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Physik

Quantenphysik „verwischt“ die Zeit

Quanten-Phänomene der Überlagerung und Verschränkung können Zeitabläufe verändern

Zeit
Auch die Zeit könnte quantenphysikalischen Phänomenen unterliegen, wie nun ein Gedankenexperiment nahelegt. © Chakis Atelier / iStock.com

Verwischter Zeitpfeil: Der Lauf der Zeit ist möglicherweise weniger vorherbestimmt als gedacht. Denn die Quantenphysik kann die zeitliche Abfolge von Ereignissen unbestimmt machen oder sogar umkehren, wie nun theoretische Überlegungen nahelegen. In einem Gedankenexperiment demonstrieren die Forscher: Auch die Zeit unterliegt unter bestimmten Bedingungen quantenphysikalischen Phänomenen wie der Überlagerung und Verschränkung.

Die Zeit kennt nur eine Richtung: Sie läuft immer vorwärts – so jedenfalls die klassische Annahme. Denn die Entropie macht viele kausale Abläufe in unserer Welt irreversibel, deshalb setzt sich beispielsweise ein zerbrochenes Glas nicht selbst wieder zusammen. Seit Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie wissen wir allerdings, dass die Gravitationswirkung großer Massen die Zeit dehnen kann. Eine Uhr läuft deshalb im Tal ein klein wenig langsamer als auf einem Berggipfel – das kann man messen.

Beeinflusst Quantenphysik auch die Zeit?

Doch wie verhält sich die Zeit im Reich der Quantenphysik? Bekanntlich setzt diese einige Regeln der klassischen Physik außer Kraft und erlaubt exotische Phänomene wie die Überlagerung von Zuständen oder die Verschränkung von Teilchen. Könnten solche Phänomene auch den Lauf der Zeit beeinflussen? Tatsächlich haben Forscher in Laborexperimenten nachgewiesen, dass sich bei Quantenteilchen kurzzeitig die Entropie und damit auch der Zeitverlauf umkehren kann.

Unklar blieb aber bisher, ob Quantenprozesse auch beim Einfluss der Gravitation auf die Zeit wirksam werden können. Genau das haben nun Magdalena Zych von der University of Queensland und ihre Kollegen in einem Gedankenexperiment untersucht. „Unser Ausgangspunkt war die Frage, was eine Uhr messen würde, die unter dem Einfluss eines schweren Objekts im Überlagerungszustand steht“, erklärt Zych. Wenn beispielsweise die Entfernung dieses Objekts durch die Überlagerung unbestimmt ist – wäre dann auch die Zeitdehnung gleichzeitig stark und schwach? Und welche Folgen hätte dies für zeitliche Abläufe, deren Ausgang von dieser Zeitdehnung abhängen?

Szenario
Was passiert, wenn schwere Objekte wie hier die Planeten in Überlagerungszustand sind? Beeinflusst dies auch die Zeitdehnung und damit das Schiucksal der Raumschiffe? © Magdalena Zych, Igor Pikovski

Raumschiff-Duell im Weltraum

Das haben die Forscher nun in einem Gedankenexperiment untersucht. Illustrieren lassen sich ihre Überlegungen an folgendem Szenario: Im Weltall schweben zwei Raumschiffe, die zu vordefinierten Zeiten aufeinander feuern. Das jeweils andere Schiff weiß genau, zu welcher Uhrzeit dieser Angriff erfolgt und weicht daher zu diesem Zeitpunkt aus. Wenn nun jedoch dieses Raumschiff in das Schwerefeld eines Planeten gerät, dehnt dessen Schwerkraft die lokale Zeit – und die Borduhr des Schiffs geht nach. Dadurch weicht das Raumschiff zu spät aus und wird zerstört.

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Soweit das „klassische“ Szenario. Was aber passiert, wenn man den Planeten in einen Überlagerungszustand versetzen würde? Theoretisch wäre er dann gleichzeitig nah und weit entfernt. Damit aber müsste auch die von ihm verursachte Zeitdehnung gleichzeitig stark und schwach sein – die Zeit selbst wäre damit in einem unbestimmten Zustand der Überlagerung. Für die beiden Raumschiffe würde dies bedeuten: Ihr Ablauf von Schießen und Ausweichen geriete durcheinander, so dass theoretisch sogar beide gleichzeitig explodieren könnten.

Überlagerte Zeitabläufe

Doch ist ein solches Quantenphysik-Szenario mit der Physik der Raumzeit vereinbar? Genau das haben Zych und ihr Team theoretisch durchgerechnet. Das überraschende Ergebnis: Tatsächlich erlauben die physikalischen Gesetze einen solchen Einfluss quantenphysikalischer Phänomene auf die Zeit. Auch die Zeit kann demnach Merkmale der Überlagerung und Verschränkung aufweisen, wie die Forscher berichten.

„Die Abfolge von Ereignissen kann quantenmechanisch werden“, erläutert Koautor Igor Pikovski vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge. Um dies zu erreichen, sei keine neue Physik nötig. „Die Ergebnisse basieren vollständig auf der gut etablierten Allgemeinen Relativitätstheorie und der Quantenmechanik“, so die Forscher. Das Gedankenexperiment lege damit nahe, dass quantenphysikalische Phänomene auch im Kontext der Raumzeit möglich sind.

Praktische Bedeutung für Quantencomputer

Allerdings: In der Praxis lassen sich Überlagerung und Verschränkung bisher nur bei mikroskopisch kleinen Teilchen beobachten. Denn bei makroskopischen Objekten brechen diese Quantenzustände durch Störungen zu schnell wieder zusammen. Für reale Raumschiffe wird das Gedankenexperiment daher wohl nie wahr werden.

Anders ist dies aber für Quantencomputer: Für sie könnten die neuen Erkenntnisse ganz neue Möglichkeiten des Rechnens mit sich bringen, wie die Forscher erklären. Denn Quantencomputer, die eine Rechenabfolge mit Quanteneigenschaften nutzen, könnten Geräte übertreffen, die nur mit fixen Sequenzen arbeiten. (Nature Communications, 2019; doi: 10.1038/s41467-019-11579-x)

Quelle: Universität Wien, Stevens Institute of Technology

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