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Materialforschung

Rätsel der verschachtelten Zwillinge gelöst

Prägender Faktor für Zwilling-in-Zwilling-Kristallstrukturen liegt auf der atomaren Ebene

Materialstruktur
Unter dem Elektronenmikroskop ähnelt die in sich verschachtelte Zwillingsstruktur dieser martensitischen Nickel-Mangan-Gallium-Legierung einem Bild des Malers Mondrian. © S. Kauffmann-Weiß/ IFW Dresden

Martensitischer Mondrian: Forscher haben herausgefunden, warum die Kristallstruktur von Stahl und anderen Feststoffen oft verschachtelte Zwillinge bildet – an einer Grenze gespiegelte Unterstrukturen, deren Grundmuster sich vom kleinsten bis in den größten Maßstab findet. Demnach bestimmt ein einziger Struktur-Parameter auf Atomebene, ob und wie sich diese ineinander geschachtelten Zwillingstrukturen ausbilden.

Von Mineralen wie Quarz oder Pyrit ist das Phänomen der Kristallzwillinge schon lange bekannt: Sie bilden Strukturen, die sich an einer Fläche berühren und wie Bild und Spiegelbild gleichen. Doch solche spiegelsymmetrischen Kristallstrukturen gibt es auch in gängigen Werkstoffen wie Stahl oder anderen Metalllegierungen. Dort kommen sie in nahezu allen Größenordnungen vor: von der atomaren Ebene bis zu makroskopisch sichtbaren Oberflächenmustern.

Zwillingsstrukturen
Zwillingsgrenzen (TB) auf fünf Größenebenen. © Schwabe et al. / Advanced Functional Materials, CC-by-sa 4.0

Wie hängen die Zwillingsstrukturen untereinander zusammen?

Doch so prägend solche Zwillinge und ihre Grenzflächen für die Eigenschaften vieler Werkstoffe sind – das Wissen über die Grundprinzipien der Zwillingsbildung sind lückenhaft. Obwohl sie schon auf jeder Längenskala beobachtet wurden, gab es keinen umfassenden Ansatz, der diese Strukturen über die Skalen hinweg miteinander in Verbindung bringt.

Nach einem solchen übergeordneten Prinzip für die hierarchische Zwillingsbildung haben nun Stefan Schwabe vom Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden und seine Kollegen gesucht. Dafür nutzten sie eine Legierung aus Nickel, Mangan und Gallium, deren martensitische Kristallstruktur Zwillingsstrukturen auf mehreren Ebenen ausbildet. Durch verschiedene Methoden der Elektronenmikroskopie und Elektronenstreuung analysierten sie die Zwillingsbildung.

Puzzle in fünf Größenordnungen

„Es war wie ein Puzzle“, schildern die Forscher ihr Vorgehen. „Man spielt erst mit atomaren Bauklötzen und stellt dann fest, dass man aus diesen einen größeren Baustein zusammensetzen kann. Dann haben wir weiter gepuzzelt und es ließ sich auch der nächstgrößere Baustein aus den Kleineren zusammensetzen. Das Ganze haben wir dann wiederholt, bis nach fünf Schritten alles zusammengepasst hat.“

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Ihre Analysen enthüllten, dass die Zwillinge im Material nicht zufällig und homogen entstehen, sondern eine ineinander verschachtelte Struktur formen: Winzige Zwillinge im atomaren Maßstab bilden Bereiche, die einen übergeordneten Zwilling formen, der wiederum Teil eines noch größeren Zwillings ist. „Durch das ineinander geschachtelte Puzzle erhält man Bilder, die sehr an den holländischen Künstler Mondrian erinnern“, sagt Schwabe.

Der prägende Faktor liegt auf der untersten Ebene

Das Entscheidende jedoch: Diese hierarchische Zwilling-in-Zwilling-Struktur wird von nur einem Faktor bestimmt – und dieser findet sich auf der untersten, kleinsten Ebene dieser verschachtelten Strukturen. „Dafür braucht die Natur nur einen einzigen Parameter, die Gitterkonstante der atomaren Bauklötze. Der Rest ergibt sich durch die wiederholte Verzwilligung von selbst“, erläutern die Wissenschaftler.

Wie aus der Gitterstruktur auf der kleinsten Ebene die hierarchischen Zwillingsstrukturen im Einzelnen entstehen, haben sie mithilfe ihres Modellmaterials und einer kristallografischen Simulation bis ins Details rekonstruiert. Dank dieses Wissens wird es nun möglich, die funktionellen Eigenschaften von Legierungen künftig noch gezielter zu beeinflussen – die verschachtelten Zwillingsstrukturen machen es möglich. (Advanced Functional Materials, 2020; doi: 10.1002/adfm.202005715)

Quelle: Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden

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