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Physik

Warum klingen manche Konzertsäle besser?

Die "Schuhkarton"-Form überträgt die Dynamik der Musik am besten auf den Zuhörer

Klassisches Rechteck: Die Stadthalle Wuppertal ermöglicht ein besonders dynamisches Hörerlebnis. © Jukka Pätynen

Ein gutes Orchester live spielen zu hören, ist ein Genuss – wenn die Akustik stimmt. In großen Konzertsälen ist sie meist schon weit optimiert. Aber es gibt dennoch Unterschiede: Die Raumform entscheidet darüber, ob die Lautstärke-Dynamik der Musik gut übertragen wird. Warum das so ist und welche europäischen Säle besonders gut abschneiden, haben finnische Forscher nun untersucht.

Der Besuch eines klassischen Konzerts in einem der großen Konzertsäle ist ein besonderes Erlebnis. „Wenn die Musiker gut sind und die Umwelt stimmt, dann kann Orchestermusik aufwühlen und Gänsehaut auslösen“, erklären Jukka Pätynen und seine Kollegen von der Aalto Universität in Espoo. Vor allem die Dynamik der Musik – der Wechsel von laut zu leise und umgekehrt – spielt für das Hörerlebnis eine besondere Rolle. „Stellen Sie sich vor, alle Noten würden mit dem gleichen monotonen Niveau und der gleichen Klangfarbe gespielt – die Wirkung wäre verloren“, so die Forscher.

Ob und wie diese Nuancen der Musik ans Ohr des Zuhörenden gelangen, dafür spielt die Akustik des Konzertsaals eine entscheidende Rolle. Vor allem die Qualität des Forte, der lauten Passagen, gelten dabei als Markenzeichen einer guten Konzerthalle, denn leise Töne kommen oft selbst in Räumen mit weniger guter Akustik noch halbwegs akzeptabel an. Wie aber die Form des Konzertsaals die Wahrnehmung der musikalischen Dynamik beeinflusst, dazu gab es bisher nur wenige Untersuchungen.

Schuhkarton oder abstrakt geometrisch?

Die meisten klassischen Konzertsäle wurden rechteckig gebaut, dieser Form folgen beispielsweise das Alte Gewandhaus in Leipzig, der Musikvereinssaal in Wien oder das Concertgebouw in Amsterdam. „Diese Form ist noch immer die verbreitetste für Musik der Klassik und Romantik“, erklären die Forscher. Ihre gute Akustik bekommen diese Räume typischerweise dadurch, dass sie den Orchesterklang an ihren Seitenwänden stark reflektieren. Dadurch werden die Töne beiderseits genau in Richtung der Ohren der Zuhörer geleitet.

Die Berliner Philharmonie ist ein abstrakt geometrischer Raum, jede Tribüne steht in einem anderen Winkel zum Podium. Für den Akustik-Test repräsentieren mehrere Lautsprecher das Orchester. © Jukka Pätynen

Aber es gibt inzwischen auch andere Saalformen. So ist die Philharmonie in Berlin eher eckig-oval, andere Säle sind fächer- oder hufeisenförmig, wie beispielsweise viele Opernhäuser. Pätynen und seine Kollegen haben nun untersucht, wie diese verschiedenen Saalformen das Spektrum der verschiedenen Lautstärken und Frequenzen an die Ohren von Zuhörern weitergeben.

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Dafür setzten sie Dummys mit Mikrophonen in den Ohren an verschiedene Stellen im Zuhörerraum von zehn europäischen Konzertsälen. Dazu zählten die Wuppertaler Stadthalle, der Beethovensaal in Stuttgart, der Wiener Musikverein, die Berliner und Kölner Philharmonie, das Konzerthaus Berlin, der Herkulessaal und das Gasteig in München sowie das Amsterdamer Concertgebouw und der Palais des Beaux Arts in Brüssel. In allen Sälen ersetzen standardisierte Lautsprecher auf der Orchesterbühne die Musiker. Gespielt wurde jeweils ein Stück aus Bruckners 4. Symphonie, in dem die Lautstärke in einer Passage stark zunimmt, ohne dass sich die Tonhöhen oder Instrumente nennenswert verändern.

Mehr Dynamik im langen Recheck

Das Ergebnis: Am besten schnitten klassisch rechteckige Konzertsäle ab. In ihnen sorgten starke seitliche Reflexionen für den besten räumlichen und dynamischen Klangeindruck, wie die Forscher berichten. Die Müncher Philharmonie Gasteig, ein abstrakt geometrischer Raum ähnlich der Berliner Philharmonie, bot dagegen ein weniger dynamisches Hörerlebnis. Ihre Akustik leitete deutlich weniger Schallenergie an die Sitzenden weiter.

Aber auch innerhalb der rechteckigen Säle gab es auffallende Unterschiede: Am stärksten fielen diese bei der Wuppertaler Stadthalle und dem Beethovensaal in Stuttgart aus, wie Pätynen und seine Kollegen berichten. Zwar sei der direkte Klang bei beiden gleich stark. Aber in Stuttgart konzentrieren Decke und Boden den Schall stärker in der Mitte, während in Wuppertal die engere Form und die seitlichen Balkone für zusätzliche laterale Reflexionen sorgen. Dadurch werden beispielsweise Crescendi besser übertragen.

Nach Ansicht der Forscher erklären diese Ergebnisse, warum schon zur Zeit der Klassik die meisten Konzertsäle rechteckig gebaut wurden. Zwar habe man damals die Akustik noch nicht so genau untersuchen können wie heute, aber man wählte quasi instinktiv eine für die seitliche Reflexion günstige Raumform. Das heißt zwar nicht, dass alle nicht rechteckigen Konzerthäuser nichts taugen, wie die Forscher betonen. Aber wenn es um den Genuss dynamischer Stücke mit stark wechselnden Lautstärken geht, dann hat die klassische Form eben doch um ein winziges Bisschen die Nase – oder besser gesagt die Ohren – vorn. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 23014; doi: 10.1073/pnas.1319976111)

(PNAS, 04.03.2014 – NPO)

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