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Materialforschung

Rätsel um Munchs „Schrei“ gelöst

Weiße Flecken im Gemälde entpuppen sich als Kerzenwachs

Auf dem 'Schrei' von Edvard Munch finden sich mysteriöse weiße Flecken (Lupe). © Norwegisches Nationalmuseum

Mysteriöse Flecken: Seit Jahrzehnten geben seltsame weiße Flecken auf dem Gemälde „Der Schrei“ von Edvard Munch Rätsel auf. Jetzt haben Forscher ihr Geheimnis gelüftet: Es handelt sich weder um Vogelkot, wie lange vermutet, noch um Farbkleckser. Stattdessen muss dem norwegischen Maler Kerzenwachs auf seine Leinwand getropft sein, wie eine Untersuchung im Röntgensynchrotron enthüllt.

Das Gemälde „Der Schrei“ von Edvard Munch ist eines der bekanntesten expressionistischen Gemälde. „In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts malte Munch vier Versionen des ‚Schreis'“, erläutert Nils Ohlsen vom Norwegischen Nationalmuseum in Oslo. Die älteste und berühmteste Version wird bis heute in diesem Museum aufbewahrt – und es hat eine Besonderheit: Auf der Oberfläche des Gemäldes ist eine Reihe rätselhafter weißer Spritzer zu sehen.

Mit Vogelkot bekleckert?

Weil Munch dafür bekannt war, viel im Freien zu malen, vermutete man lange Zeit, dass es sich bei diesen Flecken um Vogelkot handeln könnte. Doch dazu passt nicht, dass diese Flecken die Farbe nicht zu zersetzen scheinen, wie es bei dem ätzen Kot der Fall wäre. Zudem ist die weiße Substanz an einigen Stellen bereits abgeblättert und sah unter dem Mikroskop nicht aus wie Vogelkot.

Worum aber handelt es sich dann? „Es schien plausibel, dass die weißen Spritzer eher von weißer Farbe oder Kreide stammten, die versehentlich auf den ‚Schrei‘ getropft waren, während Munch in seinem Atelier an anderen Gemälden arbeitete“, sagt Tine Frøysaker von der Universität Oslo. Zudem malte Munch das Gemälde auf Pappe – was ein Malen im Freien oder sogar eine Lagerung draußen eher unwahrscheinlich macht.

KÖnnte dies Vogelkot sein? Großaufnahme eines der Flecken auf dem "Schrei" von Munch. © Norwegisches Nationalmuseum

Spurensuche im Röntgenlicht

Um der weißen Substanz auf die Spur zu kommen, durchleuchteten Frøysaker und ihre Kollegen den berühmten „Schrei“ mit einem mobilen Röntgenscanner. Dabei zeigte sich: In den rätselhaften Flecken waren keinerlei weiße Pigmente oder Kalzium zu entdecken. Das sprach gegen die Farbspritzer-Theorie. Woraus aber bestanden die Flecken stattdessen – war es womöglich doch Vogelkot?

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Um das zu klären, entnahmen die Forscher kleine Proben der Flecken und analysierten sie im besonders hellen Röntgenlicht des Deutschen Elektronensynchrotrons DESY in Hamburg. „Über das Streumuster, das bei der Durchleuchtung einer Probe entsteht, lässt sich unter anderem die innere Struktur der untersuchten Materialien auf atomarer Skala bestimmen“, erläutert DESY-Forscher Gerald Falkenberg.

Kerzenwachs statt Kot oder Farbe

Das überraschende Ergebnis: Das Streumuster der Röntgenstrahlen sprach weder für Kot noch für Farbe, sondern für etwas völlig Anderes: „Ich habe sofort das Streumuster von Wachskristallen erkannt, weil ich diesem Material bereits mehrere Male bei der Untersuchung von Gemälden begegnet bin“, berichtet Frederik Vanmeert von der Universität Antwerpen.

Die Messdaten der DESY-Röntgenquelle sprechen für Bienenwachs. © Universität Antwerpen

Instabile Gemälde wurden früher oft mit Bienenwachs oder ähnlichen Materialien imprägniert, um abblätternde Farbe zu sichern oder eine neue Leinwand auf die Rückseite einer verschlissenen aufzutragen. Im Fall des „Schreis“ allerdings scheinen die weißlichen Flecken eher aus Versehen auf die Leinwand gelangt zu sein. Nach Ansicht der Forscher ist die wahrscheinlichste Erklärung, dass es sich bei den weißen Flecken um Wachsspritzer handelt, die aus Versehen von einer Kerze in Munchs Atelier auf das Bild getropft sind.

Und die Legende vom Vogelkot? Um sicher zu gehen, untersuchten die Forscher zu Vergleichszwecken auch einige Vogelkotproben am DESY. „Dabei ist auf den ersten Blick zu erkennen, dass die Messdaten des Vogelkots nicht zu dem Material aus den weißen Flecken passen“, sagt Falkenberg. Die Theorie des vermeintlichen Vogelkots auf dem berühmten „Schrei“ sei damit wohl vom Tisch.

(Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY, 29.08.2016 – NPO)

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