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Umwelt

Kommentar: Dieselgipfel macht halbe Sachen

Warum die Software-Nachrüstung nicht reichen wird

Software-Updates allein werden die Luftverschmutzung in den Städten nicht beseitigen können, das scheint jetzt schon klar © Pawel Czaja/ iStock.com

Sieg für die Autoindustrie: Bei gestrigen Dieselgipfel sind die Autohersteller mit einem blauen Auge davon gekommen – zu Lasten von Luftqualität und Gesundheit der Bevölkerung. Denn Experten, Gerichte und selbst der ADAC sind sich einig darin, dass die beschlossene Software-Nachrüstung für fünf Millionen Diesel-PKW das Problem der zu hohen Stickoxidwerte in den Städten allein nicht lösen wird.

Softwaretricks beim Abgastest, Abschaltung der Abgasreinigung bei Kälte und noch dazu viel zu kleine Tanks mit Harnstoff, der für die Entfernung der Stickoxide benötigt wird: Die letzten Tage und Wochen haben klar gemacht, wie weit die Autohersteller gegangen sind, um zum eigenen Profit die Umweltauflagen von EU und Bundesregierung zu unterlaufen.

Kein Wunder, dass die Luft in deutschen Großstädten immer wieder die Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide (NOx) überschreitet. Trotz angeblich immer sauberer, immer modernerer Autos und Umweltzonen in vielen Städten hat sich dies nicht geändert. Die Folge: Forscher gehen allein in Europa von 28.500 vorzeitigen Todesfällen jährlich durch Stickoxide aus Dieselabgasen aus. Dazu kommen allein in Deutschland rund 7.000 Todesfälle jährlich durch verkehrsbedingten Feinstaub.

Die Ergebnisse des Dieselgipfels

Bei dem Dieselgipfel zwischen deutschen Autoherstellern und der Politik ging es darum, Lösungen zu finden, durch die Luft in den Städten wieder sauberer wird – und die Grenzwerte endlich eingehalten werden. Ziel war es außerdem, generelle Fahrverbote für Dieselautos in Stadtzentren zu vermeiden – eine Maßnahme, die das Stuttgarter Verwaltungsgericht vor wenigen Tagen als rechtlich zulässig und sogar erforderlich beurteilte.

Das Ergebnis des Dieselgipfels: Die Motor-Software von fünf Millionen Diesel-PKW der Euronormen 5 und 6 wird auf Kosten der Autohersteller nachgerüstet, wodurch die Abgasreinigung effektiver werden soll. Außerdem sagten die Hersteller zu, einen Fonds einzurichten, mit dem nachhaltige Mobilität in den Städten gefördert werden soll.

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Warum das Software-Update nicht reicht

Der Haken daran: Schon im Vorfeld war klar, dass eine Software-Nachrüstung allein nicht ausreicht, um die Abgaswerte unter die Grenzwerte zu senken. Die Gutachter des Stuttgarter Gerichts gingen selbst bei einem Update für alle Dieselautos von nur rund neun Prozent Rückgang der giftigen Stickstoffdioxid-Belastung aus.

Die Nachrüstung nur der neueren Dieseltypen, wie jetzt beschlossen, könnte sogar nur eine Senkung der NOx-Werte um zwei bis drei Prozent bringen, meint die Deutsche Umwelthilfe. Und selbst der eher autofreundliche ADAC sieht dies ähnlich: „Mit diesen Updates lassen sich Stickoxid-Emissionen im Fahrbetrieb zwar um etwa 25 Prozent senken, allerdings sind sie längst nicht so effektiv wie ‚echte‘ Nachrüstungen“, heißt es in einer Pressemitteilung. In jedem Falle erwarte der ADAC von den Herstellern klare Zusagen, dass die zugesicherten Fahrzeugwerte im realen Betrieb tatsächlich eingehalten werden.

Hinzu kommt: Die komplette Abschaltung der Abgasreinigung bei Kälte bleibt. Bei Temperaturen unterhalb von zehn Grad, bei manchen Modellen sogar unterhalb von 17 Grad stoßen die Dieselfahrzeuge damit weiterhin ungereinigte Abgase aus. Selbst nach der Software-Nachrüstung wird sich daher die Schadstoffbelastung der Stadtluft im Winterhalbjahr kaum verbessern.

