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Physik

Neutrinos bei Wechselwirkung „ertappt“

Erster Nachweis der Rückstreuung von Neutrinos am Atomkern gelungen

Kaum größer als ein Schuhkaron ist der Detektor, mit den die Physiker der COHERENT Collarboration die Streuung der Neutrinos am Atomkern nachgewiesen haben. © Jean Lachat/ University of Chicago

Nach 43 Jahren endlich nachgewiesen: Physiker haben Neutrinos bei der Kollision mit Atomkernen beobachtet. Dadurch konnten sie erstmals eine spezielle Wechselwirkung der „Geisterteilchen“ mit Materie nachweisen, die kohärente elastische Neutrino-Kern-Streuung. Diese Interaktion war bisher nur theoretisch postuliert, sie könnte aber sowohl in Supernovae als auch bei Dunkler Materie eine wichtige Rolle spielen, wie die Forscher im Fachmagazin „Science“ erklären.

Neutrinos sind ziemliche Sonderlinge im Teilchenzoo: In jeder Sekunde rasen Billionen von ihnen durch unseren Körper, ohne dass wir dies spüren. Die „Geisterteilchen“ können sich zudem im Flug von einer Neutrino-Sorte in eine andere umwandeln. Neutrinos werden zudem ständig nachproduziert. Sie entstehen im Innern der Sonne, bei Supernovae und beim radioaktiven Zerfall in Reaktoren oder im Erdinneren.

Weil Neutrinos kaum mit Materie interagieren, lassen sie auch schwer einfangen oder untersuchen. Als Folge sind viele ihrer Eigenschaften ungeklärt. So weiß man zwar, dass diese Teilchen eine geringe Masse besitzen, konnte sie aber bisher nicht bestimmen. Ebenfalls nur Theorie war bisher eine bestimmte Art der Wechselwirkung von Neutrinos mit Atomkernen.

Vor 43 Jahren vorhergesagt

1974 sagte der US-Physiker David Freedman voraus, dass Neutrinos bei der Kollision mit einem Atomkern unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Atomkern als Ganzem interagieren. Diese sogenannte kohärente elastische Neutrino-Kern-Streuung lässt die Teilchen zurückfedern und erzeugt dadurch auch beim Atomkern einen winzigen Rückstoß.

„Stellen Sie sich vor, die Neutrinos sind ein Tischtennisball, der eine Bowlingkugel trifft“, sagt Koautor Juan Collar von der University of Chicago. „Sie übertragen nur einen winzigen zusätzlichen Impuls auf die Bowling-Kugel.“ Diesen minimalen Rückstoß zu messen, galt lange als unmöglich. Selbst Freedman selbst hielt es fast schon für Hybris, einen experimentellen Beweis zu versuchen.

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Das Entscheidende fand im Kellerkorridor statt: Komplex der Spallation Neutron Source (SNS) am Oak Ridge Laboratory © Oak Ridge National Laborator/ DOE

„Neutrino- Alley“ im Laborkeller

Doch Collar und seinen Kollegen von der COHERENT Collaboration ist genau dieser experimentelle Beweis für die kohärente elastische Neutrino-Kern-Streuung jetzt gelungen. Bei ihrem Experiment kam ihnen ein glücklicher Zufall zu Hilfe: Die Neutronenquelle SNS am Oak Ridge National Laboratory erzeugt quasi als Nebenprodukt auch einen starken Strom von Neutrinos.

Diese Neutrinos gehen normalerweise im „Störrauschen“ der Neutronen unter. Aber ein Korridor im Keller des Gebäudes, kaum 20 Meter von der Teilchenquelle entfernt, erwies sich als perfekte „Neutrino Alley“, wie die Physiker ihn tauften. Er war durch zwölf Meter Beton und Stahl so gut abgeschirmt, dass nur die Neutrinos des Strahls durchkamen.

Verräterische Lichtblitze

Wegen dieser hohen Konzentration an Neutrinos reichte den Forschern ein schuhkartongroßer und nur 14,5 Kilogramm schwerer Detektor für ihren Nachweis. Der Detektor besteht aus einem Cäsiumiodid-Kristall, der zusätzliche Natriumatome enthält. Trifft ein Neutrino einen der Atomkerne und es tritt eine Neutrinostreuung auf, reagiert der Kristall mit winzigen Lichtblitzen.

Und tatsächlich: Den Physikern gelang es, die kohärente elastische Neutrinostreuung mit einer Sicherheit von 6,4 Sigma nachzuweisen. Dies liegt deutlich über dem Wert von fünf Sigma, der in der Teilchenphysik als Minimum für eine offizielle Entdeckung gilt. „Erst die Kombination einer idealen Neutrinoquelle mit dem dafür idealen Detektor hat dies möglich gemacht“, sagt Collar.

43 Jahre nach ihrer theoretischen Vorhersage könnte damit diese schwer zu fassende Wechselwirkung der „Geisterteilchen“ mit Materie endlich nachgewiesen sein.

Der richtige Ort und der passende Detetktor machten den Nachweis möglich. © Juan Collar/ University of Chicago

Auch in Supernova und Dunkler Materie?

Die genauere Messung dieser Interaktion könnte künftig dabei helfen, mehr über die Eigenschaften und das Verhalten der Neutrinos herauszufinden. So könnte die gleiche Form der Kernstreuung auch in einer Supernova wirken:

„Wenn ein massereicher Stern kollabiert und explodiert, übertragen Neutrinos enorme Mengen an Energie an die Sternenhülle“, erklärt Kate Scholberg von Duke University, Sprecherin der COHERENT Collaboration. Dies könnte mittels kohärenter elastischer Neutrinostreuung geschehen. „Diesen Prozess zu verstehen hilft uns daher auch zu begreifen, wie diese dramatischen Ereignisse ablaufen“, so Scholberg.

Und sogar über die Dunkle Materie könnte diese Neutrino-Streuung mehr Aufschluss bringen. Denn einer der Theorien nach könnten auch die Weakly Interacting Massive Particles (WIMP), die möglichen Teilchen der Dunklen Materie, diese Form der Kernstreuung zeigen. „Was wir mit Neutrinos beobachtet haben, ist der gleiche Prozess, der auch in den WIMP-Detektoren stattfinden müsste“, erklärt Collar. Bisher allerdings fahnden die Detektoren vergeblich nach diesen hypothetischen Teilchen. (Science, 2017; doi: 10.1126/science.aao0990)

(Oak Ridge National Laboratory/ University of Chicago, 07.08.2017 – NPO)

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