Emerging Diseases und ihr Gefahrenpotenzial

Wann kommt die nächste Pandemie?

Immer wieder treten neue Seuchen und Erreger auf - und einige von ihnen könnten zur Pandemie werden. © CDC, GwenGoat/iStock.com

Ob Schweinegrippe, Ebola oder SARS: Immer wieder kommt es irgendwo auf der Welt zu Ausbrüchen einer Seuche – scheinbar aus dem Nichts. Ist der Erreger noch unbekannt oder mutiert, droht dann im schlimmsten Fall eine Pandemie. Doch woher kommen diese sogenannten Emerging Diseases? Und was kann man gegen ihre Ausbreitung tun?

Der Kampf gegen Infektionskrankheiten gleicht einer Sisyphos-Aufgabe: Kaum hat die Medizin ein Heilmittel gegen einen Erreger gefunden, taucht irgendwo eine neue, unbekannte Seuche auf, gegen die wir nicht gewappnet sind. Wie dramatisch die Folge solcher Emerging Diseases sein kann, demonstriert nicht zuletzt HIV – ein Virus, an dem seit den 1980er Jahren mehr als 35 Millionen Menschen gestorben sind.

Gerade in den letzten Jahren wurde die Menscheit von gleich mehreren neuen Krankheiten und ihren Erregern heimgesucht, die Spanne reicht von Nipah, SARS und MERS bis zum Zika-Virus. Auch bei der Influenza entstehen durch Mutationen der Viren immer neue, gefährliche Stämme. Woher diese neu auftauchenden Seuchen kommen und wann eine Pandemie droht, wird weltweit intensiv erforscht.

Denn eine neue Pandemie scheint nur eine Frage der Zeit. „Es ist nicht so, dass ein ‚Andromeda Strain‘ irgendwann alles Leben auf unserem Planeten auslöschen wird“, sagt Daniel Brooks von der University of Nebraska-Lincoln. „Stattdessen wird es eine Menge lokalisierter Ausbrüche geben, die unsere medizinischen Systeme unter Druck setzen.“ Werde nicht rechtzeitig gehandelt, sei dies gewissermaßen ein Tod der tausend kleinen Schnitte…

Nadja Podbregar
Stand: 02.11.2018

Die erste Pandemie des 21. Jahrhunderts

Der Fall SARS

Sie kam scheinbar aus dem Nichts: Im Winter 2002/2003 erkrankten in Asien plötzlich immer mehr Menschen an einer rätselhaften, neuartigen Lungenentzündung. Sie bekamen hohes Fieber, Husten, Atemnot und ihre Lungen waren stark entzündet. Wie sich zeigte, half kein Antibiotikum gegen die hoch ansteckende Infektion und auch gängige Erreger konnte die Mediziner nicht finden. Nicht wenige Patienten starben.

SARS-Patient in einem chinesischen Krankenhaus © CDC/ Jessie Blount

Von China in die ganze Welt

Während die Ärzte noch über diese seltsam atypische Pneumonie rätselten, breitete sich die neue Krankheit immer weiter aus: Innerhalb weniger Wochen stiegen die Fallzahlen erst im Süden Chinas, dann auch im Rest des Landes, in Hongkong und anderen Ländern Ostasiens. Aus Angst vor einer Ansteckung wagten sich die Menschen kaum mehr auf die Straße, die Metro in Hongkong blieb selbst im Berufsverkehr wie ausgestorben.

Die Weltöffentlichkeit wurde erst im Februar 2003 auf die Epidemie aufmerksam, als ein US-Amerikaner und eine Kanadierin sich in Asien ansteckten und an der Infektion starben. Zu diesem Zeitpunkt waren in Asien jedoch bereits tausende an der unbekannten Seuche erkrankt und gut 500 daran gestorben. Neue Fälle gab es inzwischen auch in Europa und Nordamerika – die Infektion war zu einer Pandemie geworden.

Jetzt reagierte auch die Weltgesundheitsorganisation WHO: Sie löste Anfang März einen weltweiten Pandemie-Alarm aus und taufte die neue Krankheit „Severe Acute Respiratory Syndrome“ – SARS. Teams von Seuchen-Experten reisten nach Asien, um Quarantäne-Maßnahmen zu koordinieren und nach der Ursache von SARS zu fahnden.

