Der Hafen der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince ist wiederfreigeräumt und geöffnet, die Hilfsgüterlieferungen laufen inzwischen besser. Noch steht die Katastrophenhilfe im Mittelpunkt der internationalen Bemühungen, aber bald muss die Phase des Wiederaufbaus beginnen. Was dafür getan werden könnte, wird jetzt schon international diskutiert.
„Der Wiederaufbau nach einem Erdbeben stellt für die Betroffenen die eigentliche Herausforderung dar“, erklärt Erdbeben-Experte Professor Jürgen Pohl von der Universität Bonn. Er dauere im Regelfall rund zehn Jahre und laufe in vier Phasen ab: Nach Bergung der Toten und Beseitigung der gröbsten Schäden stellt sich wieder ein provisorischen Alltagsleben ein. Es folgt eine systematische Wiederaufbauplanung, die schließlich verwirklicht wird. Ziel eines Wiederaufbaus müsse es sein, nicht nur die Verhältnisse vor der Katastrophe wiederherzustellen, sondern einen verbesserten Status zu erreichen.
Diese Chance hat auch Haiti – vorausgesetzt das im Moment offene Gelegenheitsfenster („Window of opportunity“) wird genutzt und die internationale Hilfe ist strukturorientiert und langfristig. Eine lange Dauer der ersten Nothilfephase sei aber erfahrungsgemäß aber ein schlechtes Vorzeichen für einen raschen Wiederaufbau. Der Geowissenschaftler mahnt: „Es muss im Rahmen des Wiederaufbaus gelingen, Haiti widerstandsfähiger gegenüber zukünftigen Erdbeben zu machen.“
Schuldenerlass und Wiederaufbaukredit in Aussicht gestellt
Dies haben auch internationale Organisationen und Gremien erkannt und planen entsprechende Maßnahmen: So will die Weltbank dem hochverschuldeten Land für fünf Jahre die Rückzahlungsverpflichtung stunden, möglicherweise werden die Schulden ganz erlassen. Der Internationale Währungsfonds IWF bietet Haiti einen zumindest im ersten Jahr zinslosen Wiederaufbaukredit an. „Ich bin überzeugt, dass Haiti – das auf unglaubliche Weise von vielerlei getroffen wurde – etwas Großes braucht“, erklärte der Leiter des IWF, Dominique Strauss-Kahn, in Hongkong. Er forderte für Haiti Wiederaufbauhilfen nach dem Vorbild des Marshall-Plans.
Umsiedlungen und Jobprogramm
Die UN hat ein Programm gestartet, das Haitianern, die beim Aufräumen der Trümmer oder Ausbessern von Straßen helfen, umgerechnet 3,50 Euro am Tag erhalten. Diese Maßnahme soll die Eigeninitiative der Bewohner Haitis stärken und den Weg zu neuen Jobs ebnen. Die Regierung des Landes kündigte an, hunderttausende von Menschen vorübergehend in neu gebaute Unterkünfte außerhalb der Hauptstadt umsiedeln zu wollen. Insgesamt sind bei den Erdbeben mindesten 500.000 Menschen obdachlos geworden. Der haitianische Innenminister Paul Bien-Aime teilte mit man sei bereits auf der Suche nach geeigneten Standorten.
Verteilungsgerechtigkeit entscheidend
Vor Ort berichteten Helfer gestern von Tumulten bei der Verteilung von Hilfsgütern, Frauen und Kinder hätten Probleme, an Nahrungsmittel zu kommen. Die Verteilungsgerechtigkeit sei jedoch ein wichtiger Faktor, so Pohl, um soziale Spannung in der Wiederaufbauphase zu vermeiden. „Katastrophen sind immer auch Katalysatoren für soziale Prozesse“, sagt Pohl. Schon bei der Unterbringung in Notunterkünften sei darauf zu achten, dass alle Betroffenen gleichartige Unterkünften erhalten, denn sonst entstünden Spannungen.
Unser Special zum Erdbeben in Haiti finden Sie hier
(Universität Bonn, Reuters, dpa, Deutsches Rotes Kreuz, 22.01.2010 – NPO)