Selbst ADAC fordert Hardware-Nachrüstungen

Technisch wäre es durchaus möglich, Diesel-PKW der Euronormen 5 und 6 deutlich abgasärmer zu machen. Dafür müssten Teile der Abgasreinigungsanlage ausgetauscht werden und möglicherweise ein größerer AdBlue-Tank eingebaut werden. Das würde nach Schätzungen der Deutschen Umwelthilfe rund 1.500 Euro pro Diesel-Auto kosten.

Diese Hardware-Nachrüstung sieht auch der ADAC als beste Lösung für das Diesel-Dilemma an: „Wo es technisch machbar und finanziell angemessen ist, sollten die Hersteller weiterhin auf eine Hardware-Nachrüstung von modernen Dieselfahrzeugen der Euro-Klassen 5 und 6 verpflichtet werden, mit der sich Emissionen nachweislich um bis zu 90 Prozent reduzieren lassen“, so der ADAC.

Doch wie schon erwartet, haben die Autohersteller beim Dieselgipfel diese für sie teurere Lösung abgewendet. „Hier ist die Politik beim Dieselgipfel vor den wirtschaftlichen Interessen der Industrie eingeknickt, indem sie akzeptiert, dass betroffene Fahrzeuge ’nur‘ mit einem kostengünstigen Software-Update versehen werden müssen“, kommentierte dazu ungewohnt scharf der ADAC.

Kommen Fahrverbote jetzt doch?

Schon länger fordern Mediziner und Umweltverbände vorübergehende Fahrverbote für Dieselautos, wenn Grenzwerte in den Stadtzentren überschritten werden. In anderen europäischen Ländern gibt es solche Maßnahmen bereits: In London, Oslo und im schweizerischen Tessin gelten Dieselfahrverbote bei erhöhten Stickoxidwerten, öffentliche Verkehrsmittel können dann kostenlos genutzt werden. Laut Umfragen wären immerhin 57 Prozent der Deutschen für solche befristeten Dieselfahrverbote.

Eine andere Möglichkeit sind generelle Fahrverbote in den Innenstädten für Dieselautos, die die Abgasnormen nicht einhalten. Umgesetzt werden könnte dies durch Umweltzonen, in die nur nachweislich „saubere“ Dieselfahrzeuge mit einer blauen Plakette einfahren dürfen. Das allerdings könnte für Millionen Besitzer von Dieselfahrzeugen bedeuten, dass sie ihr Fahrzeug zumindest in den Städten nicht mehr benutzen dürfen.

Wenn sich – wie zu erwarten – das Software-Update als nicht ausreichend herausstellt, sind auch die Fahrverbote nicht vom Tisch. Denn bisher haben schon drei Gerichte zugunsten solcher Fahrverbote geurteilt. Die Deutsche Umwelthilfe klagt zudem in 16 Städten dafür, dass die bereits beschlossene zeitweilige Diesel-Fahrverbote auch umgesetzt werden.

„Da muss noch mehr passieren“

Klar scheint damit: Der Dieselgipfel kann nicht mehr sein als ein erster Schritt in Richtung Abgasminderung. Denn noch immer bleiben Millionen Dieselfahrzeuge genauso „dreckig“ wie zuvor und im kommenden Herbst und Winter müssen Stadtbewohner damit rechnen, dass die Schadstoffbelastung ihrer Atemluft erneut regelmäßig die Grenzwerte sprengt. Wann die fünf Millionen Software-Updates durchgeführt werden, ist zudem noch offen.

Sogar nach Ansicht des ADAC müssen daher nun zügige Maßnahmen und verbindliche Garantien der Hersteller folgen. „Zuvorderst sind die Hersteller aufgerufen, die Tricksereien unverzüglich zu beenden und die längst vorhandenen ’sauberen‘ Abgastechnologien in Dieselfahrzeuge einzubauen“, so der Verband. „Dass der Diesel eine saubere Antriebstechnologie sein kann, wissen wir seit langem. Die Automobilindustrie muss endlich liefern und die notwendigen Mittel hierfür in die Hand nehmen.“

(ADAC, Deutsche Umwelthilfe, 03.08.2017 – NPO)

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