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Biologie

Hodenzellen reprogrammieren sich selbst

Forscher wandeln erstmals klar definierte adulte Zellen direkt in pluripotente Stammzellen um

Unipotente Keimbahn-Stammzellen (grün fluoreszierend) in Samenkanälchen eines Maushodens © Kinarm Ko / MPI Münster

Erstmals haben Max-Planck-Forscher einen klar definierten Zelltyp aus dem Hoden erwachsener Mäuse gezüchtet und diesen ohne eingeschleuste Gene, Viren oder Reprogrammierungsproteine in pluripotente Stammzellen umgewandelt. Diese besitzen die Fähigkeit, alle Gewebe des Körpers bilden zu können. Entscheidend für die Reprogrammierung waren allein die Kulturbedingungen, schreiben die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Cell Stem Cell“.

Der Hoden ist ein empfindliches Organ und ein erstaunliches dazu. Selbst im Alter von 70, 80 oder 85 Jahren verfügen Männer über Zellen, die stetig neue Spermien produzieren. Nahezu lebenslang kann „Mann“ deshalb Embryonen zeugen und Vater werden – vorausgesetzt, er findet eine ausreichend junge Frau. Schon lange haben Forscher daher vermutet, dass in Zellen aus dem Hoden ein ähnliches Potenzial steckt wie in Stammzellen aus Embryonen: jene Pluripotenz, die es ihnen ermöglicht, jeden der mehr als 200 Zelltypen des Körpers zu bilden.

Multitalente in den männlichen Keimdrüsen

In der Tat sind in jüngerer Zeit mehrere Forscherteams auf solche Multitalente in den männlichen Keimdrüsen von Menschen und Mäusen gestoßen. Den Anfang machte 2004 ein Team um Takashi Shinohara. Die Japaner hatten entdeckt, dass bestimmte Zellen im Hoden neugeborener Mäuse wie embryonale Stammzellen in der Lage sind, sich zu verschiedenartigen Geweben zu entwickeln.

2006 berichteten dann Göttinger Wissenschaftler um Gerd Hasenfuß und Wolfgang Engel, dass es solche wandlungsfähigen Zellen auch in erwachsenen Mäuse-Männchen gibt. Zuletzt sorgten Thomas Skutella und seine Kollegen von der Universität Tübingen für Schlagzeilen, nachdem sie vergleichbare Zellen aus Hodengewebe von Männern gezüchtet hatten.

Verwirrende Vielfalt von Zellen

„Auf den ersten Blick scheint es daher so, als ob es längst bewiesen sei, dass es im Hoden erwachsener Menschen und Mäuse pluripotente Zellen gibt“, sagt Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster, der zusammen mit Kinarm Ko und weiteren Kollegen an der neuen Studie beteiligt war. „Häufig ist aber unklar, um welche Zellen es sich in den jeweiligen Publikationen genau handelt und was diese Zellen tatsächlich können.“

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Das liegt nicht nur daran, dass es im Hoden eine Vielzahl unterschiedlicher Zellen gibt. Wer das Gewebe im Labor auflöst, muss die Zellen erst sorgfältig trennen und analysieren, um zu wissen, welchen Typus er unter der Lupe hat. Auch die Frage der Potenz sorgt unter Stammzellforschern immer wieder für Diskussionen. Denn: Verbindliche Maßstäbe gibt es bislang nicht. Was für die einen schon „pluripotent“ ist, geht für die anderen gerade mal als „multipotent“, also nur eingeschränkt wandelbar, durch.

Keimbahn-Stammzellen gezüchtet

Mehr Gewissheit geben zwar einschlägige Tests. Dazu zählt unter anderem eine Untersuchung, ob die Zellen nach einer Injektion in frühe Embryonen in der Lage sind, sowohl zum Aufbau des neuen Organismus als auch zur Bildung von Keimzellen beizutragen und ihre Gene über weitere Generationen zu vererben. Doch nicht jedes Team nimmt alle Prüfungen vor.

Ko und seine Kollegen wollten in ihrer Arbeit von Anfang an Klarheit schaffen. Dazu züchteten sie zunächst aus dem Hoden erwachsener Mäuse einen genau definierten Typus von Zellen, so genannte Keimbahn-Stammzellen – englisch „germline stem cells“, kurz GSCs. In ihrem natürlichen Umfeld können diese Zellen nur eines: immer wieder neue Spermien bilden.

Zudem sind sie extrem rar gesät. Unter 10.000 Zellen im Hodengewebe einer Maus finden sich davon gerade einmal zwei oder drei. Dennoch lassen sie sich einzeln isolieren und als Zelllinie mit stabilen Eigenschaften vermehren. Unter üblichen Zellzuchtbedingungen behalten sie wochen- und jahrelang ihre Unipotenz. Sie sind also ausschließlich in der Lage, sich selbst zu vermehren oder eben Spermien zu bilden.

Ein einfacher Trick genügt

Was bislang niemand ahnte: Ein einfacher Trick genügt, um die Zellen zur Reprogrammierung anzuregen. Teilt man die Zellen auf neue Kulturschalen auf, versetzen sich einige von ihnen selbst in einen embryonalen Zustand zurück – vorausgesetzt, man lässt ihnen genügend Platz und genügend Zeit.

„Jedes Mal, wenn wir ungefähr 8.000 Zellen in die einzelnen Gefäße der Zellkultur-Platten gefüllt hatten, haben sich einige der Zellen nach zwei Wochen selbst reprogrammiert“, berichtet Ko. Und ist der Schalter in diesen „germline-derived pluripotent stem cells“ (gPS) erst einmal umgelegt, fangen sie an, sich rasant zu vermehren.

„Neustart“ der Zellen

Dass der „Neustart“ der Zellen tatsächlich geklappt hatte, belegten die Forscher anhand zahlreicher Tests. Aus den umgewandelten Zellen ließen sich nicht nur ebenso gut Herz-, Nerven- oder Endothelzellen züchten, wie aus embryonalen Stammzellen. Die Wissenschaftler konnten mit den neuen gPS auch Mäuse mit gemischtem Erbgut, so genannte Chimären, erzeugen und zeigen, dass die aus dem Hoden gewonnenen Zellen ihr Erbgut in die nächste Generation weiter tragen können.

Noch ist offen, ob sich das Verfahren auf den Menschen übertragen lässt. Vieles spricht nach Ansicht der Wissenschaftler jedoch dafür, dass gPS-Zellen hinsichtlich der Einfachheit ihrer Herstellung und ihrer Sicherheit alle bisher künstlich reprogrammierten Zellen übertreffen.

(MPG, 03.07.2009 – DLO)

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