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Megastädte: Motoren globalen Wandels

Forscher untersuchen neue Herausforderungen weltweiter Urbanisierung

Dhaka - informelle Siedlungen (Vordergrund) und Hochhäuser © Frauke Kraas

Gerade mal sechs Städte mit mehr als fünf Millionen Einwohnern gab es 1950 – New York, London, Tokio, Paris, Shanghai und Buenos Aires -, im Jahr 2015 werden es vermutlich bereits 60 sein. Megastädte gewinnen als neue Phänomene der weltweiten Urbanisierung aufgrund ihrer wachsenden Zahl, enormen Größe und rasanten Entwicklung immer mehr an Bedeutung. Wissenschaftler sehen in ihnen Knotenpunkte von Globalisierungsprozessen und Steuerungszentralen einer zunehmend von Städten dominierten Welt.

„Neu sind die bisher unbekannten Dimensionen des Flächen- und Bevölkerungswachstums sowie die hohe Konzentration von Menschen, Infrastruktur, Wirtschaftskraft, Kapital und Entscheidungen“, erläutert Professorin Frauke Kraas vom Geographischen Institut der Universität zu Köln. „Noch auffälliger sind aber die Gleichzeitigkeit und Überlagerung der verschiedenartigsten ökologischen, ökonomischen, sozialen und politischen Prozesse mit vielfältigen wechselseitigen, sich zum Teil selbst verstärkenden Beschleunigungs- und Rückkopplungseffekten.“

Forscher haben längst aber auch einen zunehmenden Verlust an Regier- und Steuerbarkeit bei gleichzeitiger Zunahme informell ablaufender Prozesse registriert – sowie eine enorme Vielzahl und Vielfalt von an der Stadtentwicklung beteiligten Akteuren und ihren Verflechtungen.

Abgrenzungen und Dimensionen

Megastädte grenzt man zumeist nach quantitativen Merkmalen ab. Sie sind danach – unterschiedlichen Definitionen zufolge – Metropolen mit mindestens fünf, acht oder zehn Millionen (Mio.) Einwohnern. Manchmal werden zudem Schwellenwerte der Einwohnerdichte festgelegt (mindestens 2.000 Einwohner pro Quadratkilometer (km²)) und nur Städte mit einem einzigen Zentrum berücksichtigt.

Städtische Bevölkerung (in Milliarden) © Frauke Kraas / R. Spohner

„Hinzu rechnet man in letzter Zeit oft so genannte polyzentrische Agglomerationen, das heißt Großräume, in denen mehrere Metropolen so dicht beieinander liegen, dass sie ohne merkliche Grenzen ineinander übergehen und funktional ein integriertes urbanes Netz darstellen“, so Kraas. Deshalb zählen beispielsweise das Rhein-Ruhr-Gebiet – mit mehr als 13 Mio. Einwohnern ist es Europas größte megaurbane Region – oder das Pearl River Delta (Südchina, 2006 knapp 48 Mio. Einwohner) als aufsteigende „world factory“ ebenfalls zu den Megastädten.

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Insgesamt gibt es je nach gewähltem unteren Schwellenwert weltweit gegenwärtig 16, 24 oder 39 Megastädte (Städtische Bevölkerung (pdf, 541 KB)). „Bezieht man solche mit mehr als fünf Mio. Einwohnern und damit die jüngst aufsteigenden, so genannten ‚emerging megacities’ ein, werden im Jahr 2015 weltweit mehr als 600 Mio. Menschen in voraussichtlich dann 60 Megastädten leben“, prognostiziert Kraas. Mehr als zwei Drittel von ihnen liegen in Entwicklungsländern; ihre Bevölkerungszahlen haben sich oft während der letzten Jahrzehnte vervielfacht.

Flächenausdehnung, Verdichtungsprozesse und Überlastungserscheinungen

Rein statistische, quantitative Abgrenzungen von Megastädten bleiben jedoch unbefriedigend, da aktuelle Bevölkerungszahlen auf uneinheitlichen Erhebungen beruhen und unterschiedliche Raumabgrenzungen administrativer Gebietseinteilungen zugrunde liegen. Entscheidender sind qualitative Kennzeichen der Megastädte. Zu diesen zählen – bei erheblichen individuellen Unterschieden zwischen Megastädten in Industrie-, Transformations- und Entwicklungsländern sowie in wachsenden, stagnierenden oder schrumpfenden Volkswirtschaften – eine Reihe oft anzutreffender Gemeinsamkeiten – darunter intensive Flächenausdehnung, Verdichtungsprozesse sowie infrastrukturelle, soziale, wirtschaftliche und ökologische Überlastungserscheinungen.

