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Physik

Neue Obergrenze für die Neutrinomasse

KATRIN-Experiment grenzt Masse des Elementarteilchens auf maximal 0,8 Elektronenvolt ein

KATRIN
Blick auf das Hauptspektrometer der "Neutrino-Waage" KATRIN. Mit dieser Anlage wurde die Neutrinomasse erstmals auf unter 0,8 Elektronenvolt eingegrenzt. © Markus Breig/ KIT

Barriere geknackt: Physikern ist es erstmals gelungen, die Masse des Neutrinos auf unter 0,8 Elektronenvolt einzugrenzen – dies entspricht weniger als einem Milliardstel der Protonenmasse. Der neue Wert ist ein wichtiger Schritt zur Enträtselung dieser für das Standardmodell und die Kosmologie bedeutsamen Elementarteilchen, wie das Team in „Nature Physics“ berichtet. Möglich wurde die Messung mit dem KATRIN-Experiment in Karlsruhe, das den Betazerfall von Tritium als Messmethode nutzt.

Neutrinos gehören zu den häufigsten und zugleich rätselhaftesten Teilchen unseres Universums. Denn diese Elementarteilchen wechselwirken kaum mit Materie, haben so gut wie keine Masse und ihre drei Sorten können sich buchstäblich im Fluge ineinander umwandeln. Gleichzeitig könnten diese „Geisterteilchen“ eine wichtige Rolle für noch unerklärte kosmische Phänomene spielen – vom mysteriösen Ungleichgewicht zwischen Antimaterie und Materie über „neue Physik“ jenseits des Standardmodells bis hin zu den noch unbekannten Teilchen der Dunklen Materie.

Entscheidend für all diese offenen Fragen ist die Masse der Neutrinos – eine bislang unbekannte Größe. Nach dem Standardmodell der Teilchenphysik müssten diese Teilchen eigentlich masselos sein. Doch die Entdeckung der Neutrino-Oszillationen widerlegte dies. Demnach besitzen die drei Neutrinosorten eine winzige, aber für sie charakteristische Masse. Theoretische Modelle und bisherige Messungen grenzen diesen Wert auf den Bereich zwischen 2 und 0,02 Elektronenvolt ein.

KATRIN-Aufbau
Aufbau des KATRIN-Experiments. © Leonard Köllenberger/ KATRIN Collaboration

KATRIN – eine „Waage“ für Neutrinos

Doch wie misst man die Masse eines so flüchtigen Teilchens? An diesem Punkt kommt das KATRIN-Experiment ins Spiel – die weltgrößte „Waage“ für Neutrinos. Die 70 Meter lange Anlage am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) nutzt den Betazerfall von radioaktivem Tritiumgas als Basis ihrer Messungen. Bei diesem Zerfall werden ein Elektron und ein Antineutrino frei. Dieses Antineutrino ist nicht direkt nachweisbar und auch seine Masse lässt sich nicht bestimmen – wohl aber die des Elektrons.

Wenn das Neutrino eine Masse besitzt, müsste die Energie und damit Masse des Elektrons um genau diesen Anteil geringer sein als die beim Tritiumzerfall insgesamt freigesetzte Energie. Das KATRIN-Experiment misst diese winzigen Abweichungen der Elektronenenergie. Dafür werden die beim Zerfall des Tritiumgases entstehenden Elektronen mithilfe supraleitender Magnete in ein Spektrometer geleitet. Dieses ist so einstellbar, dass es nur Elektronen bis zu einer bestimmten Energie durchlässt – es wirkt wie ein Filter. Hinter dem Spektrometer liegt ein Detektor, der die Energie dieser Elektronen mit hoher Präzision messen kann.

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Schon in der ersten Laufzeit des KATRIN-Experiments im Jahr 2019 gelang es den Physikern, mit KATRIN die Masse des Antineutrinos und damit auch des Neutrinos auf maximal ein Elektronvolt zu begrenzen. Seither wurden die Anlagen weiter optimiert, so dass in der zweiten Laufzeit Messungen mit noch höherer Präzision möglich waren.

Neue Obergrenze bei 0,8 Elektronenvolt

Jetzt liegen die Ergebnisse dieser neuen Messungen vor. Demnach muss die Masse des Elektronneutrinos kleiner sein als 0,8 Elektronenvolt. Das Neutrino hat demnach weniger als ein Milliardstel der Masse eines Protons. Erstmals ist es damit gelungen, die Obergrenze für die Neutrinomasse unter den Wert von einem Elektronenvolt zu senken – und damit dem Bereich näher zukommen, in dem Modelle diese Masse ansiedeln.

„Damit haben wir nun eine von kosmologischen Modellen unabhängige Information über die Neutrinomasse, anhand derer nun auch Nicht-Standardmodelle der Kosmologie überprüft werden können“, schreiben die Physiker der KATRIN-Kollaboration. Ihnen ist es zudem gelungen, die Präzision der Messungen durch Reduktion der Störsignale und eine Erhöhung der Signalrate deutlich zu erhöhen. Gegenüber früheren Messungen wurden die statistischen und systematischen Unsicherheiten um den Faktor drei beziehungsweise zwei verringert.

Fahndung nach sterilen Neutrinos

Ziel der KATRIN-Kollaboration ist es nun, die Präzision ihrer „Neutrino-Waage“ noch weiter zu erhöhen. „Die weiteren Messungen zur Neutrinomasse werden noch bis Ende 2024 andauern. Um das volle Potential dieses einzigartigen Experiments auszuschöpfen, werden wir nicht nur die Statistik der Signalereignisse kontinuierlich erhöhen, wir entwickeln und installieren fortwährend Verbesserungen zur weiteren Absenkung der Störereignisrate“, erklären die Wissenschaftler.

Ab 2025 soll KATRIN zudem um das neue Detektorsystem TRISTAN ergänzt werden, mit dem Physiker gezielt nach „sterilen“ Neutrinos suchen wollen – einer hypothetischen vierten Neutrinosorte. Sie gilt – sollte sie existieren – als einer der Kandidaten für das Teilchen der Dunklen Materie. (Nature Physics, 2022; doi: 10.1038/s41567-021-01463-1)

Quelle: Karlsruhe Institut für Technologie, Max-Planck-Institut für Physik

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