Auslöser der SARS-Pandemie war ein aus Fledermäusen stammendes Coronovirus © CDC/ Mary Ng Mah Lee

Von der Fledermaus zum Menschen

Wenig später war der Erreger gefunden: Es handelte sich um ein zuvor noch nie beim Menschen nachgewiesenes Coronavirus. Aus Genanalysen schlossen Forscher, dass dieses Virus ursprünglich aus in China vorkommenden Fledermäusen stammte. Von ihnen wurde es über Kot oder Speichel auf wilde Schleichkatzen übertragen, die dann wiederum von Menschen in Südchina gefangen, auf Märkten gehandelt und verzehrt wurden.

Das SARS-Virus hat es geschafft, die Artschranke vom Tier zum Menschen zu überwinden – und grassiert nun in einer Wirtsspezies, die gegen diesen neuen Erreger in keinster Weise gewappnet ist. Zwar konnte die Pandemie nach wenigen Monaten durch rigorose Quarantäne-Maßnahmen eingedämmt werden, doch bis dahin waren mehr als 8.000 Menschen erkrankt und gut 700 gestorben. Eine Impfung oder ein Heilmittel gegen SARS gibt es bis heute nicht.

Karte der von der SARS-Epidemie im Zeitraum 01.11.2002 - 07.08.2003 betroffenen Staaten. Schwarz: Staaten mit bestätigten Todesfällen, Rot: Staaten mit bestätigten Infektionen © Maximilian Dörrbecker/ CC-by-sa 4.0

„Dramatisches Fallbeispiel“

„SARS demonstriert auf dramatische Weise, welche verheerenden globalen Folgen eine neu auftretende Infektionskrankheit verursachen kann“, konstatierte die WHO 2003 in einem Bericht. Bis heute gilt SARS als die erste Pandemie des 21. Jahrhunderts – und als klassisches Beispiel für eine Emerging Disease. Mit diesem Begriff bezeichnen Mediziner Infektionskrankheiten, die zuvor noch nie beim Menschen aufgetreten sind oder die plötzlich in ganz neue Gebiete vordringen.

Doch wo kommen diese neuen Krankheiten her?

Nadja Podbregar
Stand: 02.11.2018

Die meisten Emerging Diseases sind Zoonosen

Gefahr Tier

Ob die Pest, die Spanische Grippe oder HIV: Viele der tödlichsten Pandemien der Menschheit waren und sind Emerging Diseases – Infektionskrankheiten, die beim Menschen neu auftreten und auf die wir deshalb nicht vorbereitet sind. Doch woher kommen diese neuen Erreger so plötzlich?

Tierische Reservoire

Das größte Reservoir neuer Krankheitserreger verbirgt sich im Tierreich. 60 bis 75 Prozent aller Emerging Diseases wurden und werden von Erregern ausgelöst, die von einem Tier auf uns Menschen überspringen. Solche Zoonosen entstehen vor allem dort, wo Mensch und Tier in engem Kontakt beieinander leben – beispielsweise in der bäuerlichen Nutztierhaltung. Aber auch die Jagd auf Wildtiere und der Verzehr von nicht ausreichend durchgegartem „Bushmeat“ können die Infektion mit einem Tierpathogen erleichtern.

Fledermäuse und Flughunde sind die häufigsten Träger von potenziell für uns gefährlichen Viren. © Panda3800/ iStock.com

Gefährlich wird es zudem überall dort, wo wir Menschen in zuvor unberührte Gebiete eindringen oder den Lebensraum von wilden Tieren zerstören. Denn dies schafft dann plötzlich neue Kontakte zwischen Mensch und Wildtier, die auch dessen Parasiten und Erregern die Chance zum Überspringen bieten. „Dinge wie die Waldrodung, der Bau von Straßen oder die Jagd sind Beispiele für Interaktionen, die Krankheiten aus ihren natürlichen Habitaten bringen können – und ihnen zum Sprung in die menschliche Population verhelfen“, erklärt Kevin Olival von der EcoHealth Alliance in New York.

Welche Tiere sind besonders risikoträchtig?

Aber längst nicht jede Tierart ist gleich gefahrenträchtig. Vergangene Ausbrüche zeigen, dass die meisten Zoonosen ihren Ursprung in Vögeln und vor allem in Säugetieren haben. Doch was macht ein Tier zu einem besonders guten Reservoir für potenzielle Humanpathogene? Olival und sein Team haben dies 2017 für 754 Säugetierarten untersucht. Bei jeder Spezies ermittelten sie, wie viele Viren diese in sich tragen können – und welche davon bereits mindestens einmal beim Menschen nachgewiesen worden sind.

