses Wesens und Hinweise auf ein klares Vorder- und Hinterende könnten ein Hinweis darauf sein, dass es sich bei ihr bereits um eine frühe Form der Bilateria handelt – der Großgruppe des Tierreichs, zu dem alle höheren Tiere außer Schwämmen, Nesseltieren und Rippenquallen gehören.

Kimberella
Könnte Kimberella quadrata eine Urschnecke gewesen sein? © Masahiro Miyasaka/ CC-by-sa 4.0

Spannend auch: Kimberella könnte wie die heutigen Schnecken schon eine Art Raspelzunge besessen haben, mit dem sie den Untergrund abweidete. Indizien dafür liefert ein rüsselartiger Vorsprung einiger Kimberella-Fossilien, der von versteinerten Kratzspuren umgeben ist. Sollte es sich tatsächlich um ein solches Raspelorgan handeln, dann könnte Kimberella eine Art „Urschnecke“ gewesen sein.

Ausprobiert und verworfen?

Das Problem jedoch: Kimberella ist eher eine Ausnahme unter den Bewohnern des Ediacarium-Meeres. Die meisten anderen Organismen dieser Zeit besitzen Körperformen und Strukturen, die in dieser Form und Kombination nirgendwo sonst im Tierstammbaum auftauchen. Es scheint fast, als hätte die Natur damals noch mit verschieden Grund-Designs herumexperimentiert – und viele der Ediacara-Entwürfe später wieder verworfen. Ob und wie diese fremdartigen Wesen mit späteren Tierformen verwandt sind, ist bisher völlig offen.

Wie ernährten sich die Tiere des Ediacarium?

Fressen ohne Mund und Darm

So fremdartig uns die Wesen der Ediacara-Fauna erscheinen: Es waren schon komplexe Tiere – und als solche mussten sie auch irgendwie Nahrung zu sich nehmen. Aber wie? Ohne Verdauungsorgane und Mundöffnung können diese Urzeitwesen weder Beute gejagt, noch größere Nahrungsbrocken verschlungen haben.

Rangeomorpha
Die farnähnlichen Rangeomorpha ernährten sich vermutlich durch Osmose. © Jennifer Hoyal Cuthill/ University of Cambridge

Osmose statt Beutefraß?

Dennoch schafften es diese immerhin bis zu zwei Meter großen Organismen irgendwie, genügend Nährstoffe aufzunehmen. Zumindest bei einigen Ediacara-Vertretern wie Dickinsonia vermuten Paläontologen, dass sie sich über Osmose ernährten – sie nahmen organische Moleküle direkt aus dem Meerwasser auf. Dabei absorbierte ihre Körperoberfläche diese Moleküle und von dort aus diffundierten sie in tiefere Gewebe.

Zu diesen osmotrophen Lebewesen gehörten damals vermutlich auch die Luftmatratzen-ähnlichen Erniettomorpha. Diese flachen, aus zylindrischen Einzelmodulen aufgebauten Organismen verbrachten ihr Leben wahrscheinlich halb im Meeresgrund eingegraben und nahmen dort organische Nährstoffe auf. Auch die farnartigen Rangeomorpha ernährten sich vermutlich über Osmose. Diese fraktal verzweigten, blattartigen Gebilde waren über einen langen, dünnen Stiel am Meeresgrund verankert.

Drei Arme mit Fortsätzen

Doch es gab auch schon andere Ernährungsstrategien, wie 550 Millionen Jahre alte Fossilien der Ediacara-Art Tribrachidium heraldicum nahelegen. „Dieser Organismus lebte im flachen Wasser und besaß eine dreiseitige Symmetrie, die bei heutigen Tierarten völlig unbekannt ist“, erklärt Imran Rahman von der University of Bristol. Tribrachidium ähnelte einer flachen Scheibe aus drei eingerollten Armen. Bei einigen Vertretern sind zudem Reste von Tentakeln oder ähnlichen Fortsätzen auf den Armrücken erhalten.

