Schweizer Forscher haben sich ein ungewöhnliches Hilfsmittel ausgesucht, um Regen zu messen: Mobilfunkantennen. Weil Niederschläge das Mobilfunknetz auf ganz spezifische Weise stören, können die Wissenschaftler mithilfe von Daten eines Telekommunikationsunternehmens die gefallenen Regenmengen deutlich exakter bestimmen als mit traditionellen Verfahren.
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Kombiniert mit intelligenten Steuerungen im Kanalisationssystem soll die Methode künftig den Gewässerschutz in Siedlungsgebieten verbessern, so die Forscher vom Wasserforschungsinstitut Eawag.
Umweltgefahr durch unerwartete Regenfälle
Unerwartete Regenfälle überlasten vor allem in dicht besiedelten Gebieten häufig die Kanalisationen: Das Regenwasser mischt sich in den Abflusskanälen mit dem Siedlungsabwasser. Die Wassermassen werden dann oft zu groß für die Rückhaltebecken. Die braune Brühe gerät in angrenzende Gewässer. Abwasser, darunter auch Chemikalien – zum Beispiel aus Arznei-, Putzmitteln und Pestiziden – gelangen so verdünnt, aber ungefiltert in Bäche, Flüsse und Seen.
Über das ganze Jahr gesehen sind das zwar keine riesigen Mengen, je nach Schadstoff gelangen nur rund zwei bis fünf Prozent der Gesamtmenge via Regenentlastung ins Gewässer. Doch die kurzzeitig hohen Belastungsspitzen können Algen oder Fische schädigen. Weil mit der Klimaerwärmung in Mitteleuropa starke Regenfälle zunehmen, wird sich das Problem aber zuspitzen, sagt Projektleiter Jörg Rieckermann von der Eawag.
Forscher entwickelt neues Computermodell
„Können Regenfälle lokal genauer erfasst werden“, so der Umweltingenieur, „würde das eine Steuerung der Kanalisationssysteme erlauben, die Schmutzwasserüberläufe soweit als möglich verhindert.“ Der Eawag-Wissenschaftler entwickelt deshalb ein Computermodell, das mit Hilfe von Daten aus dem Mobilfunknetz Regenereignisse räumlich und zeitlich wesentlich genauer rekonstruiert als mit traditionellen Methoden.
Geringere Signalstärke
Und so funktioniert es: Was die Mobilfunkbetreiber ärgert – dass die Regentropfen die Richtfunkverbindung zwischen zwei Antennen und damit die Datenübertragung stören – machen sich Rieckermann und sein Team zunutze. Aus den Daten über die Abschwächung der Signalstärke berechnen die Forscher die Intensität der Regenfälle entlang der Verbindungslinie zwischen zwei Antennen.
Dank des engmaschigen Mobilfunknetzes sind die Eawag-Regendaten räumlich und zeitlich besser aufgelöst als die Werte von Regenmessern oder Wetterradar. Statt von einem einzigen Punkt aus zu messen, stammen die Mobilfunkdaten von einem Netz vieler sich überschneidender Richtfunkverbindungen. Ein kleinräumiges Gewitter kann noch so heftig sein – ist der Regenmesser auch nur hundert Meter entfernt, verpasst er dieses komplett.
„Das ist oft ein bisschen wie Lotto spielen“, sagt Rieckermann. Ein Wetterradar kann zwar eine ganze Zone erfassen, es hat aber den Nachteil, dass die Radarstrahlen bei intensiven Regenfällen stark abgeschwächt werden. Zudem löst das Gelände störende Echos aus – in der Schweiz voller Hügel und Berge ein großes Problem.
Niederschläge werden aus Funksignalen rekonstruiert
Regenmessungen via Mobilfunknetz sind nicht ganz neu, fanden aber bis jetzt keine praktische Anwendung. Mit den umfangreichen Daten, die der Mobilfunkanbieter Orange der Eawag zur Verfügung stellte, ist es jetzt zum ersten Mal möglich, dieses System für den Gewässerschutz einzusetzen. Um die Methode auf ein rund 150 Quadratkilometer großes Gebiet in der Region Zürich mit weit verzweigtem Kanalisationsnetz zu übertragen, analysierten die Eawag-Forscher die Daten von 23 Richtfunkverbindungen in dieser Region – effektiv nutzbar wären sogar hundert. Diese verglichen sie für einen Zeitraum von zwei Monaten mit den Messwerten von 13 Regenmessern, zwei Tropfenspektrometern und dem Wetterradar von MeteoSchweiz auf dem Albis. So konnten sie das Modell eichen, und können nun Niederschläge aus den Funksignalen rekonstruieren.
Noch mehr Genauigkeit erhofft sich Rieckermann, wenn künftig auch die Tropfengröße in die Berechnungen mit einbezogen wird: Wenige große Tropfen streuen und schwächen das Funksignal nämlich ähnlich wie viele kleine, bringen aber meistens weniger Regen. Daher entwickeln zurzeit Projektpartner an der ETH Lausanne Methoden, die diese Muster berücksichtigen.
Erste Tests in Gemeinden geplant
Sein Vorhersagemodell wird Rieckermann demnächst mit zwei interessierten Gemeinden auf die Praxistauglichkeit testen. Die Steuerung der Regenrückhaltebecken soll mit den kleinräumigen Prognosen der Stärke und Richtung von Regenfällen gekoppelt werden. In gefährdeten Gebieten sollen die Rückhaltebecken dann vor und während Regenereignissen so reguliert werden, dass vorsorglich Kapazitäten für die erwarteten Wassermassen vorhanden sind und auf diese Weise möglichst wenig Schmutzwasser überläuft.
„Vor dem Hintergrund des Klimawandels kann das entscheidend sein. So kann man noch vorhandene Reserven aktivieren, ohne das Kanalisationssystem neu bauen zu müssen“, sagt Rieckermann.
(Eawag, 04.02.2010 – DLO)