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Physik

Rastlose Atome lassen Materialien altern

Erste Beobachtung „springender“ Atome in einem Feststoff gelungen

Äußerlich merkt man einem Ehering seine "innere Unruhe" nicht an. Auf atomarer Ebene geht es jedoch hoch her: Milliarden seiner Atome wechseln pro Sekunde ihren Platz. © Michael Leitner

Selbst in einem scheinbar stabilen Festkörper springen Atome ständig hin und her. Im Laufe der Zeit verursachen sie dadurch das Altern von Materialien. Bisher konnte diese Atombewegung jedoch nie direkt beobachtet und erforscht werden, doch mit Hilfe spezieller Röntgenstrahlen ist dies nun erstmals gelungen. Die jetzt in der Fachzeitschrift „Nature Materials“ veröffentlichte Studie eröffnet neue Wege für die Erforschung der Alterungsprozesse von Werkstoffen auf atomarer Ebene.

In Festkörpern geht es mitunter „wild“ zu. So wechseln beispielsweise in einem Goldring pro Sekunde bisweilen Milliarden von Atomen ihre Position. Das häufige Herumspringen der Atome spielt sich dabei nicht nur für Laien im Verborgenen ab. Auch den Physikern entzog sich dieser Vorgang lange der tatsächlichen Beobachtung. Genug Ansporn, dies zu ändern, hatten die Wissenschaftler aber auf jeden Fall: Denn die Ruhelosigkeit der Atome ist für das Altern – und damit den Verlust bestimmter Eigenschaften von Werkstoffen verantwortlich.

Röntgenstrahlen enthüllen Wanderung

Das Wissen um die Bewegung der Atome hat sich nun entscheidend vertieft: Ein Forscherteam der Fakultät für Physik an der Universität Wien konnte die Atome erstmals beim Springen durch einen Festkörper direkt verfolgen. Modernste Technologie in Form des europäischen Elektronen-Synchrotrons ESRF in Grenoble, Frankreich, das die Erzeugung spezieller Röntgenstrahlen von extrem

hoher Intensität und Qualität ermöglicht, war dazu notwendig. Diese Röntgenstrahlen – die derzeit weltweit in nur drei Forschungsanlagen produziert werden können – ermöglichten den Forschern die Beobachtung der Wanderung der Atome in einer Kupfer-Gold-Legierung.

Sprungrate verdoppelt sich alle zehn Grad

Im Detail fanden die Wissenschaftler heraus, wie weit und in welche Richtung die Atome springen, und wie dies durch die Temperatur beeinflusst wird. Projektmitarbeiter Michael Leitner dazu: „Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass Atome bei einer Temperatur von 270 Grad Celsius etwa einmal in der Stunde ihren Platz im Kristallgitter wechseln. Aber nicht nur das: Denn steigert man die Temperatur um zehn Grad Celsius, so verdoppelt sich die Sprungrate der Atome. Umgekehrt funktioniert das Ganze natürlich genauso. Wird es um zehn Grad kühler, dann springen die Atome nur halb so oft.“

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Auf der Grundlage des nun durchgeführten Experiments soll in Zukunft auch die Messung atomarer Bewegung in vielen, auch technisch wichtigen metallischen Systemen möglich sein. Damit ist die Basis geschaffen, um Alterungsprozesse von Werkstoffen verstehen zu können, die von der inneren Unruhe der Atome maßgeblich beeinflusst werden: So beruht beispielweise die Festigkeit von Automotoren oder die Funktionsweise von Computern darauf, dass deren Fremdatomen unter kontrollierten Produktionsbedingungen bei zumeist hohen Temperaturen ein bestimmter Platz zugewiesen wird. Leider tendieren die Atome aber auch dazu, bei hohen Temperaturen schnell wieder die ihnen „zugewiesenen“ Plätze zu verlassen – und die Werkstoffe verlieren ihre erwünschten Eigenschaften.

Neue Möglichkeiten durch kohärente Röntgenstrahlen

Abgesehen von den Erkenntnissen des Experiments rund um die springenden Atome ist auch dessen Realisierung spektakulär. Denn erst durch den ausgeklügelten Einsatz verschiedener Filter konnten dem Synchrotron spezielle, als „kohärent“ bezeichnete, Röntgenstrahlen entlockt werden. „Derzeit wird daran gearbeitet, die Qualität der Röntgenstrahlen noch weiter zu erhöhen“, so Leitner. „So wird beispielsweise gerade in Hamburg der europäische Röntgenlaser XFEL gebaut. Dieser Laser wird wieder neue Möglichkeiten bieten, auf die wir uns bereits freuen.“

Der geplante Einsatzbereich des europäischen Röntgenlasers geht dabei über die Untersuchung diverser Materialien weit hinaus. So soll er auch für die Aufklärung von Strukturen lebenswichtiger Substanzen, wie etwa von Proteinen, herangezogen werden können. Noch steckt die Nutzung der „kohärenten“ Röntgenstrahlen in den Kinderschuhen – das vom FWF unterstützte Projekt ist jedoch bereits ein erster, wichtiger Schritt hin zu deren universeller Anwendung.

(Wissenschaftsfonds FWF, 15.09.2009 – NPO)

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