Tribrachidium
War Tribrachidium heraldicum schon ein Filtrierer? © Aleksey Nagovitsyn/ CC-by-sa 4.0

Diese Fortsätze weckten die Neugier von Rahman und seinem Team. Denn sie ähnelten auffallend den Fortsätzen, die noch heute viele filtrierende Kleinstorganismen besitzen. Könnte es sich auch bei Tribrachidium um einen frühen Filtrierer handeln? Wäre das der Fall, dann müssten diese Fortsätze das umströmende Wasser an bestimmten Körperteilen konzentrieren – erst das ermöglicht die Anreicherung von Nahrungspartikeln.

Ob das der Fall war, testeten die Forscher mithilfe einer Modellsimulation. Und tatsächlich: Die Armrücken und Tentakel von Tribrachidium lenken den Wasserstrom gezielt zu zwei Gruben seines tellerähnlichen Körpers, wie die Forscher berichten. Damit könnte dieses Urzeitwesen schon ein Filtrierer gewesen sein.

Urzeitliche Tafelrunde

Und nicht nur das: Die Tiere des Ediacarium-Meeres fraßen keineswegs isoliert vor sich hin. Stattdessen bildeten einige von ihnen wahrscheinlich schon Zweckgemeinschaften – eine Art urzeitlicher Tafelrunde. Wenn beispielsweise mehrere Filtrierer nahe beieinander lagen, ergaben sich Synergie-Effekte aus den von ihnen erzeugten Wasserströmungen, wie Simulationen zeigen.

„Sie verstärkten so den Einstrom von Nährstoffen von Individuum zu Individuum“, berichtet Brandt Gibson von der Vanderbilt University. Gleichzeitig konnten die Tiere so ihre Abfallstoffe effektiver mit der Strömung entsorgen. „Damit hatten sie eine richtig gute Dinnerparty: Sie konnten eine Menge essen und mussten nicht in ihrem eigenen Abfall sitzen bleiben“, so Gibson.

Das aber bedeutet, dass die Lebenswelt des Ediacarium deutlich komplexer war als lange angenommen. „Die Organismen des Ediacariums nutzten bereits verschiedene Nahrungsstrategien und spielten damit eine wichtige Rolle als Gestalter ihrer Ökosysteme“, konstatiert Gibsons Kollege Simon Darroch. „So fremdartig diese Lesewesen aussehen mögen – sie haben weit mehr mit den modernen Tieren gemeinsam als wir dachten.“

Fortbewegung und Fortpflanzung im Ediacarium

Kriechende Ovale und schwimmende Keime

Träge über den Meeresgrund driftend oder ganz festgewachsen – die meisten Bewohner des Ediacarium-Ozeans waren vermutlich nicht sonderlich aktiv. Doch es gibt Hinweise darauf, dass einige dieser bizarren Tiere durchaus schon aktiv kriechen oder schwimmen konnten.

Dickinsonia
Das Urtier Dickinsona konnte möglicherweise kriechen. © Apokryltaros/ CC-by-sa 3.0

Verräterische Spuren

Ein Beispiel dafür ist das Urtier Dickinsonia, dessen Fossilien macnhmal von spurenähnlichen Abdrücken begleitet werden – möglicherweise Indizien für eine gerichtete Bewegung. „Zahlreiche Fossilien innerhalb derselben Gemeinschaft zeigten eine zufällige Bewegung, die nicht von bloßen Wasserströmungen verursacht worden sein kann“, erklärt Scott Evans von der University of California in Riverside. Denn wären diese Tiere nur passiv mit der Strömung mitgetragen worden, müssten alle Spuren in die gleiche Richtung zeigen. Das aber war nicht der Fall, wie der Paläontologe und sein Team feststellten.

Zudem schienen sich diese Wesen vorzugsweise mit ihrem Vorderende voraus bewegt zu haben – auch darin sehen die Forscher ein Indiz für eine gerichtete, absichtliche Fortbewegung. Wie Dickinsonia diese Fortbewegung allerdings bewerkstelligte, ist bislang unklar. Evans und seine Kollegen vermuten, dass dieses Tier wie ein Regenwurm durch wechselnde Kontraktion und Entspannung seiner Muskeln vorwärtskroch.