Menschenmassen in Mumbai, Indien. © Frauke Kraas

Nur wenige Megastädte sind zugleich auch globale wirtschaftliche Steuerungszentren mit hochrangigen Dienstleistungen sowie Hauptquartieren transnationaler Unternehmen, die für den Welt-, nationalen und regionalen Markt produzieren. Auch Weltstädte, deren Bedeutung sich über wirtschaftliche Dominanz hinaus durch kulturelle und politische Weltgeltung begründet, sind eher die Ausnahme.

Einige Megastädte besitzen inzwischen eine Bedeutung, die der mancher Staaten vergleichbar ist. So liegen etwa die CO2-Emissionen allein von Mexiko City (mit 101 Kilogramm (kg) pro Kopf/Jahr) auf dem gleichen Niveau wie die von ganz Belgien, die von Beijing (253 kg pro Kopf/Jahr) höher als die der Beneluxstaaten und Ungarn zusammen.

Megastädte und Globaler Wandel

„Megastädte unterliegen vielfältigen Prozessen globalen ökologischen und sozioökonomisch-politischen Wandels ebenso wie sie den globalen Wandel umgekehrt durch ihre hohe Entwicklungsdynamik massiv mitbestimmen“, sagt Kraas. „Damit gehören die Dynamik und Vielschichtigkeit der in Megastädten stattfindenden Prozesse sowie deren Auswirkungen auf die Reorganisation globaler räumlicher, soziokultureller, ökonomischer und politisch-institutioneller Beziehungen zu den größten Herausforderungen unserer Zeit.“

Von der breiten Öffentlichkeit werden Megastädte meist als globale Risikogebiete wahrgenommen, in denen Umweltverschmutzung, hoher Ressourcenverbrauch oder eine Bedrohung durch Naturkatastrophen – zum Beispiel Erdbeben, Wirbelstürme, Überschwemmungen – Schäden anrichten können. Auch vom Menschen (mit-)verursachte Risiken wie Wasserknappheit, Wirtschaftskrisen, ethnisch-religiöse Auseinandersetzungen oder Industrieunfälle können massive Einschränkungen an Lebensqualität für die Einwohner bedeuten.

Armut und soziale Konflikte

Insbesondere die benachteiligten Bevölkerungsgruppen der Megastädte haben dabei mit wachsender Armut und sozialer Verwundbarkeit, sozialräumlicher Fragmentierung, Segregation und Konflikten zu kämpfen. „Megastädte sind jedoch auch wichtige Knotenpunkte, in denen Chancen globaler Veränderung liegen. Angesichts einer breiten Palette verfügbaren Humankapitals und weit vernetzter Akteure besitzen sie erhebliche Potentiale für eine nachhaltige ökologische, Siedlungs-, Wirtschafts- und politische Entwicklung“, so Kraas.

Verbesserte Nachhaltigkeit ist beispielsweise durch eine Verringerung der pro-Kopf-Flächennutzung, hohe Effektivität der verwendeten Ressourcen, sinnvolle Gefahrenprävention oder ausreichende Ge¬sundheitsfürsorge möglich. Auch technische Innovationen lassen sich in Megastädten wesentlich rentabler verwirklichen und effizienter in vorhandene Strukturen integrieren (zum Beispiel Transportsysteme oder Leitungsnetze).

„Wichtig ist aber ein Perspektivenwechsel hinsichtlich der Auffassung von Planung und Steuerung der Entwicklungen: In vielen Megastädten, gerade der Entwicklungsländer, stehen urbane Flächennutzung und der Ausbau von Infrastruktur als ‚planerisches Rückgrat’ im Vordergrund. Immer wichtiger jedoch wird eine Auffassung von Planung und Steuerung, die die vielfältigen Akteure der Stadtentwicklung einbezieht: Nur über verändertes öffentliches Bewusstsein und erweiterte Partizipation sind eine Stärkung der sozialen Verantwortlichkeit sowie der zivilgesellschaftlichen Netzwerke und Institutionen zu erreichen“, so Kraas abschließend.

Link:

Städtische Bevölkerung in Millionen Einwohnern (pdf, 541 KB)

(Prof. Dr. Frauke Kraas, Geographisches Institut der Universität zu Köln, 01.02.2008 – DLO)

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