Das Ergebnis: Ganz weit vorn in der Liste der Risikotiere liegen die Fledermäuse. „Fledermäuse beherbergen einen signifikant größeren Anteil zoonotischer Viren als jede andere Säugetierordnung“, konstatieren die Forscher. Tatsächlich stammen die Erreger einiger der tödlichsten Infektionskrankheiten aus den Flattertieren, darunter Ebola, das Marburg-Virus, SARS oder das Nipah-Virus.

Die Rötelmaus (Myodes glareolus): niedlich, aber ein potenzieller Überträger von Hantaviren. © Andreas Eichler/ CC-by-sa 3.0

Maus, Ratte, Schwein und Co

Aber auch andere Tiere sind risikoträchtige Reservoire. So stehen die Nagetiere den Fledermäusen als potenzielle Zoonosen-Quellen kaum nach, wie ein Team um Barbara Han vom Cary Institute im Jahr 2016 ermittelte. Vor allem in den gemäßigten Breiten – und damit auch in Europa – sind demnach Maus, Ratte und Co die Säugetiere mit den meisten zoonotischen Viren. Ein Beispiel für einen von Mäusen übertragenen Erreger ist das Hantavirus, das mittlerweile auch in Deutschland vorkommt.

Ebenfalls für uns nicht ungefährlich sind unsere Nutztiere. Im Schwein beispielsweise haben sich 2009 Influenzaviren zur „Schweinegrippe“ rekombiniert und erst vor kurzem haben Forscher in China ein ganz neues Coronavirus entdeckt, das Potenzial für den Sprung zum Menschen haben könnte. Im Nahen Osten waren es die Dromedare, durch die das MERS-Virus auf den Menschen übertragen wurde – auch wenn das eigentliche Reservoir dieser Viren Fledermäuse waren.

Die Stechmücke Aedes aegypti ist Überträger vieler Krankheiten - und kommt dank Klimawandel auch bei uns vor. © CDC

Vektoren: Blutsauger als Erreger-Fähren

Doch Gefahr droht nicht nur von den eigentlichen Virenreservoiren: Viele Zoonosen werden über einen Umweg auf uns übertragen – durch Stechmücken, Zecken und andere Blutsauger. Solche sogenannten Vektoren nehmen die Erreger in sich auf, wenn sie Blut an einem infizierten Tier saugen, beispielweise einer Waldmaus, einer Fledermaus oder einem Vogel. Die Mücke oder Zecke wird dabei selbst nicht krank, trägt aber nun die Erreger in sich.

Sticht oder beißt dieser Blutsauger dann einen Menschen, gelangen diese Erreger mit dem Speichel und anderen in die Wunde freigesetzten Sekreten in unseren Körper. Viele Emerging Diseases wurden und werden auf diesem Wege auf uns Menschen übertragen. Beispiele dafür sind unter anderem das Zika-Virus und das West-Nil-Virus, aber auch Chikungunya, Dengue und die Lyme-Borreliose.

Nadja Podbregar
Stand: 02.11.2018

Wie wird ein Erreger zum Humanpathogen?

Über die Artgrenze hinweg

Auch wenn die Mehrzahl aller neuen Seuchen aus Tieren stammt – längst nicht jedes Tiervirus oder Tierbakterium schafft den Sprung zum Menschen. Denn um zum Humanpathogen zu werden, muss ein Erreger zwei große Hürden überwinden. Er muss sich in uns vermehren können und die Fähigkeit erlangen, von Mensch zu Mensch übertragen zu werden.

Influenzavirus: Die Struktur der Virenhülle entscheidet darüber, ob dieser Erreger in eine menschliche Zelle eindringen kann. © CDC/ Cynthia Goldsmith

Der erste Schritt: vom Tier zum Menschen

Die erste Hürde ist die Kompatibilität mit unseren Zellen: Ein Virus kann nur dann in eine Wirtszelle eindringen, wenn es an Andockstellen auf der Zelloberfläche binden kann. Dafür muss es über passende Proteine auf seiner Hülle verfügen. Gerade diese können sich bei vielen Viren allerdings leicht durch eine oder wenige Mutationen ändern.

