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Technik

Navi-App für Blinde

Algorithmus erkennt Hindernisse und freie Wege und gibt akustische Hinweise

Die Navi-App für Blinde erkennt den Weg anhand seiner Farbsättigung und macht den Wegverlauf dann hörbar © Harald Kucharek

Wege hören: Eine neue App „zeigt“ Blinden den Weg und warnt vor Hindernissen – mithilfe spezieller Töne. Über die Handykamera erkennt ein Algorithmus Hindernisse und freie Wege und gibt diese Information akustisch an den Nutzer weiter. Das neue Assistenzsystem soll den klassischen Blindenstock nicht ersetzen, wie die Forscher betonen. Es kann aber den Betroffenen dabei helfen, sich selbstständig zu orientieren.

Blinde Menschen stehen im Alltag vor großen Herausforderungen. Besonders im Straßenverkehr fällt eine selbstbestimmte Orientierung häufig schwer: Hindernisse versperren den Weg, der Waldweg endet im Gebüsch. Ohne Augenlicht ist es entsprechend schwer, solche Probleme zu erkenne und sicher zu navigieren – selbst mit Blindenstock oder Blindenhund. Zwar gibt es inzwischen auch technische Hilfen, doch diese basieren oft auf teurer Spezialtechnik oder gelangen nicht über die Testphase hinaus.

Smartphone statt teure Technik

Es geht aber auch anders: Informatikstudierende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben eine neue Navigationshilfe entwickelt, die ganz ohne teures Equipment funktioniert – ein handelsübliches Smartphone reicht aus. Zusammen mit der Softwarefirma iXpoint haben die Forscher das neue Leitsystem in der App „Camassia“ verpackt, die für das iPhone schon zum Download verfügbar ist.

Ursprünglich hatten die Studierenden die Software für autonome Roboterautos entwickelt. „Grundlage war eine Beobachtung, die jeder selbst ganz einfach nachprüfen kann: Fußwege haben in der Regel eine geringere Farbsättigung als ihre Umgebung“, sagt Michael Fürst vom KIT. Er programmierte damals den Roboter Beteigeuze mit einem entsprechenden Bilderkennungsalgorithmus. Dadurch konnte Beteigeuze die Farbinformationen aus der Bordkamera in Steuerbefehle umsetzen und sich selbstständig orientieren.

Farbsättigung als Indikator

Nun findet diese Technik eine ganz neue Anwendung – als Navi für Blinde und Sehbehinderte. Im Alltag funktioniert die neue Navi-App ganz einfach: „Der Nutzer hält das Smartphone in Laufrichtung und sobald die Farbeigenschaften des Weges erfasst sind, kann es losgehen“, erklärt Sebastian Ritterbusch von iXpoint. „Das Smartphone muss dabei weder gerade noch besonders ruhig gehalten werden.“

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Das Erstaunliche: Das neue System funktioniert völlig unabhängig von Satellitennavigation, komplexen Sensoren oder elektronischen Karten. Doch was läuft dann genau im Smartphone ab? Die Handykamera nimmt jede Sekunde 30 Bilder auf, die kontinuierlich über den Bewegungssensor begradigt werden. Der Algorithmus berechnet dann den Bereich mit der geringsten Farbsättigung: Dort befindet sich am wahrscheinlichsten ein Fußweg, dem man folgen kann.

Die Navi-App Camassia in Aktion© KIT/Camassia.de

Aus Farben werden Töne

Die Bildinformation wird nun – mit höchstens einer Zehntelsekunde Verzögerung – in eine Skala aus 24 Tönen umgewandelt. Hohe Töne bedeuten einen freien Weg nach links, ein tiefer Ton signalisiert „rechts frei“ und ein leiser pulsierender Ton heißt „geradeaus gehen“. Damit das Navigationssystem nicht die Umgebungsgeräusche übertönt, empfehlen die Entwickler, Kopfhörer zu nutzen, die den Ton über die Knochen leiten.

Die einfache Handhabbarkeit der „Camassia“-App hat einen Grund. Der Informatiker Gerhard Jaworek vom Studienzentrum für Sehgeschädigte (SZS) am KIT hat entscheidend bei der Entwicklung mitgeholfen. Er ist selbst blind und hat die App von Anfang an getestet. „So konnte ich darauf achten, dass ein Produkt entsteht, das wirklich hilft und nicht an der Zielgruppe vorbei entwickelt wird“, sagt Jaworek.

Die App wird seinen Blindenstock wohl nicht ersetzen, sie sei aber eine willkommene Ergänzung, findet Jaworik. Nun könne er im Park auch Nebenpfade einschlagen und sich besser in Innenräumen orientieren.

Website mit mehr Informationen zur App Camassia

(Karlsruher Institut für Technologie, 22.03.2018 – YBR)

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