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Materialforschung

Supraleiter verstößt gegen die Regeln

Im Zirkonvanadiumhydrid liegen Wasserstoffatome enger beieinander als erlaubt

Zirkonvanadiumhydrid
In der Verbindung Zirkonvanadiumhydrid liegen einige Wasserstoffatome (rot) enger aneinander als sie gängiger Regel nach dürften. © ORNL/Jill Hemman

Verblüffende Entdeckung: Forscher haben ein Metallhydrid entdeckt, das mehr Wasserstoff enthält als bisher für möglich gehalten. In der Verbindung aus Zirkon, Vanadium und Wasserstoff liegen die Wasserstoffatome nur 0,16 Nanometer auseinander – und verstoßen damit gegen das sogenannte Switendick-Kriterium. Diese überraschende Entdeckung könnte den Weg zu einer Supraleitung bei Raumtemperatur und normalem Druck ebnen, wie die Forscher berichten.

„Seit Jahrzehnten ist eine Supraleitung bei Raumtemperatur und atmosphärischen Druck so etwas wie der heilige Gral“, erklärt Koautor Russel Hemley von der University of Illinois in Chicago. „Denn damit könnte man konventionelle elektrische Systeme und Geräte supraleitend machen.“

Abstandsregel für Wasserstoff

Tatsächlich sind Forscher diesem Ziel in den letzten Jahren zumindest näher gekommen: Vor allem Wasserstoff-Verbindungen wie Schwefelwasserstoff und Lanthanhydrid verlieren ihren elektrischen Widerstand schon bei Temperaturen zwischen minus 70 und minus 23 Grad. Dafür allerdings müssen diese Hydride unter enormen Druck gesetzt werden. Denn nur dies zwingt die Wasserstoffatome so eng zusammen, dass die Supraleitung einsetzt, wie Experimente belegen.

Der Grund: Nach dem sogenannten Switendick-Kriterium können Wasserstoffatome in Metallhydriden nicht näher als 2,1 Angström – 0,21 Nanometer – beieinander liegen. Bei geringerem Abstand stoßen sie sich ab und der potenzielle Anlagerungsplatz bleibt deshalb leer. Dies begrenzt die Wasserstoffladung eines Metallhydrids und damit auch seine Eignung als Supraleiter.

Rätselhafter Peak im Spektrum

Doch nun zeigt sich, dass einige Metallhydride diese „Abstandsregel“ offenbar unterlaufen können. Entdeckt haben dies Hemley, Erstautor Andreas Bordschulte von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa und ihr Team bei Analysen von Zirkonvanadiumhydrid (ZrV<sub>2</sub>H<sub>x</sub>) mittels Neutronenspektroskopie. Bei dieser erlauben Vibrationen in bestimmten Energieniveaus Rückschlüsse auf die Struktur eines Feststoffs .

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Das überraschende Ergebnis: Im Spektrum dieses Metallhydrids trat neben den erwarteten Ausschlägen ein zusätzlicher Peak bei 50 Millielektronenvolt auf. „Dieser Peak liegt in einer Spektralregion, in der keine Vibrationen erwartet werden“, sagen die Forscher. Keines der gängigen Modelle konnte diesen Ausschlag im Spektrum erklären, dennoch bestätigten weitere Untersuchungen die Existenz dieses Peaks.

Unter dem Switendick-Limit

Was aber war die Ursache? Auf der Suche nach einer Erklärung führten Bordschulte und sein Team mehr als 3.000 Simulationen auf einem Supercomputer durch, in denen sie verschiedenste Prozesse und Atomkonfigurationen im Material durchtesteten. Am Ende blieb nur eine plausible Erklärung übrig: „Eine solche spektrale Intensität bei 50 Millielektronenvolt tritt nur auf, wenn der Abstand zwischen zwei Wasserstoffatomen geringer ist als zwei Angström“, konstatieren die Forscher.

Mit anderen Worten: Im Zirkonvanadiumhydrid müssen zumindest einige Wasserstoffatome gegen das Switendick-Kriterium verstoßen. „Die Zahl dieser Atome ist gering, aber sie reicht aus, um den unerwarteten Peak bei 50 Millielektronenvolt zu erzeugen“, so Bordschulte und seine Kollegen. Dies sei die erste Beobachtung eines so geringen Wasserstoff-Abstands in einem Metallhydrid – und die erste bekannte Ausnahme vom Switendick-Kriterium in einem solchen Material.

Chance auf Raumtemperatur-Supraleiter

Die Entdeckung dieses Ausnahme-Materials eröffnet nun ganz neue Möglichkeiten, die Suche nach Raumtemperatur-Supraleitern voranzubringen. Denn das könnte bedeuten, dass für die Supraleitung geeignete Metallhydride mehr Wasserstoff aufnehmen können als bislang angenommen. Das wiederum könnte sie leichter in den supraleitenden Zustand versetzen – und den bisher nötigen hohen Druck überflüssig machen.

„Wir hoffen, dass ein günstiges, stabiles Metall wie Zirkonvanadiumhydrid so angepasst werden kann, dass es zu einem solche Supraleiter wird“, sagt Hemley. Die unerwartet enge Wasserstoffpackung in diesem Material könnte aber auch Möglichkeiten eröffnen, effektive Feststoffspeicher für Wasserstoff zu entwickeln – Speicher, die dann beispielsweise als chemische Energiespeicher für Wind- und Solarstrom dienen könnten. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2020; doi: 10.1073/pnas.1912900117)

Quelle: DOE/Oak Ridge National Laboratory

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