Das aktuellste Beispiel dafür ist die Vogelgrippe: Ob H10N8, H6N1 oder ganz neu H7N4: Fast in jedem Jahr taucht in Asien eine neue Variante von Influenzaviren auf, die dank entsprechender Mutation mit unseren Atemwegszellen kompatibel geworden sind. Dadurch kann dieser Erreger nun nicht mehr nur Vögel, sondern auch den Menschen befallen. Die Gelegenheit für diesen Entwicklungssprung bekommen die Viren zurzeit vor allem in China, wo Menschen eng mit ihrem Hausgeflügel zusammenleben.

Ist das Virus einmal in die Zelle eingedrungen, muss es zudem die nötigen Werkzeuge besitzen, um die Zelle in eine Fabrik für neue Viren umzuwandeln. Erst dies macht es dem Erreger möglich, sich zu vermehren. Wie Kevin Olival von der EcoHealth Alliance und sein Team herausfanden, haben dabei RNA-Viren einen Vorteil, weil diese sich im Zellplasma vermehren können und nicht erst in den Zellkern eindringen müssen. Zu diesen gehören unter anderem die Coronaviren, aber auch Dengueviren, Ebola, das Zika-Virus oder das West-Nil-Virus.

An der Spanischen Grippe starben 1918 zwischen 25 und 50 Millionen Menschen weltweit. Hier ein Blick in ein Notlazarett für Grippepatienten in Kansas. © Otis Historical Archives National Museum of Health & Medicine, CC-by-sa 2.0

Der zweite Schritt: von Mensch zu Mensch

Doch um zu einer echten Menschenseuche zu werden, muss ein Erreger noch einen zweiten Schritt absolvieren: die Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch. Dies erfordert weitere Anpassungen, die dem Virus eine effektive Vermehrung in unseren Zellen und einen Weitertransport beispielsweise über Tröpfcheninfektion erlauben. Erst dieser Schritt war es, der das ursprünglich aus Vögeln stammende H1N1-Virus im Jahr 1918 zu einer tödlichen, weltumspannenden Pandemie werden ließ – der Spanischen Grippe.

Und auch heute grassieren in Asien bereits wieder einige Vogelgrippe-Varianten mit Pandemiepotenzial. Möglicherweise am nächsten dran ist das Influenzavirus H7N9, das sich seit 2013 in Asien ausbreitet und schon hunderte Todesfälle verursacht hat. Zwar haben sich Menschen bisher nur direkt bei infizierten Hühnern oder Enten angesteckt. Aber 2017 ergaben Labortests, dass das H7N9-Virus bereits so weit mutiert ist, dass es nun auch direkt von einem Säugetier auf ein anderes überspringen kann. „Passt es sich weiter an, könnten daraus bald Erreger mit Pandemie-Potenzial hervorgehen“, warnt Yoshihiro Kawaoka von der Universität Tokio.

Nadja Podbregar
Stand: 02.11.2018

Wenn aus bekannten Erregern eine neue Seuche wird

Aus alt mach neu

Nicht immer droht die Gefahr neuer Seuchen vom Tier. Auch ein bereits lange in uns Menschen etablierter Keim kann sich plötzlich und unerwartet zu einem potenziell tödlichen Erreger wandeln. Oft geschieht dies durch Mutationen oder die Kreuzung verschiedener Erregerstämme, aber auch „menschengemachte“ neue Erregervarianten durch Resistenzbildung gegen Antibiotika und andere Medikamente sind keine Seltenheit.

Auf den ersten Blick harmlos: Der aggressive EHEC-Stamm war eine neue Variante des Darmkeims Escherichia coli. © NIAID

EHEC: Ein Darmkeim wird zum „Killer“

Wie dramatisch solche Ausbrüche von Emerging Diseases ablaufen können, demonstriert die EHEC-Epidemie in Norddeutschland im Jahr 2011. Bei diesem Ausbruch kamen 50 Menschen ums Leben, mehr als 4.300 Menschen erkrankten. Es begann damit, dass im Frühjahr 2011 plötzlich immer häufiger Patienten in die Krankenhäuser eingeliefert wurden, die unter schweren, blutigen Durchfällen litten. Später kamen dann Nierenschäden und im Extremfall neurologische Störungen hinzu. Im schlimmsten Fall starben die Betroffenen an Organversagen.

