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Technik

Roboterratten als Retter in der Not

Forscher entwickeln künstliche Systeme nach dem Vorbild der Natur

Roboterratten © Weizmann Instiute of Science

Intelligente Roboter mit fortgeschrittener Tasttechnologie zu entwickeln, die beispielsweise wie eine Ratte ihre Umgebung mit „Tasthaaren“ erkunden, ist das Ziel eines neuen EU-Projekts an dem Wissenschaftler aus sieben Ländern beteiligt sind. Im Rahmen von BIOTACT sollen dabei wissenschaftliche Erkenntnisse über den Tastsinn von Tieren auf künstliche Systeme übertragen werden. In Zukunft könnte diese Technologie Rettungsrobotern oder Minensuchmaschinen ermöglichen, auch bei Dunkelheit durch unwegsames Gelände zu navigieren und Objekte zu ertasten.

Auf der Grundlage der Prinzipien des aktiven Abtastens, das im Tierreich weit verbreitet ist, hat das multinationale Team bereits innovative Tasttechnologien entwickelt, einschließlich „Schnurrhaare“ an Roboterratten. Dieser Roboter mit Schnurrhaaren wird dazu imstande sein, sich sehr schnell bewegende Objekte zu lokalisieren, zu identifizieren und einzufangen.

„Der Einsatz des Anfassens wurde bisher beim Design künstlicher Intelligenzsysteme zumeist übersehen“, sagt Professor Ehud Ahissar aus dem Fachbereich Neurobiologie am Weizmann Institut.

„Für Nachttiere oder Tiere, die meist in der Dunkelheit leben, haben einen ausgeprägten Tastsinn, den sie weit mehr als ihr Sehvermögen einsetzen, um die physischen Informationen in ihrer Umgebung kennen zu lernen und aufzunehmen.“ Zu diesen Tieren zählt beispielsweise die Ratte. Mehrere Gruppen des internationalen Forschungsteams testen die Art und Weise, in der Ratten ihre borstigen Schnurrhaare benutzen, um ihre Umgebung zu erkunden und wie das Gehirn die gesammelten Informationen verarbeitet.

„Wenn wir es schaffen zu verstehen, wie dieser Tastsinn so effizient ist, werden wir Roboter entwickeln können, die diese Eigenschaft nachahmen und effektiv einsetzen.“, so Ahissar.

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Geheimnissen der Schnurhaare auf der Spur

Welches Geheimnis verbirgt sich hinter den „Schnurrhaaren“? Warum ist der Tastsinn dieser Schnurrhaare der Ratten so viel effizienter als die Fingerspitzen eines normalen Menschen? Die Teams der Arbeitsgemeinschaft konnten bereits einige Einsichten für diese Fragen bieten. Eine Erklärung betrifft die Art und Weise wie das Sinnessystem arbeitet: Schnurrhaare bewegen sich aktiv wiederholt hin und zurück, wobei sie Informationen aus der Umgebung ansammeln. Die Wahrnehmung beginnt in den Neuronen an der Basis der Schnurrhaare, die dann umgehend Signale an das Gehirn übermitteln.

Darüber hinaus haben die Experimente gezeigt, dass die Art und Weise wie die Ratte ihre Schnurrhaare einsetzt vom Kontext abhängig ist. Dieser scheinbar einfache Akt des Abtastens eine dreidimensionalen Objekts benötigt beispielsweise drei verschiedene Arten von Kodes, wobei jeder Kode eine andere Information enthält – die horizontale, die vertikale und die radiale – die Entfernung von der Basis der Schnurrhaare. Die horizontale Dimension ist beispielsweise durch die genaue zeitliche Steuerung der neuralen Signale in Relation zur Bewegung der Schnurrhaare kodiert.

Die vertikale Dimension wie zum Beispiel die Objekthöhe ist durch den vertikalen Abstand der Schnurrhaare kodiert, die ähnlich wie auf einem Gitter an beiden Seiten der Schnauze angeordnet sind. Die radiale Dimension hingegen ist in der Zahl der Abstände, in denen die Neuronen übermitteln, kodiert: Je näher sich ein Objekt an der Schnauze befindet, desto höher die Anzahl der Neuronübermittlungen.

Geschlossene Feedback-Schleifen

Die Forschungsarbeit der Arbeitsgemeinschaft zeigt auch auf, dass die Signale von den Schnurrhaaren über parallele Wege übermittelt werden, die innerhalb paralleler, geschlossener Feedback-Schleifen fungieren und konstant die erhaltenen Signale überwachen und ihre Reaktionen entsprechend verändern. Die Forscher sind der Ansicht, dass die komplexen Wechselbeziehung zwischen den Feedback-Schleifen verantwortlich sind für die reichhaltige und akkurate Kontrolle der Bewegung, aber gleichzeitig auch eine technologische Herausforderung darstellen, wenn man versuchen will, ein künstliches System zu bauen, das auf diesem Konzept beruht.

„Um die Rolle der Feedback-Schleifen eingehender zu untersuchen“, sagt Professor David Golomb von der Ben-Gurion-Universität in Israel, dessen Forschungsteam eine der Gruppen ist, die an dem multinationalen Projekt beteiligt sind, „müssen die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft theoretische Methoden und Berechnungen der theoretischen Physik und der angewandten Mathematik implementieren, um Modelle zu entwickeln und zu erforschen, die die komplizierten neuralen Abläufe definieren, die das aktive Tasten kontrollieren.“ Die Modelle basieren auf experimentellen Beobachtungen, und sollen voraussichtlich von den Teams der Arbeitsgemeinschaft getestet werden.

Bald besseres Verständnis des Gehirns?

Ahissar: „Das Ziel dieser Forschungsarbeit ist es einerseits, ein besseres Verständnis des Gehirns zu erzielen, und andererseits die Technologie voranzubringen. Damit gemeint ist, dass Forscher Roboter als experimentelle Werkzeuge einsetzen können, in dem die Wissenschaftler Schritt für Schritt System aufbauen, das dem Gehirn ähnelt, und somit könnten Einsichten in die Arbeit der inneren Komponenten des Gehirns erlangt werden.“

Und weiter: „In Bezug auf die technologischen Anwendungen schlagen wir vor, dass es die multiplen geschlossenen Feedback-Schleifen sind, die die Kerneigenschaften besitzen, die den biologischen Systemen einen Vorteil gegenüber den Robotiksystemen verleihen. Aus diesem Grunde wird die Implementierung dieses biologischen Wissens es den Robotikwissenschaftlern hoffentlich ermöglichen effizientere Maschinen zu bauen, damit sie dann in Rettungs- und auch in Suchmissionen unter schlechten Sichtbedingungen eingesetzt werden können.“

So könnte die grundlegende Erforschung von Tieren zum Wohl des Menschen beitragen und nicht nur medizinischen Zwecken dienen.

(idw – Weizmann Institut/Bernstein Center for Computational Neuroscience, 18.02.2008 – DLO)

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