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Klima

Klimawandel noch rasanter als erwartet

Führende Klimaforscher stellen "Kopenhagen-Diagnose" vor

Titelseite des Berichts "The Copenhagen Diagnosis". © CCRC

Die großen Eisschilde der Erde verlieren zunehmend an Masse; das arktische Meereis schwindet deutlich schneller als noch kürzlich projiziert und der Meeresspiegel wird wahrscheinlich stärker ansteigen als bislang angenommen. Das geht aus einem neuen globalen Synthesebericht hervor, den einige der führenden Klimawissenschaftler der Welt jetzt verfasst haben.

In der „Copenhagen Diagnosis“ genannten Studie kommen 26 Forscher, die meisten davon Autoren früherer Berichte des Weltklimarates IPCC, zu dem Schluss, dass einige Aspekte des Klimawandels früher und stärker eintreten als noch vor wenigen Jahren vermutet.

Klimakrise unterschätzt?

„Dies ist der letzte wissenschaftliche Aufruf an die Unterhändler von 192 Staaten, den Klimaschutz-Zug in Kopenhagen nicht zu verpassen. Sie müssen die ganze Wahrheit über die globale Erwärmung und die damit verbundenen nie dagewesenen Risiken kennen“, sagte Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).

Und Stefan Rahmstorf, Professor für Physik der Ozeane und Abteilungsleiter des Forschungsbereichs Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ergänzt: „Der Meeresspiegel steigt rascher und das arktische Meereis schwindet deutlich schneller als erwartet. Leider zeigen uns diese Daten, dass wir die Klimakrise bislang unterschätzt haben.“

Bericht fasst neue Schlüsselergebnisse der Klimaforschung zusammen

Der globale Temperaturanstieg folgt laut „Copenhagen Diagnosis“ weiterhin den früheren Projektionen des IPCC aufgrund der wachsenden Treibhausgas-Konzentrationen in der Atmosphäre. Ohne deutliche Verminderung der Emissionen könnte die globale Durchschnittstemperatur bis zum Jahr 2100 um bis zu sieben Grad Celsius ansteigen, berichten die Wissenschaftler.

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Der vorgestellte Bericht fasst neue Schlüsselergebnisse der Klimaforschung zusammen, die noch nicht im vierten Sachstandsbericht des IPCC – Fourth Assessment Report, 2007 – enthalten waren:

Beobachtete (rote Line) und simulierte Meereisbedeckung der Arktis für den Monat September in Millionen Quadratkilometern. Die dicke schwarze Linie repräsentiert den Ensemble Mittelwert von 13 IPCC AR4 Modellen während die gestrichelten Linien die Variationsbreite wiedergeben. Nach Stroeve et a. (2007) ergänzt mit Daten von 2008. Das Minimum für 2009 wurde kürzlich mit 5.1 Millionen Quadratkilometern berechnet und ist damit der drittkleinste aller bisher gemessenen Werte und liegt noch deutlich unter dem Worst-Case-Szenario des IPCC. © Copenhagen Diagnosis, 2009

Schmelzendes Eis und schnell steigende Meeresspiegel

Satelliten- und direkte Messungen zeigen, dass sowohl der Grönländische als auch der Antarktische Eisschild zunehmend an Masse verlieren und zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen.

Das arktische Meereis schwindet deutlich schneller als nach den Projektionen von Klimamodellen zu erwarten war. So war der Eisverlust in den Sommern der Jahre 2007 bis 2009 jeweils rund 40 Prozent größer als der Mittelwert der Simulationsrechnungen für den vierten Sachstandsbericht des IPCC von 2007.

In den vergangenen 15 Jahren ist der Meeresspiegel um mehr als fünf Zentimeter angestiegen. Der Anstieg liegt damit rund 80 Prozent über den Projektionen aus dem dritten Sachstandsbericht des IPCC von 2001. Durch den Schmelzwasserzufluss von Eisschilden und Gebirgsgletschern könnte der Pegel bis zum Jahr 2100 global um mehr als einen Meter bis maximal zwei Meter ansteigen – deutlich stärker als nach den Projektionen des IPCC. In den nächsten Jahrhunderten muss mit einem weiteren Anstieg um mehrere Meter gerechnet werden.

Mehr CO2-Emissionen

Im Jahr 2008 wurden rund 40 Prozent mehr Kohlendioxid aus fossilen Quellen freigesetzt als im Jahr 1990. Selbst wenn die Emissionen nicht weiter zunähmen, wäre schon innerhalb von 20 Jahren das Emissionsbudget aufgebraucht, das der Welt noch zur Verfügung steht, wenn die globale Erwärmung auf höchstens zwei Grad Celsius begrenzt werden soll.

Aus dem neuen Bericht geht hervor, dass die globalen Emissionen in spätestens fünf bis zehn Jahren ihren Gipfel überschritten haben und anschließend schnell abnehmen müssen, damit die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels vermieden werden können.

Um das Klimasystem zu stabilisieren, müssen die Emissionen von Kohlendioxid und anderen langlebigen Treibhausgasen zudem noch in diesem Jahrhundert fast auf Null gesenkt werden, berichten die Forscher.

Weitere Statements von Wissenschaftlern:

Martin Visbeck, Professor für Physikalische Ozeanographie und

Stellvertretender Direktor des IFM-Geomar

„Die Ozeane sind durch die Erwärmung und die gesteigerte Aufnahme von Kohlendioxid zunehmend gefährdet. Die Verluste an biologischer Vielfalt aufgrund der Wassererwärmung, der Versauerung und des auftretenden Sauerstoffmangels werden in Zukunft erheblich zur aktuellen Gefährdung durch Überfischung und Meeresverschmutzung beitragen.“

Georg Kaser, Glaziologe an der Universität Innsbruck

„Schon die Anpassung der Gletscher an das heutige Klima wird den Meeresspiegel voraussichtlich um 18 Zentimeter ansteigen lassen. Bei weiterer Erwärmung könnten sie bis zum Jahr 2100 mehr als einen halben Meter zum Anstieg beitragen.“

Nicolas Gruber, Professor für Umweltphysik, ETH Zürich

„Das Klimasystem hält uns keinen Rettungsanker bereit. Den müssen wir selber auswerfen, indem wir die Emissionen von CO2 und den anderen Treibhausgasen möglichst schnell reduzieren.“

Richard Somerville, Professor Emeritus für Atmosphärenwissenschaften an der University of California, San Diego

„Die Kohlendioxid-Emissionen dürfen nicht weiter zunehmen, wenn die Menschheit das Risiko unbeherrschbarer Auswirkungen des Klimawandels begrenzen will. Wir müssen den Wendepunkt bald erreichen; die Aufgabe duldet keinen Aufschub. Wenn wir die Erwärmung auf zwei Grad Celsius begrenzen wollen, was sich viele Länder zum Ziel gesetzt haben, müssen die Emissionen ihr Maximum vor 2020 erreichen und anschließend schnell abnehmen.“

Matthew England, Direktor am Climate Change Research Centre der University of New South Wales, Australien

„Unser Spielraum für ‚erlaubte Emissionen‘, die unsere Klimazukunft nicht zu stark gefährden, ist so gut wie ausgeschöpft. Innerhalb nur eines Jahrzehnts müssen die globalen Emissionen beginnen abzunehmen. Angesichts des schnellen Wirtschaftswachstums in einigen Nationen brauchen wir dringend eine verbindliche Einigung, die sicherstellt, dass die großen Emittenten einmütig handeln.“

(idw – Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, 25.11.2009 – DLO)

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