Erste Untersuchungen ergaben, dass sich in allen Patienten das Bakterium Escherichia coli explosionsartig vermehrt hatte – ein auf den ersten Blick altbekannter und harmloser Darmkeim. Doch in diesem Falle handelte es sich um einen neuen, hoch pathogenen Stamm einer Untergruppe dieser Bakterien, der sogenannten enterohämorrhagischen Escherichia coli (EHEC). Diese Erreger produzieren Giftstoffe, die die roten Blutkörperchen und die Wände kleiner Blutgefäße zerstören. Als Folge kommt es nicht nur zu blutigen Durchfällen, sondern auch zu Nierenschäden, Blutarmut und weiteren Organschäden – dem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS).

Wie aber kann aus einem eigentlich harmlosen Darmkeim ein so krankmachender Epidemieauslöser werden? Genanalysen enthüllten, dass der HUSEC041 (O104:H4) getaufte Erreger einem zuvor unbekannten Hybrid-Stamm angehörte. Dieser war durch den Genaustauch zwischen zwei unterschiedlichen pathogenen Escherichia coli-Varianten entstanden: einem der schon bekannten EHEC-Stämme und einem enteroaggregativen E. coli (EAEC). Diese Kombination machte den neu entstandenen Erreger besonders aggressiv und noch dazu resistent gegenüber zahlreichen gängigen Antibiotika.

Bei Staphylococcus aureus liegt der Anteil resistenter Stämme (MRSA) in Europa schon bei knapp 17 Prozent. © CDC/NIAID

MRSA und Co: Resistenz-Epidemien

Eine weitere Quelle für neu auftretende Epidemien ist die Medizin selbst: Durch den falschen und übermäßigen Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht und Humanmedizin züchtet der Mensch schon seit Jahrzehnten immer neue resistente Bakterienstämme. Diese Erreger haben Abwehrmaßnahmen gegen unsere Medikamente entwickelt und lassen sich mit den gängigen „Waffen“ daher nicht mehr bekämpfen. Auch bei uns in Europa nehmen multiresistente Bakterien immer mehr zu.

Manchmal ist dabei nicht einmal der Erreger selbst das Ausschlaggebende, sondern das von ihm entwickelte und dann auch an andere Bakterienarten weitergegebene Resistenzgen. Ein Beispiel dafür ist die in Indien entstandene „Neu-Delhi Metallo-Beta-Lactamase“ (NDM-1). Dieses Enzym macht Bakterien immun gegen alle gängigen Antibiotika außer dem relativ giftigen Notfallmittel Colistin. Und selbst gegen dieses haben inzwischen einige Bakterien Abwehrmethoden entwickelt – ebenfalls in Indien. Über Fernreisende gelangen diese Resistenzgene auch nach Europa und in andere Regionen – und können sich dann dort zu wahren Superkeimen kombinieren.

Nadja Podbregar
Stand: 02.11.2018

Welche Waffen hat die Medizin gegen neue Seuchen?

Was tun?

Emerging Diseases sind unberechenbar. Niemand weiß im Vorhinein, wo und wann der nächste Ausbruch einer neuen Seuche droht und welcher Art diese Krankheit sein wird. Noch während Sie dies lesen, könnte irgendwo auf der Welt ein Mensch der „Patient Zero“ einer neuen Epidemie oder gar Pandemie werden.

Eine Maßnahme zu Epidemie-Eindämmung: das Fiebermessen am Flughafen © Steve Debenport/ iStock.com

Was tun bei einem Ausbruch?

Zwar sorgen weltweite Meldesysteme und Organisationen wie die WHO oder die US Seuchenbehörde CDC dafür, dass lokale Ausbrüche neuer Krankheiten möglichst schnell erkannt und untersucht werden. Um die Ausbreitung zu stoppen, werden dann vor allem Quarantäne-Maßnahmen eingeleitet, wie beispielsweise bei der Ebola-Epidemie in Westafrika im Jahr 2014. Auch Fiebermessungen in Flughäfen sollen dafür sorgen, dass infizierte Reisende erkannt werden.

Doch oft sind diese Maßnahmen nicht lückenlos – oder kommen zu spät. Denn dank des Flugverkehrs und der weltweiten Vernetzung von Handel, Gütern und Dienstleistungen ist heute selbst der entlegenste Ort der Erde nur maximal eine Tagesreise von den dicht besiedelten Metropolen und Bevölkerungszentren entfernt. „Die Welt ist ein kleiner Ort: Es ist heute sehr leicht, an einem Tag im Dschungel Afrikas oder Südamerikas zu sein und am nächsten in einer Großstadt der westlichen Welt“, erklärte der US-Infektionsforscher Amesh Adalja unlängst gegenüber CNN.

