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Klima

Streit um neues EU-Klimapaket

Europäische Kommission legt Vorschläge zum Klimaschutz und zur Förderung erneuerbarer Energien vor

Die Europäische Kommission hat gestern umfangreiche Vorschläge zum Klimaschutz und zur Förderung erneuerbarer Energien verabschiedet. Mithilfe des Maßnahmenpaketes will die Europäische Union ihre Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens 20 Prozent reduzieren und ihren Anteil von erneuerbaren Energiequellen am Energieverbrauch auf 20 Prozent erhöhen.

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„Eine Antwort auf den Klimawandel zu finden, ist der ultimative Test für die politische Handlungsfähigkeit unserer Generation““, sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. „Wir haben die Pflicht, den politischen Rahmen für den Wandel zu einer umweltfreundlichen europäischen Volkswirtschaft zu schaffen und auf internationaler Ebene weiterhin die Vorreiterrolle zu übernehmen.“ Das Kommissionspaket enthalte auch Antworten auf die Frage der Versorgungssicherheit, betonte der Präsident. Die Maßnahmen würden zu einem enormen Einsatz erneuerbarer Energiequellen in allen EU-Staaten führen, zumal die Ziele für die Regierungen rechtsverbindlich seien.

Mutiger Schritt…

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel begrüßte das vorgestellte Klima- und Energiepaket: „Die Kommission zeigt, wie die ehrgeizigen Klimaschutzziele, die unter der deutschen EU-Präsidentschaft beschlossen wurden, umgesetzt werden können. Das Paket ist ein mutiger Schritt – dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass es in einigen Detailfragen noch Gesprächsbedarf gibt. Das Paket stellt sicher, dass Europa den CO2-Ausstoß bis 2020 in jedem Fall um 20 Prozent gegenüber 1990 reduziert. Es ist gut, dass die Kommission schon heute darlegt, mit welchen Stellschrauben sie das 30-Prozent-Ziel erreichen will, das greift, wenn die internationalen Klimaschutzverhandlungen den erhofften Erfolg haben.“

Gabriel betonte weiter: „Ich freue mich, dass die EU-Kommission den Emissionshandel vereinfachen und europaweit einheitlich gestalten will. Es ist auch richtig, dass die CO2-Zertifikate für die Stromerzeugung ab 2013 komplett versteigert werden sollen. Besonders wichtig ist mir, dass die energieintensiven Industriebranchen, die in den Emissionshandel einbezogen sind, aber besonders stark im internationalen Wettbewerb stehen, auch weiterhin kostenlos die erforderlichen CO2-Zertifikate bekommen. Das muss nach meiner Überzeugung etwa für die Stahl-, Aluminium- und Zementproduktion gelten. In diesem Punkt muss die Kommission schnell für Klarheit sorgen.“

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… oder Note ungenügend

Weniger begeistert von den EU-Vorschlägen zeigten sich dagegen die Umweltschutzorganisationen in Deutschland. „Ausgehend von den Zahlen von 2005 bedeutet dies nur eine magere Reduktion von zehn Prozent“, kritisierte Regine Günther, Leiterin des Klimareferats beim WWF Deutschland. „Ein Reduktionsziel von 30 Prozent wäre notwendig gewesen und hätte den Anspruch nach einer europäischen Vorreiterrolle im internationalen Klimaschutz mit Substanz gefüllt“. Auf dem Klimagipfel in Bali hatte die EU dem Vorschlag zugestimmt, dass die Industriestaaten bis 2020 ihren Ausstoß an Treibhausgasen um 25 bis 40 Prozent reduzieren müssen.

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Und auch der NABU-Präsident Olaf Tschimpke kritisierte die Vorschläge: „Damit unterläuft die EU bewusst ihr eigenes Ziel, den globalen Temperaturanstieg auf maximal zwei Grad zu begrenzen. Wir dürfen wohl kaum von den USA, Japan oder Kanada erwarten, dass sie im Klimaschutz von sich aus die EU-Ziele übertreffen wollen.“ Die EU-Mitgliedstaaten und die am Emissionshandel teilnehmenden Unternehmen benötigten bereits jetzt klare Signale, dass bis 2020 eine gemeinsame Reduktion in der Größenordnung von 30 Prozent notwendig ist.

Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), formulierte seine Ablehnung noch drastischer: „Mit ihren schwachen Klimaschutzzielen stiehlt sich die EU aus der Verantwortung und führt die UN-Verhandlungen für ein Kyoto-Nachfolgeprotokoll in die Sackgasse. International mimt die EU gerne den Klima-Musterschüler, aber wenn es um die Umsetzung entschlossener Maßnahmen zur Senkung der Treibhausgase geht, verdient sie nur die Note ungenügend.“

Die Maßnahmen im Einzelnen

Ausgehend vom Emissionshandelssystem der EU (EHS) schlägt die Europäische Kommission die Stärkung des gemeinschaftsweit einheitlichen Kohlenstoffmarkts vor, der noch mehr Treibhausgase (bislang galt er nur für CO2) sowie alle industriellen Großemittenten umfasst. Die auf dem Markt handelbaren Emissionsrechte werden Jahr für Jahr zurückgefahren, so dass die unter das Handelssystem fallenden Emissionen, gemessen am Stand von 2005, bis 2020 um 21 Prozent reduziert werden können.

