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Neurobiologie

Schreiben auf Papier fördert die Merkfähigkeit

Analoges Papier liefert sensorische Zusatzinfos, die der Erinnerung auf die Sprünge helfen

Schreiben
Analoges Schreiben erleichtert das Erinnern – das zeigt sich auch an der Hirnaktivität. © nortonsrx/ Getty images

Vom Papier ins Gedächtnis: Wer per Hand auf analoges Papier schreibt, kann sich das Notierte besser merken. Notizen auf digitalen Geräten sind dagegen weniger wirkungsvoll – egal ob handgeschrieben oder getippt, wie Hirnscans bestätigen. Beim Erinnern an Informationen auf analogem Papier werden demnach verstärkt Hirnregionen aktiviert, die an imaginärer Visualisierung beteiligt sind – das hilft dem Gedächtnis auf die Sprünge.

Den Einkaufszettel auf dem Smartphone, die Notizen bei einem Vortrag direkt im PDF – viele von uns schreiben immer weniger mit der Hand. Auch in der Schule hält nach und nach die Digitalisierung Einzug. Doch wie beeinflusst es unser Gehirn, wenn wir tippen statt zu kritzeln und scrollen statt zu blättern?

Termine digital oder analog notiert

Damit hat sich nun ein Forschungsteam um Keita Umejima von der University of Tokyo in Japan auseinandergesetzt. Um herauszufinden, inwieweit das Erinnerungsvermögen davon abhängt, wie wir uns Informationen notiert haben, führten die Forscher einen Test mit 48 jungen Erwachsenen durch. Alle lasen zunächst eine fiktive Konversation zwischen Charakteren, die ihre Pläne für die kommenden zwei Monate besprachen und dabei Unterrichtszeiten, persönliche Termine und Abgabefristen für Aufgaben nannten.

Eine Gruppe der Probanden sollte die Termine in einen analogen Kalender eintragen, zwei weitere Gruppen in eine digitale Kalender-App. Dabei sollte die eine der beiden „Digital-Gruppen“ auf der Touchscreen-Tastatur eines Smartphones tippen, die andere mit einem Eingabestift per Hand auf ein dafür geeignetes Tablet schreiben. Die Testpersonen wurden so aufgeteilt, dass sich die Gruppen in Hinblick auf Geschlecht, Alter, Gedächtnisfähigkeit und persönlicher Vorliebe für digitale oder analoge Methoden ähnelten.

Unterschiede in der Hirnaktivität

Eine Stunde später, nach einer Pause und einer Aufgabe zur Ablenkung, sollten die Probanden Fragen zu den Terminen beantworten. Per funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) beobachteten die Forscher währenddessen ihre Hirnaktivität. „Bei einfachen Fragen schnitt die Gruppe, die Notizen auf Papier gemacht hatte, signifikant besser ab“, berichten die Forscher. Komplexere Fragen dagegen, etwa zur Beziehung zwischen einzelnen Terminen, beantworteten Teilnehmer aller drei Gruppen mit ähnlicher Genauigkeit.

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Auffällig waren jedoch Unterschiede in der Gehirnaktivität. Sie waren vor allem in Hirnregionen wie dem Hippocampus und dem Precuneus zu beobachten, die mit verbalem Gedächtnis und imaginärer Visualisierung verbunden werden. „Die Aktivierung dieser Hirnregionen war in der Papier-Gruppe deutlich stärker als in der Tablet- und der Smartphone-Gruppe“, schreiben Umejima und Kollegen.

Zwischen der Tablet- und der Smartphone-Gruppe dagegen beobachteten die Forscher keine Unterschiede bei der Hirnaktivität, obwohl die eine Gruppe per Hand geschrieben, die andere getippt hatte.

Das Analoge macht den Unterschied

Offenbar ist es also das analoge Papier selbst, das dem Gehirn zusätzliche Informationen im Erinnerungsprozess liefert. „Digitale Hilfsmittel haben ein einheitliches Scrollen nach oben und unten und eine standardisierte Anordnung von Text und Bildgröße, wie auf einer Webseite“, erläutert Umejimas Kollege Kuniyoshi Sakai. „Aber wenn Sie sich an ein physisches, auf Papier gedrucktes Lehrbuch erinnern, können Sie die Augen schließen und das Foto im unteren Drittel der linken Seite visualisieren, ebenso wie die Notizen, die Sie am unteren Rand hinzugefügt haben.“

Als Nebenergebnis stellten die Forscher fest, dass die Gruppe, die die Termine in den analogen Kalender eintrug, schneller damit fertig war als die Gruppen mit Kalender-App, also effizienter arbeiteten. „Die kürzere Zeit für das Aufschreiben und die höhere Genauigkeit bei den leichteren Fragen für die Papier-Gruppe deuten darauf hin, dass die kognitiven Prozesse in dieser Gruppe tatsächlich tiefer und solider waren“, so die Forscher.

Implikationen fürs E-Learning?

Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass wir immer weniger auf Papier schreiben, seien diese Befunde relevant. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Verwendung eines Papier-Notizbuchs Gehirnfunktionen höherer Ordnung beeinflusst. Dies könnte wichtige Implikationen für die Bildung haben, insbesondere im Hinblick auf die Vor- und Nachteile des E-Learnings“, konstatieren die Wissenschaftler.

In der Studie waren alle Teilnehmer zwischen 18 und 29 Jahren alt. Inwieweit die Ergebnisse auf Schulkinder übertragbar sind, ist unklar. Die Forscher vermuten aber, dass die Effekte bei Kindern und Jugendlichen sogar noch stärker ausfallen könnten. „Die Gehirne von Schülern sind noch in der Entwicklung und viel empfindlicher als die Gehirne von Erwachsenen“, sagt Sakai.

Weitere Studien könnten zeigen, inwieweit die Personalisierung von digitalen Dokumenten – etwa durch farbige Markierungen und virtuelle Haftnotizen – die räumliche Anordnung auf analogem Papier nachahmen und so mögliche Nachteile ausgleichen kann. Dennoch betont Sakai: „Unsere Take-Home-Botschaft ist, Papier-Notizbücher für Informationen zu verwenden, die wir lernen oder auswendig lernen müssen.“ (Frontiers in Behavioral Neuroscience, 2021; doi: 10.3389/fnbeh.2021.634158)

Quelle: University of Tokyo

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