Muskelfasern und Stummelbeine

Tatsächlich gibt es Indizien dafür, dass zumindest einige Vertreter der Ediacara-Fauna bereits Muskeln besaßen. So zeigen die Fossilien von Haootia quadriformis – einem sessilen, tentakeltragenden Lebewesen – auffallende Faserstrukturen, die Paläontologen als Muskelfasern interpretieren.

560 Millionen Jahre alt: versteinerte Muskelfasern von Haootia quadriformis © University of Cambridge

Einige Tiere des Ediacariums könnten sogar schon beinähnliche Fortsätze besessen haben. Darauf deuten Abdrücke hin, die Paläontologen in den USA und kürzlich auch in China entdeckt haben. Diese Spuren bestehen jeweils aus zwei Reihen von rundlichen Dellen. Die Forscher vermuten, dass diese Abdrücke von bilateralsymmetrischen Tieren mit einfachen, paarigen Beinen stammen könnten – möglicherweise einer noch unbekannten Vorform erster Borstenwürmer oder Krebse.

Der Nachwuchs schwamm davon

Auch in puncto Fortpflanzung waren zumindest einige Ediacara-Organismen schon relativ fortschrittlich. So konnte sich die Rangeomorpha-Gattung Fractofusus durch Knospung vermehren, besaß aber auch schwimmfähige Keimstadien, wie Fossilfunde nahelegen. Durch diese rundlichen „Samen“ konnte der normalerweise festsitzende Organismus vermutlich auch entfernte Gebiete kolonisieren.

„Die Fähigkeit dieser Organismen, zwischen zwei verschiedenen Methoden der Reproduktion umzuschalten zeigt, wie raffiniert ihre Biologie schon war“, sagt Emily Mitchel von der University of Cambridge. „Und das zu einer Zeit, als die meisten anderen Lebensformen noch unglaublich simpel waren.“ Allerdings: Abgesehen von dieser Ausnahme ist über die Fortpflanzung der Ediacara-Fauna bislang so gut wie nichts bekannt – und selbst bei Fractofusus ist reichlich Interpretation mit im Spiel.

Warum verschwand die Ediacara-Fauna so abrupt?

Rätsel um Anfang und Ende

Ein weiteres Rätsel der Ediacara-Fauna ist die Frage, woher diese Wesen so plötzlich kamen und was aus ihnen wurde. Was war der Auslöser dafür, dass sich plötzlich aus mikroskopisch kleinen, einzelligen Lebensformen größere, komplexere Organismen entwickelten? Immerhin machte das Leben mit Wesen wie den Rangeomorpha einen Größensprung von gut zwei Metern.

„Diese Organismen erscheinen in den Fossilfunden mit einem Knall – plötzlich sind diese sehr großen Wesen da“, erklärt Jennifer Hoyal Cuthill von der University of Cambridge. „War dies nur ein Zufall oder die direkte Folge von Veränderungen in der Meereschemie?“

Schneeball Erde
Mit Beginn des Ediacariums endet die Zeitperiode der großen Vereisungen, das Cryogenium. © Mikhail Ulianikov/ iStock.com

Sauerstoffschub als Auslöser?

Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass sich die Umweltbedingungen zu Beginn des Ediacariums deutlich änderten: Das Zeitalter der großen Vereisungen endete und die zurückweichenden Gletscher ließen die Meeresspiegel wieder ansteigen. Gleichzeitig strömten nun vermehrt Sedimente und von der Gesteinsverwitterung herausgelöste Mineralstoffe in die Ozeane. Als Folge nahm das Algenwachstum im Meer zu und damit auch die Sauerstoffproduktion.

Für die Lebenswelt im Urmeer bedeutete dies: Plötzlich gab es mehr Nahrung und auch mehr Sauerstoff – und damit wichtige Voraussetzungen, um überhaupt größere Körper zu bilden. Denn um alle Gewebe mit dem Atemgas zu versorgen, muss ein Organismus entweder spezielle Transportmechanismen entwickeln wie Blutgefäße oder Tracheen, oder es muss in der Luft so viel Sauerstoff vorhanden sein, dass sich das Gas mittels Diffusion selbst in dickeren Gewebeschichten verteilen kann.