Für den Stromsektor – den größten Emittenten in der EU – wird die Versteigerung der Emissionszertifikate gleich mit Beginn des neuen Systems 2013 zur Regel werden. Andere Wirtschaftszweige sowie die Luftfahrt werden bis 2020 schrittweise zur vollständigen Versteigerung der Zertifikate übergehen. Darüber hinaus erfolgen die Versteigerungen offen, so dass jeder Betreiber in der EU die Möglichkeit hat, in jedem anderen Mitgliedstaat Rechte zu erwerben.

Emissionshandel bringt 50 Milliarden Euro

Die Einnahmen aus dem Emissionshandelssystem fließen den Mitgliedstaaten zu und sollten dazu eingesetzt werden, Innovationen in erneuerbare Energien oder Forschung zur CO2-Abscheidung und -Speicherung zu fördern. Ein Teil der Einnahmen soll auch in die Entwicklungsländer fließen, um diese bei ihrer Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Die Kommission geht davon aus, dass sich die Einnahmen aus dem Handel bis 2020 auf jährlich 50 Milliarden Euro belaufen werden.

Das seit vier Jahren angewendete EU-Emissionshandelssystem hat sich laut der Kommission als ein wirksames Instrument erwiesen, um Anreize zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen zu schaffen. Derzeit erstreckt sich das System auf etwa 10.000 Industrieanlagen in der EU, wie etwa Kraftwerke, Ölraffinerien und Stahlwerke, auf die nahezu die Hälfte der CO2-Emissionen entfallen. Mit dem neuen System werden über 40 Prozent der Gesamtemissionen vom Emissionshandel erfasst. Um den Verwaltungsaufwand möglichst gering zu halten, sind Industrieanlagen mit einem CO2-Ausstoß von unter 10.000 Tonnen nicht verpflichtet, sich am Emissionshandelssystem zu beteiligen.

Zielwert für jeden EU-Staat festlegen

In nicht unter das Emissionshandelssystem fallenden Bereichen wie dem Gebäude-, Verkehrs-, Landwirtschafts- und Abfallsektor wird die EU ihre Emissionen bis 2020 auf zehn Prozent unter dem Stand von 2005 reduzieren. Die Kommission schlägt vor, für jeden Mitgliedstaat einen bestimmten Zielwert festzusetzen, um den die Emissionen des betreffenden Staates bis 2020 verringert werden müssen bzw. – im Falle neuer Mitgliedstaaten – zunehmen dürfen. Diese Veränderungen schwanken zwischen 20 und +20 Prozent.

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Neben der Schaffung echter Marktbedingungen für Schadstoffe müssen alle Mitgliedstaaten dringend damit beginnen, strukturelle Veränderungen ihres Energieverbrauchs vorzunehmen. Heute liegt der Anteil erneuerbarer Energie am Endenergieverbrauch der EU bei 8,5 Prozent. Ein durchschnittlicher Anstieg von 11,5 Prozent ist also nötig, um bis 2020 das Ziel von 20 Prozent zu erreichen.

Hierzu schlägt die Kommission heute rechtlich verbindliche Ziele für jeden einzelnen Mitgliedstaat vor. Für jeden Mitgliedstaat bestehen andere Optionen, den Einsatz erneuerbarer Energiequellen weiter auszubauen, und die Vorlaufzeiten für die Einführung dieser Energien sind lang. Wie jeder Mitgliedstaat seine Ziele erreichen will und wie sich der Fortschritt wirksam überwachen lässt, wird aus den von den einzelnen Mitgliedstaaten zu erstellenden nationalen Aktionsplänen hervorgehen.

Solange das Gesamtziel der EU eingehalten wird, können die Mitgliedstaaten hinsichtlich der erneuerbaren Energie einen Beitrag zu den Gesamtanstrengungen Europas leisten, ohne dass dies notwendigerweise auf ihre eigenen Grenzen bezogen sein muss. Damit könnten sich die Investitionen dahin verlagern, wo erneuerbare Energien am effizientesten produziert werden können, was die Kosten um 1,8 Milliarden Euro reduzieren würde.

Zehn Prozent Biokraftstoffe im Verkehrssektor

Der heutige Vorschlag betrifft ebenso das bis 2020 zu erreichende Mindestziel eines Anteils von zehn Prozent Biokraftstoffen im Verkehrssektor der EU. Dieser Anteil muss auch von jedem Mitgliedstaat erreicht werden. Bei der Umsetzung dieses Ziels kommt es ganz wesentlich auf die Nachhaltigkeit an, weshalb in die Richtlinie entsprechende Kriterien aufgenommen wurden.

Die Kommission hat darüber hinaus neue Leitlinien für staatliche Umweltschutzbeihilfen verabschiedet, die den Mitgliedstaaten bei der Ausarbeitung einer nachhaltigen europäischen Klimaschutz- und Energiepolitik helfen werden. Gegenüber den Leitlinien von 2001 wird der Anwendungsbereich von Beihilfeprojekten erweitert und die Beihilfeintensität erhöht. Die Leitlinien legen neuen Bedingungen für staatliche Beihilfemaßnahmen zugunsten des Umweltschutzes fest und schaffen eine Balance zwischen Umweltvorteilen und möglichst geringen Wettbewerbsverzerrungen.

(Europäische Kommission/BMU/WWF/BUND/NABU, 24.01.2008 – DLO)

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