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Physik

Halbwertszeiten sind doch stabil

Forscher widerlegen Abhängigkeit des radioaktiven Zerfalls vom Abstand zwischen Erde und Sonne

Schwankende (rote Dreiecke) und konstante (schwarze Kreuze) Messreihen des Zerfalls von Cl-36. Die blaue Linie zeigt den schwankenden Anstand zwischen Erde und Sonne. © PTB

Das alte Schulwissen bleibt gültig: Radioaktive Zerfallsraten und Halbwertszeiten sind konstant. Sie schwanken auch nicht im Jahresverlauf. Eine Studie hatte dies vor einigen Jahren in Frage gestellt und solare Neutrinos dafür verantwortlich gemacht. Deutsche Wissenschaftler haben dies mit neuen Messungen widerlegt – ihnen zufolge schwankt lediglich die Empfindlichkeit der Messgeräte, wie sie im Journal „Astroparticle Physics “ erläutern.

Vor etwa zwei Jahren präsentierten US-Forscher um Joseph Talnagi von der Ohio State University in Columbus eine Serie von Daten, in denen radioaktive Zerfallsraten sich mit dem Abstand zwischen Erde und Sonne veränderten. Diese Zerfallsraten oder Halbwertszeiten gelten eigentlich als stabil und verlässlich wie ein Präzisionsuhrwerk – beim Kohlenstoff-Isotop C-14 etwa sind es 5.700 Jahre.

Den Messungen der Forscher nach schienen Atome des radioaktiven Chlor-Isotops Cl-36 jedoch im Januar schneller zu zerfallen als im Juli. Talnagi und seine Kollegen machten von der Sonne abgestrahlte Neutrinos für diesen Effekt verantwortlich: Im Verlauf des Jahres ändert sich der Abstand der Erde zur Sonne und damit auch der Einfluss der solaren Neutrinos.

Unverrückbar konstanter Zerfall

Diese These war heftig umstritten, zumal Neutrinos von der Sonne jede Sekunde in milliardenfacher Zahl auf jeden Quadratzentimeter der Erde treffen. Dabei sind sie aber fast wirkungslos und durchdringen die Erde, als wäre sie gar nicht da. Wissenschaftler der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig haben daher die Zerfallsrate von Cl-36 noch einmal überprüft: Drei Jahre lang maßen sie mit der sogenannten TDCR-Flüssigszintillationsmethode die Aktivität von Proben des Isotops, um eine mögliche Abhängigkeit von der Jahreszeit zu entdecken.

Das Ergebnis: Die Zerfallsrate blieb im Jahresverlauf unverrückbar konstant. Die neuen Messergebnisse schwankten deutlich weniger, und ein Einfluss des Datums oder von Neutrinos ist nach Angaben der Forscher überhaupt nicht erkennbar. Wie erklärt sich dann aber die frühere Messreihe mit den deutlich erkennbaren regelmäßigen Veränderungen?

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Empfindliche Gasdetektoren

Die Wissenschaftler der PTB erklären dies mit der verwendeten Messmethode: Die US-Forscher bestimmten die Zerfallsraten mit Gasdetektoren, ähnlich dem bekannten Geigerzähler. Diese sind jedoch deutlich anfälliger für Umwelteinflüsse als die an der PTB benutzten Szintillationszähler. „Wir gehen davon aus, dass andere Einflüsse viel wahrscheinlicher für die beobachteten Schwankungen sind“, erklärt Physiker Karsten Kossert von der PTB. „Es ist bekannt, dass Änderungen der Luftfeuchte, des Luftdrucks und der Temperatur empfindliche Detektoren durchaus beeinflussen können.“ Nicht das radioaktive Isotop verändert sich also mit der Jahreszeit – lediglich manche Messgeräte schwanken in ihrer Empfindlichkeit.

Eine weitere Messreihe bestätigt, wie konstant die Halbwertszeiten sind: Messungen am Strontium-Isotop Sr-90 zeigen auch mit aufwändigen Analyseverfahren keine Veränderungen über das Jahr. Die Wissenschaftler gehen daher davon aus, dass die Neutrinos von der Sonne den radioaktiven Zerfall nicht beeinflussen – zumindest nicht in einer nachweisbaren Größenordnung.

(Ursprüngliche Veröffentlichung: Astroparticle Physics, 2012;doi: 10.1016/j.astropartphys.2012.07.008

Widerlegter Einfluss der Neutrinos: Astroparticle Physics, 2014; doi: 10.1016/j.astropartphys.2014.02.001)

(Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), 02.10.2014 – AKR)

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