Im Falle der Ediacara-Fauna scheint vor allem letzteres der Fall gewesen zu sein, denn Atmungsorgane oder einen komplexen Kreislauf besaßen sie wohl noch nicht. „Noch ist es zu früh um zu sagen, welche geochemischen Veränderungen in den Ozeanen des Ediacariums für den Wechsel zu größeren Lebensformen verantwortlich waren“, sagt Hoyal Cuthill. „Aber es gibt einige starke Kandidaten, darunter vor allem gestiegene Sauerstoffwerte.“

Anomalacaris
Vor rund 540 Millionen Jahren gab es einen abrupten Faunewechsel und die Vorfahren heutiger Tiergruppen tauchten auf, hier Anomalacris. © PaleoEquii/ CC-by-sa 4.0

Rätselhaftes Ende

Ungeklärt ist bislang auch, wie und warum das Zeitalter der Ediacara-Fauna endete. Fossilfunde legen nahe, dass der Wechsel zur Fauna des Kambrium relativ abrupt geschah – innerhalb von nur 410.000 Jahren. „Das ist aus geologischer Sicht ein echter Sprint“, berichtet Ulf Linnemann von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen in Dresden. Zudem war der Wechsel radikal: Während davor fast nur die fremdartige Ediacara-Fauna vorkam, findet sich danach keine Spur mehr von ihr. Es gibt kaum Überschneidungen mit der Tierwelt der kambrischen Explosion.

Über die Ursachen dieses nahezu kompletten Faunenwechsels können Paläontologen bis heute nur spekulieren. Einige vermuten dahinter einen Wandel der Umweltbedingungen, beispielsweise durch einen verstärkten Einstrom von Calciummineralen ins Meer. Erst diese „Kalkschwemme“ könnte die Ausbildung von Schalen, Zähnen und Skeletten ermöglicht haben – und damit der Evolution völlig neue Nischen eröffnet haben. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass auch der Sauerstoffgehalt der Ozeane zum Beginn des Kambriums noch einmal deutlich anstieg.

Giftgas und Kontinentbruch

Ein deutlich dramatischeres Szenario zeichnet dagegen eine Schweizer Forschergruppe. Sie hat Indizien dafür gefunden, dass am Ende des Ediacariums plötzlich große Mengen von giftigem Schwefelwasserstoff aus der Tiefsee aufstiegen – möglicherweise durch eine abrupt stärkere Durchmischung der Wasserschichten. Der Schwefelwasserstoff könnte ein Massensterben unter der Ediacara-Fauna ausgelöst haben. Als wenig später der Schwefelwasserstoff abgebaut war und die Meere wieder lebensfreundlicher wurden, besetzten dann neue Organismenformen die freigewordenen Nischen.

Eine Hypothese zur Ursache dieser und anderer Meeresveränderungen am Ende des Ediacariums hat vor kurzem der US-Geologe Ian Dalziel vorgestellt. Er vermutet, dass sich damals der Kontinent Laurentia vom Urkontinent Gondwana abtrennte – später als bislang angenommen. Indizien dafür will er im Gestein der Antarktis gefunden haben. Diese tektonische Rift könnte damals mehr Mineralien und Nährstoffe ins Meer gespült, aber auch die Strömungen verändert haben. Eindeutige Belege für dieses Szenario fehlen jedoch bisher, wie Dalziel einräumt.

Andere Forscher vermuten dagegen hinter dem Faunenwechsel biologische statt geologischer Faktoren. Die Spanne der diskutierten Auslöser reicht dabei von einem Sauerstoffschub durch die ersten Landpflanzen über das Aufkommen erster Prädatoren bis zur direkten Verdrängung durch moderne Lebensformen. Allerdings gibt es auch für diese Hypothesen bislang keine handfesten Belege.

Das Ende der Ediacara-Fauna bleibt damit vorerst ebenso rätselhaft wie ihr Ursprung und ihre Position im Stammbaum des Lebens.