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Technik

Was Brücken in Schwingung versetzt

Kritische Zahl von Fußgängern kann Bauwerke abrupt zum Schwanken bringen

Geriet bei der Eröffnung im Jahr 2000 ganz schön ins Schwanken: die Millenium Bridge in London © Johan Mouchet/ gemeinfrei

Wackelnde Angelegenheit: Mit ihren Schritten können Fußgänger Brücken gefährlich zum Schwingen anregen. Ein mathematisches Modell zeigt nun, welche Rolle die Zahl der Personen dabei spielt. Das Ergebnis: Anders als gedacht nimmt die Schwingung nicht linear mit der Größe der Menschenmenge zu. Stattdessen verstärkt sie sich ab einem kritischen Schwellenwert abrupt. Künftig könnten die Ergebnisse bei der Bauplanung von Brücken und anderen Bauwerken helfen, schreiben die Forscher.

Fast wäre es ein gewaltiger Reinfall geworden: Im Jahr 2000 wurde nach über hundert Jahren erstmals wieder eine neue Brücke über die Themse in London eingeweiht. Doch als am Eröffnungstag Heerscharen von Besuchern auf die Millenium Bridge strömten, geriet das moderne Bauwerk heftig ins Schwanken. Erst nach einer zweijährigen Sperrung und aufwändigen Nachbesserungen, die noch einmal ein Drittel der ursprünglichen Baukosten verschlangen, konnte das Problem gelöst werden.

Doch was hatte die gefährlichen Schwingungen der Brücke damals ausgelöst? „Wenn Fußgänger über eine Brücke gehen, interagieren sie mit dem Bauwerk und können es in Schwingung versetzen“, erklärt Igor Belykh von der Georgia State University in Atlanta. Als wahrscheinlich gilt, dass die Schritte der über das Bauwerk wandelnden Passanten dabei zufällig mit der sogenannten Eigenfrequenz der Brücke übereinstimmten.

In Schwingung versetzt

Denn erfährt ein Bauwerk immer zu rechten Zeit den rechten Schub, wird es angeregt – und eine anfänglich kaum spürbare Schwingung kann sich leicht aufschaukeln. Physiker sprechen vom Resonanzphänomen. Im Falle der Millenium Bridge könnten immer mehr Fußgänger ihren Gang an das zunächst leichte Schwanken angepasst haben und auf diese Weise in Gleichtakt geraten sein. Dadurch sorgten sie für weitere Resonanz und eine zusätzliche Verstärkung der Schwingungen.

Wie genau das Verhalten von Fußgängern auf die Bewegungen von Bauwerken wie der Millenium Bridge Einfluss nimmt und welche Rolle dabei die Größe der Menschenmenge spielt, war bislang allerdings unklar. Belykh und seine Kollegen haben diesen Effekt nun mithilfe von mathematischen Modellen genauer untersucht. Dabei berücksichtigten sie auch „worst case“-Szenarien, bei denen Soldaten im Gleichschritt über eine Brücke marschieren.

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Kritischer Schwellenwert

Das überraschende Ergebnis: Um eine Brücke spürbar in Schwingung zu versetzen, kommt es nicht nur auf Synchronität an. Es ist auch ein Zahlenspiel. Denn bevor die Menge der Personen auf dem Bauwerk einen kritischen Schwellenwert erreicht, werden dem Modell zufolge auch durch im Gleichschritt marschierende Menschen keine merklichen Schwankungen verursacht.

Geht jedoch die „richtige“ Zahl an Fußgängern über die Brücke, werden die Schwingungen auf einen Schlag deutlich stärker. Das widerspreche der gängigen These, dass das Ausmaß der Schwingungen gleichmäßig und linear mit der Zahl der Passanten steige, schreiben die Wissenschaftler. Stattdessen entwickle sich ein signifikantes Wackeln der Konstruktion abrupt. „Es gibt demnach eine magische Zahl von Fußgängern, die gleichzeitig über eine Brücke laufen kann“, sagt Belykh.

Planungshilfe für Brückenbauer

In Zukunft könnte das detaillierte Fußgängermodell bei der Planungsphase von Brücken und anderen Bauwerken helfen – und auf diese Weise „wackelnde“ Zwischenfälle vermeiden. Denn die London Millenium Bridge ist nicht die einzige, die in der Vergangenheit durch gefährliche Schwingungen für Aufsehen gesorgt hat. Auch bei der Eröffnung der Solférino Brücke in Paris 1999 oder der Squibb Park Bridge in Brooklyn 2014 kam es zu vergleichbaren Zwischenfällen. Im Extremfall können solche Schwingungen sogar dafür sorgen, dass ein Bauwerk zusammenbricht.

Mit zusätzlichen dämpfenden Elementen ließe sich eine Resonanzfrequenz, die allein durch Fußgänger angeregt werden kann, von vornherein in einen anderen Frequenzbereich verschieben, betonen die Forscher. Zunächst muss das theoretische Modell nun jedoch im Praxistest auf die Probe gestellt werden. Nur Experimente mit realen Fußgängern auf realen Brücken können zeigen, wie gut die Simulationen von Belykh und seinen Kollegen Schwingungen tatsächlich vorhersagen. (Science Advances, 2017; doi: 10.1126/sciadv.1701512)

(Science Advances, 13.11.2017 – DAL)

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