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Technik

Pilzgeige besser als Stradivari

Blind-Test belegt überlegene Klangqualität

Die fünf verschiedenen Modelle im Test. Rein äußerlich sind die Modelle kaum zu unterscheiden. © Bild: Egmont Seiler

Eine aus pilzbehandeltem Holz hergestellte moderne Geige ist offenbar besser als eine Original-Stradivari aus dem Jahr 1711. Dies hat zumindest ein Vergleichstest auf den 27. Osnabrücker Baumpflegetagen ergeben. Mehr als die Hälfte der Jurymitglieder entschied sich dort für die „Pilzgeige“ als das Instrument mit der überlegenen Klangqualität.

Am 1. September 2009 wurde es ernst für Empa-Forscher Francis Schwarze und den Schweizer Geigenbauer Michael Rohnheimer: Ihre aus pilzbehandeltem Holz hergestellten Geigen traten in einem Blindtest gegen eine Stradivari des Cremoneser Geigenbaumeisters Antonio Stradivari aus dem Jahre 1711 an.

Der britische Starviolinist Matthew Trusler spielte dazu fünf verschiedene Geigen hinter einem Vorhang, so dass das Publikum die Instrumente nicht erkennen konnte. Bei diesen Instrumenten handelte es sich um Truslers eigene zwei Millionen Dollar teure Stradivari, zwei pilzbehandelte sowie zwei unbehandelte Modelle von Michael Rohnheimer.

Eine Fachjury und die Tagungsteilnehmer beurteilten anschließend die Klangqualität der Geigen. Von den mehr als 180 Testern gefielen einer überwältigenden Mehrheit von 90 Personen die Klänge der pilzbehandelten Geige „Opus 58“ am besten. Die Stradivari erreichte mit 39 Stimmen den zweiten Platz. 113 Teilnehmer hielten gar die Opus 58 für die Stradivari. Opus 58 ist aus einem Holz hergestellt, das am längsten, nämlich während neun Monaten, mit Pilzen behandelt worden war.

Skepsis vor dem Blind-Test

Die Beurteilung der Klangqualität ist äußerst subjektiv, denn Wohlklang sei eben ein sinnlicher Genuss, kommentierte Empa-Forscher Schwarze die Ergebnisse. „Es gibt dafür kein eindeutiges naturwissenschaftliches Messverfahren“. Dementsprechend nervös sei er auch vor dem Test gewesen. Bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts werden Stradivaris mit anderen Meister-Geigen in so genannten Blindtests verglichen.

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Die wohl ernsthafteste Untersuchung hatte 1974 die englische BBC organisiert. Dabei sollten die weltberühmten Geiger Isaac Stern und Pinchas Zukerman sowie der englische Geigenhändler Charles Beare unterscheiden zwischen der „Chaconne“-Stradivari aus dem Jahr 1725, einer „Guarneri del Gesu“ von 1739, einer „Vuillaume“ von 1846 und einer vom englischen Geigenbaumeister Roland Praill gebauten Geige gleichen Namens. Das Resultat fiel ernüchternd aus. Keiner der Juroren identifizierte mehr als zwei der vier Instrumente korrekt, zwei hielten die modernde Geige sogar für die Chaconne-Stradivari.

Revolution in der Musikszene

Die Instrumente des italienischen Geigenbauers Antonio Giacomo Stradivari gelten in Sachen Qualität immer noch als unerreicht. Für ein einziges Exemplar geben Liebhaber Beträge in Millionenhöhe aus. Stradivari selber wusste nichts von Holz zersetzenden Pilzen, ihm kam seinerzeit die „Kleine Eiszeit“, die von 1645 bis 1715 herrschte, zur Hilfe.

In Mitteleuropa gab es damals lange Winter und kühle Sommer. Dadurch wuchs das Holz nur sehr langsam und gleichmäßig, was als ideale Voraussetzung für gutes Klangholz gilt. Horst Heger vom städtischen Konservatorium Osnabrück ist überzeugt, dass der Erfolg der Pilzgeige einer Revolution in der Musikszene gleichkommt: „Zukünftig werden sich auch Nachwuchstalente eine Geige mit der Klangqualität einer sündhaft teuren Stradivari leisten können“.

Holzqualität entscheidet über Klangqualität

Denn mit einem Preis von rund 25.000 Franken sind die Geigen von Rohnheimer vergleichsweise günstig. Nach Hegers Meinung liegt in der Holzqualität der bedeutendste Faktor für die Klangqualität der Geigen. Dies bestätigt nun auch das Ergebnis des Osnabrücker Blindversuchs. Die Pilze verändern die Zellstruktur des Holzes, dadurch verringert sich die Dichte des Holzes, andererseits wird das Holz homogener.

„Eine Pilzbehandlung verhilft der Geige, im Gegensatz zu einer Nichtbehandelten, zu einem wärmeren und runderen Klang“, erklärt Schwarze.

(idw – Empa – Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, 10.09.2009 – DLO)

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