Ebola-Impfung in Liberia – dieser Impfstoff kam für die Epidemie von 2014 leider zu spät. © NIAID/ CC-by-sa 2.0

Medizin hinkt hinterher

Ein weiteres Problem: Bei den meisten Emerging Diseases hinkt die Medizin hinterher. Vor allem, wenn der neue Erreger ein Virus ist, existiert meist noch kein wirksames Heilmittel und auch keine Impfung. Doch bis diese entwickelt werden, kann es Monate bis Jahre dauern. Für die aktuelle Epidemie kommen diese Mittel daher meist zu spät. Sie können aber helfen, künftige Ausbrüche einzudämmen – ein Beispiel dafür ist der nach der Epidemie in Westafrika entwickelte Ebola-Impfstoff.

Und selbst wenn die neue Seuche nur eine Variante längst bekannter Erreger ist, kommt die Medizin nicht immer dagegen an. Im Fall der sogenannten „Schweinegrippe“ hatten die Ärzte immerhin noch Glück im Unglück: Weil es sich um eine rekombinierte Form schon bekannter Influenza-Viren handelte, wirkten die antiviralen Arzneimittel Tamiflu und Relenza gegen die Infektion. Dennoch starben im Jahr 2009 an dieser Pandemie weltweit mehr als 200.000 Menschen.

„Der Kampf gegen Infektionskrankheiten ist ein kontinuierlicher Prozess“, erklären David Morens und Anthony Fauci von den US National Institutes of Health. „Jede neue Krankheit bringt einzigartige Herausforderungen mit sich und zwingt uns dazu, uns an sich ständig verändernde Bedrohungen anzupassen. Wir gewinnen schon, wenn wir gegenüber der nächsten neuen Infektionskrankheit halbwegs die Nase vorn haben.“

Hotspots: Ausbruchsrisiko neuer Infektionskrankheiten in verschiedenen Regionen weltweit © Allen et al./Nature Communications, CC-by-sa 4.0

Wo liegen die Hotspots?

Klar scheint: Verhindern lässt sich das Auftreten von Emerging Diseases nicht. Um im Ernstfall besser vorbereitet zu sein, versuchen Epidemiologen jedoch, mögliche Hotspots der Seuchenentstehung schon im Vorhinein zu identifizieren. „Wenn wir damals schon den Kongo im Blick gehabt hätten – die dortigen Menschenaffen und die Menschen – dann hätten wir vielleicht HIV erkannt, bevor es zur Pandemie wurde“, sagt Toph Allen von der EcoHealth Alliance.

Damit Ausbrüche künftig schneller erkannt werden, haben die EcoHealth-Forscher 2017 eine neue Karte der Hochrisikozonen für zoonotische Infektionskrankheiten erstellt. Demnach ist die Gefahr für das Auftreten neuer Zoonosen vor allem in Asien sehr hoch. Länder wie Indien, Bangladesch und China gelten vor allem wegen der hohen Bevölkerungsdichte und dichter, immer weiter gerodeter Wälder als Hotspots. Aber auch einige Gebiete in Zentralafrika und Mittelamerika stufen die Wissenschaftler als potenzielle Ausbruchsorte neuer Seuchen ein.

„Unsere Hotspots-Karte ist aber kein Grund zur Panik“, betonen die Forscher. „Stattdessen sollte sie Virenjägern als Wegweiser zu den Gebieten dienen, in denen sie am meisten gebraucht werden.“

Nadja Podbregar
Stand: 02.11.2018

Mit dem Klimawandel kommen neue Erreger

Seuchenherd Europa?

Europa gehörte in Bezug auf Emerging Diseases lange zu den eher sicheren Regionen: Viele Tropenkrankheiten kommen bei uns nicht vor, neue Viren oder Bakterien tauchen nur selten auf. Meist treffen Epidemien uns Europäer erst, wenn sie von Reisenden aus anderen Regionen eingeschleppt werden.

