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Materialforschung

Steifer als Diamant

Künstlich hergestellter Werkstoff übertrifft Edelstein

Einen Stoff, noch stabiler und schwerer verformbar als der Diamant haben Wissenschaftler jetzt erstmals im Labor erzeugt. Ihr Trick dabei: Sie betteten dafür feine Partikel mit so genannter „negativer Steifigkeit“ in Zinn ein. Dieses jetzt in „Science“ veröffentlichte Experiment belegt damit zum ersten Mal theoretische Vorhersagen, die seit zehn Jahren postuliert werden.

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Bei der Herstellung von Verbundwerkstoffen gilt normalerweise, dass die Materialeigenschaften des neuen Werkstoffs diejenigen der Ausgangsmaterialien nicht übertreffen können. Kombiniert man zum Beispiel zwei Werkstoffe unterschiedlicher Steifigkeit, so liegt die Steifigkeit des Verbundstoffs zwangsweise zwischen den Werten der beiden Ausgangsmaterialien. Der Diamant als steifster Werkstoff in der Natur stellte somit lange Zeit eine obere Grenze der maximal erzielbaren Steifigkeit dar. Theoretiker sagten aber schon Ende der 90er-Jahre voraus, dass ein besonders steifer Werkstoff entstehen müsste, wenn er einen Anteil eines Stoffs enthält, der so genannte negative Steifigkeit aufweist.

In der Natur nicht möglich

"Solche Materialien kommen in Reinform in der Natur nicht vor", erklärt Dennis Kochmann von der Ruhr-Universität Bochum. "Man kann sich das vorstellen wie einen Ball, der einem Zusammendrücken nicht aufgrund seiner Steifigkeit eine Kraft entgegensetzt, sondern sich im Gegenteil von selbst weiter zusammenzieht."

Er gehörte zum deutsch-amerikanischen Forscherteam, das unter der Leitung von Professor Roderic S. Lakes von der Universität von Wisconsin-Madison einen solchen Werkstoff jetzt erstmals hergestellt hat.

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Einschluss in Zinn bewirkt negative Steifigkeit

Als Material mit negativer Steifigkeit wählten die Forscher Bariumtitanat (BaTiO3). Es durchläuft im Reinzustand bei ca. 120 bis 130°C eine strukturelle Phasenumwandlung: Das atomare Metallgitter verändert dann seine Struktur von kubischen zu tetragonalen Elementarzellen. Damit einher geht unter normalen Bedingungen eine Volumen- und Formänderung der Partikel. Ist ein Partikel aus Bariumtitanat jedoch während dieser Phasenumwandlung geometrisch beschränkt, zum Beispiel fest eingeschlossen in einem anderen, nicht- umwandelnden Material, so kann diese Umwandlung dazu führen, dass das Teilchen vorübergehend negative Steifigkeit erlangt.

Im aktuellen Fall wurden feine BaTiO3-Partikel der Größenordnung von rund 200 Mikrometern in einer Matrix aus Zinn eingeschlossen. Durch Veränderung der Temperatur konnten die Forscher die Phasenumwandlung des Bariumtitanats im Probenkörper hervorrufen. "Sobald die Phasenumwandlung erfolgt, bewirkt die steife Zinnmatrix die geometrische Beschränkung, die eine negative Steifigkeit in den Partikeln erlaubt", so Dennis Kochmann. Laut Theorie sollte das zu einem sehr starken Anstieg der Gesamtsteifigkeit des Verbundwerkstoffes führen. Diesen Effekt konnten die Forscher jetzt eindrucksvoll experimentell bestätigen.

Extreme Steigerung der Steifigkeit

Die Elastizität und die Dämpfungseigenschaft der Proben wurden über einen großen Temperaturbereich von Raumtemperatur bis 210°C gemessen. "Die Ergebnisse unserer Experimente zeigen, dass während der Phasenumwandlung der BaTiO3-Partikel die Steifigkeit des Verbundwerkstoffes vorübergehend eine extreme Steigerung auf über 1.000 Gigapascal und damit weit über die Werte der beteiligten Materialien hinaus erfährt", berichtet Kochmann. Zeitgleich trat eine Anomalie in der Dämpfungseigenschaft des Verbundwerkstoffes auf. Dazu reichen bereits geringe Mengen von BaTiO3 von zwischen drei und zehn Prozent am Gesamtgewicht aus, um den im Reinzustand weichen Zinn steifer zu machen als Diamant.

Hoffnung auf praktische Anwendung

Zwar ist der extreme Steifigkeitsanstieg in diesem Fall nur von kurzer Dauer und kompliziert über die Temperatur regelbar. "Hiermit ist aber allgemein die Möglichkeit nachgewiesen, Verbundwerkstoffe mit einer Phase negativer Steifigkeit herzustellen und dadurch die Steifigkeit extrem zu steigern", so Dennis Kochmann.

Das weckt die Hoffnung, dass negative Steifigkeit in Zukunft auch mit Hilfe anderer Phasenumwandlungen realisiert werden könnte; so ließen sich zum Beispiel im Fall von magnetisch oder elektrisch induzierbaren Umwandlungen Werkstoffe herstellen, die ihre Steifigkeit und ihre Dämpfungseigenschaft "auf Knopfdruck" um mehrere Größenordnungen zu steigern vermögen. So könnten etwa Autofahrwerke ihr Dämpfungsverhalten oder Werkzeuge ihre Belastbarkeit blitzschnell an extreme Situationen anpassen.

(Ruhr-Universität Bochum, 05.02.2007 – NPO)

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