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Materialforschung

Neue Art des Glases entdeckt

Forscher beobachten erstmals aktives topologisches Glas mit Ringmolekülen

Ringmoleküle
Diese verknäulten Ringmoleküle machen Polymerre zu einem neuartigen Glas. © Jan Smrek/ Universität Wien

Neuer Materialzustand: Forscher haben eine neue Art von Glas entdeckt, die sich aus langen Ringmolekülen zusammensetzt. Wenn die Wissenschaftler Teile der Ringe beweglicher machten, wickelten diese sich stärker ineinander und bildeten ein starres Glas. Dieses sogenannte aktive topologische Glas ist schon länger theoretisch vorhergesagt. Wie die Forscher im Fachjournal „Nature Communications“ berichten, ist es das erste Mal, dass dieser Zustand beobachtet wurde.

Glas ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Als Quarzglas kommt es in Fensterscheiben, Linsen oder Glasflaschen vor. Umso erstaunlicher scheint es, dass der Glaszustand zu den physikalischen Phänomenen gehört, die auch heute noch teilweise mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Die Ursache für die ungewöhnlichen Eigenschaften des Materials ist sein amorpher Zustand: Seine molekularen Bausteine bilden kein geordnetes Kristallgitter, sondern sind vollkommen ungeordnet.

Glas auch aus ringförmigen Komponenten?

Herstellen lassen sich solche amorphen Strukturen durch das rapide Abkühlen einer Schmelze. Dadurch erstarren die molekularen Komponenten in einem ungeordneten Muster und werden fest und formbeständig – mit wenigen Ausnahmen. Neben dem gängigen Quarzglas aus Siliziumdioxid können jedoch auch Metalle oder Kunststoffe wie Acryl Gläser bilden. Typisch für solche Polymergläser ist ein Aufbau aus primär linearen Molekülkomponenten.

Doch vor etwa 25 Jahren sagten Wissenschaftler die Existenz einer neuen Glasphase vorher, deren Bausteine keine linearen Molekülketten mehr sind, sondern ringförmige Polymere. Wenn sich diese Ringmoleküle ineinander fädeln, schränken sie sich dabei in ihrer Bewegung gegenseitig ein. Da es sehr lange dauern würde, bis sich die Ringe ausschließlich durch thermodynamische Fluktuationen entfädeln würden, verhält sich diese Struktur de facto wie ein Glas.

Bisher wurden solche Strukturen allerdings noch nie im Experiment beobachtet. Simulationen zeigten, dass man einen solchen Zustand nur durch schwer zu erreichende Bedingungen wie das künstliche Einfrieren der Ringe erreichen könnte.

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Starre Körper durch mobile Segmente

Jetzt haben Jan Smrek von der Universität Wien und dem Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz einzelne Ringsegmente in Simulationen beweglicher gemacht und konnte so erstmals den aktiven topologischen Glaszustand beobachten. Je stärker die Fluktuationen der Ringsegmente waren, desto stärker verwickelten sich die Ringmoleküle ineinander. Das Material wurde dadurch insgesamt fester und ging in den Glaszustand über.

In der Praxis ließen sich die stärkeren Fluktuationen der Segmente durch molekulare Motoren bewerkstelligen. Diese bestehen aus Segmenten der Polymerketten, die die Forscher durch lokal erhöhte Temperaturen selektiv in Bewegung versetzten.

„Eine weitere Möglichkeit ist die Synthese von Ringen, die Segmente mit erhöhter Lichtabsorption enthalten“, erklärt Smrek. „Solche aktiv angetriebenen Ringe fädeln und verwickeln sich dann so stark, dass sie sich praktisch nicht aneinander vorbeibewegen können. Bemerkenswert ist, dass wir das topologische Glas bei experimentell zugänglichen Ringlängen und Antriebskräften beobachten.“

Ähnlichkeit zum DNA-Strang

Laut Aussage der Forscher sind bereits jetzt erste Anwendungen des neuen Materialzustandes in Sicht: „Detailliertere Materialeigenschaften des aktiven topologischen Glases werden in Zukunft weiter untersucht werden“, sagt Seniorautor Christos Likos von der Universität Wien. „Aber schon jetzt ist es spannend, nicht nur aus Sicht der Grundlagenforschung, sondern auch aufgrund der möglichen Anwendungen, beispielsweise flüssiges Material mit umkehrbarer Verglasung bei Lichteinwirkung“.

Der Zusammenhang mit einem vollkommen anderen Phänomen ist ebenfalls erstaunlich: Die Eigenschaften des Materials basieren auf ähnlichen physikalischen Prinzipien wie die von DNA-Strängen in den Kernen von lebenden eukaryotischen Zellen. „Wir sind uns der Ähnlichkeiten unseres simulierten Systems mit den Kernen lebender Zellen bewusst. Ob sich allerdings die DNA unter realen Lebensbedingungen im Zustand des aktiven topologischen Glases befinden könnte, bleibt eine offene Frage“, meint Smrek. (Nature Communications, 2020; doi: 10.1038/s41467-019-13696-z)

Quelle: Universität Wien

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