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Chemie

Neue Kristallform des Kalks entdeckt

Calciumcarbonat bildet eine zuvor unbekannte wasserhaltige Kristallvariante

Calciumcarbonat-Hemihydrat
Das neuentdeckte Calciumcarbonat-Hemihydrat bildet winzige, nadelförmige Kristalle. © Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung/ Zhaoyong Zou

Überraschung beim Allerwelts-Mineral: Forscher haben eine zuvor unbekannte Kristallform des Kalks entdeckt. Das sogenannte Calciumcarbonat-Hemihydrat (CCHH) entsteht, wenn amorphes Calciumcarbonat in Gegenwart von Magnesium kristallisiert. Calciumcarbonat besitzt demnach nicht nur fünf, sondern sogar sechs verschiedene Kristallstrukturen, wie die Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten. Jetzt müssen die Chemielehrbücher umgeschrieben werden.

Calciumcarbonat (CaCO3), im Volksmund als Kalk bekannt, ist eines der größten Reservoire für Kohlenstoff auf unserem Planeten. Es bildet Gesteine wie Kreide, Kalkstein und Marmor, prägt mit seinen bizarren Tropfsteinformationen viele Höhlen und formt die Karstlandschaften der Erde. Calciumcarbonat findet sich aber auch in den Schalen und Skeletten vieler Land- und Wassertiere.

Bisher waren es fünf

Bisher waren fünf Kristallformen des Calciumcarbonats bekannt: die drei reinen Kristallpolymorphe Calcit, Aragonit und Vaterit, sowie zwei Kristallphasen, die gebundenes Wasser enthalten – Monohydrocalcit und Ikait. Zusätzlich zu diesen kristallisierten Formen kann Kalk zudem in verschieden amorphen Zuständen vorkommen. Sie spielen eine entscheidende Rolle als Vorformen für die Kalkschalen vieler Lebewesen – aus ihnen produzieren beispielsweise Seeigel ihre Skelette.

Diesen Prozess wollten Zhaoyong Zou vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam nachvollziehen, als sie im Labor mit dem Übergang von amorphem Calciumcarbonat zu kristallinen Formen experimentierten. Unter verschiedenen Temperaturen und Lösungskonzentrationen testeten sie, wann und wie sich Kristalle bildeten.

Winzige nadelförmige Kristalle

Doch dabei bemerkte Zhou etwas Ungewöhnliches: Wenn die Lösung zusätzlich zum Calciumcarbonat einen bestimmten Anteil von Magnesium-Ionen enthielt, entstand etwas, das ganz anders aussah als das eigentlich erwartete Calcit. Es bildeten sich winzige nadelartige Kristalle von bis zu einem Mikrometer Länge und rund 200 Nanometern Dicke.

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„Wir haben das erst für die Folge einer Verschmutzung gehalten“, sagt Zhous Kollege Peter Fratzl. Doch Versuche unter den gleichen Bedingungen führten immer wieder zu diesen Nadelkristallen. Nähere Analysen mittels Infrarot- und Ramanspektroskopie enthüllten, dass sich die Spektren dieser Kristalle deutlich von denen aller bisher bekannten Calciumcarbonat-Varianten unterschieden, wie die Forscher berichten. Auch in ihrer Röntgenstreuung passten diese Kristalle zu keiner bekannten Form.

Eine ganz neue Kristallform

Damit war klar: Zhou und sein Team waren auf etwas völlig Neues gestoßen. „Wir berichten über die Entdeckung und Charakterisierung einer bisher unbekannten hydratisierten Kristallform des Cacliumcarbonats“, schreiben die Forscher. Ihren Analysen nach handelt es sich bei dieser Verbindung um ein Calciumcarbonat-Hemihydrat mit der Formel CaCO3 · ½ H2O. „Es passiert nicht so oft in einem Forscherleben, dass etwas völlig Unerwartetes entdeckt wird, nach dem man eigentlich gar nicht gesucht hat“, sagt Fratzl.

Wie die Wissenschaftler herausfanden, entsteht die neue Kristallform aus amorphem Calciumcarbonat in Lösung immer dann, wenn fünf bis neun Prozent Magnesium-Ionen enthalten sind. „Wir nehmen an, dass das gelöste Magnesium die Kristallisation von Calcit in diesem System hemmt und die Bildung von CCHH fördert“, erklären Zhou und seine Kollegen. Wie sie feststellten, ist CCHH offenbar nicht dauerhaft stabil: Es nimmt mit der Zeit weiteres Wasser auf und wandelt sich in die hydratisierte Form Monohydrocalcit um.

Lehrbücher müssen angepasst werden

„Die Entdeckung von CCHH, seinen Bildungswegen und seiner Struktur erweitern unser Wissen über die Calciumcarbonat-Familie erheblich“, konstatieren die Forscher. „Dies könnte erhebliche Bedeutung für die Biomineralisation, Geologie und die industriellen Prozesse haben, die auf der Hydratisierung von Calciumcarbonat basieren.“ Klar scheint, dass nun die einschlägigen Lehrbücher und Lexikon-Einträge um eine weitere kristalline Erscheinungsform des Kalks ergänzt werden müssen.

Offen ist allerdings noch, ob die neuentdeckte Kalkvariante auch in der Natur vorkommt. Nach Ansicht der Forscher könnte es aber gut sein, CCHH bei Prozessen der Biomineralisierung eine Rolle als Zwischenstufe spielt, etwa beim Übergang von amorphem Calciumcarbonat in Calcit. Zhou und sein Team wollen die neue Kristallform und die mit ihm verbundenen Prozesse nun weiter untersuchen. (Science, 2019; doi: 10.1126/science.aav0210)

Quelle: Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung

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