Die Asiatische Tigermücke Aedes albopictus beim Blutsaugen © CDC

Neue Gefahr durch Mücken und Zecken

Doch das könnte sich in Zukunft ändern. Denn mit dem Klimawandel etablieren sich auch bei uns in Deutschland zunehmend Tierarten, die effektive Überträger von Krankheiten sind. Als Folge wächst bei uns die Gefahr, mit bisher hier nicht vorkommenden Infektionskrankheiten angesteckt zu werden. So kommen inzwischen die Tigermücke und die Asiatische Buschmücke bei uns vor. Im Gegensatz zu unserer heimischen Stechmücke sind beide effektive Vektoren für gleich mehrere krankmachende Viren, darunter das Zika-Virus, Dengue und Chikungunya.

Ein weiteres Beispiel ist eine 2016 in Österreich entdeckte Mischform zweier heimischer Stechmücken-Subtypen. Weil diese sowohl an Vögeln als auch am Menschen Blut saugen, können sie Zoonosen wie das West-Nil-Virus auf uns übertragen – eine Emerging Disease, die vor kurzem erstmals auch bei einem Vogel in Deutschland nachgewiesen wurde.

Neue potenzielle „Gefährder“ sind auch Zeckenarten, die ursprünglich nur in südlicheren Gefilden vorkamen, sich jetzt aber wegen der milderen Winter auch bei uns etablieren. Im Sommer 2018 wiesen Epidemiologen erstmals Hyalomma-Zecken in Deutschland nach – und eine davon trug den Erreger des Fleckfiebers in sich. Bei einem aus Afrika heimkehrenden Zugvogel haben Forscher kürzlich das Alkhurma-Virus entdeckt – den Erreger eines 1995 in Saudi-Arabien erstmals aufgetretenen hämorrhagischen Fiebers. Dieses Virus führt in rund einem Viertel der Fälle zum Tode – und wird von Hyalomma-Zecken übertragen.

Die Zecke Hyalomma rufipes kann das Alkhurma-Virus übertragen. Sie wurde auch schon in Deutschland gefunden. © Daktaridudu/ CC-by.sa 4.0

Zwei Drittel der Erreger reagieren aufs Klima

Es ist keineswegs Zufall, dass gerade das Risiko für von Blutsaugern übertragene Krankheiten in Europa zunimmt. Denn wie Marie McIntyre von der University of Liverpool und ihr Team festgestellt haben, reagieren solche von Vektoren transportierten Erreger besonders sensibel auf Klimaveränderungen. Für ihre Studie hatten die Forscher 157 in europäischen Tieren oder Menschen präsente Erreger daraufhin untersucht, ob und welche Klimafaktoren ihre Verbreitung und Häufigkeit beeinflussen – von Temperaturen über Niederschläge, Wind und Luftfeuchtigkeit bis hin zu Klimaschwankungen.

Das Ergebnis: Knapp zwei Drittel der in Europa präsenten Pathogene sind gegenüber mindestens einem Klimatreiber sensibel – und ein Großteil davon sind Zoonosen. Besonders günstig für diese Erreger ist meist eine Erwärmung sowie eine Zunahme des Regens und der Luftfeuchtigkeit, wie die Forscher herausfanden. Im Zuge des Klimawandels sind dies Bedingungen, wie sie vor allem für die mitteleuropäischen Winter vorhergesagt werden.

Interessant auch: „Einige Übertragungsrouten sind klimasensibler als andere“, erklären McIntyre und ihre Kollegen. „Demnach werden durch Vektoren, Nahrung, Wasser oder Erde übertragene Pathogene stärker vom Klimawandel beeinflusst, während die direkt von Mensch zu Mensch übertragenen kaum betroffen sind.“

Risikoträchtige Zukunft

Nach Ansicht der Forscher müssen wir Europäer damit rechnen, dass in Zukunft das Risiko für potenziell gefährliche Krankheiten steigt. Für Europa bricht damit eine Zeit an, in der viele bisher nur in den Tropen oder am Mittelmeer verbreitete Infektionen auch bei uns drohen. Bereits 2012 empfahlen Fachgesellschaften deshalb Ärzten in Deutschland, bei Patienten mit ungewöhnlichen Fiebersymptomem immer auch an eine Infektion mit neuen Viren zu denken.

Und wie für viele Emerging Diseases gilt auch für die meisten in unseren Gefilden neuen Erreger: Gegen viele davon hat die Medizin noch kein Gegenmittel.

Nadja Podbregar
Stand: 02.11.2018