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Chemie

Grünes Licht für Chemikalienreform

Umweltverbände kritisieren die Umsetzung der Europäischen Chemikalienreform

Giftige Chemikalien © IMSI MasterClips

Europaparlament, Rat und Kommission haben sich auf einen Kompromiss zur Reform der europäischen Chemikalienverordnung REACH geeinigt. Demnach haben Verbraucherinnen und Verbraucher künftig unter anderem einen Anspruch darauf zu erfahren, ob in Produkten besonders besorgniserregende Stoffe enthalten sind. Daneben sieht die Einigung für Unternehmen einen verbesserten Schutz sensibler Daten vor. REACH tritt voraussichtlich im Frühjahr 2007 in Kraft, wird aber von den Umweltverbänden als völlig unzureichend kritisiert.

REACH steht für Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien (Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals). Künftig werden rund 30.000 Stoffe, die sich auf dem europäischen Markt befinden, bei der neuen Chemikalienagentur in Helsinki registriert. Hersteller und Importeure müssen Maßnahmen für die sichere Verwendung ihrer Stoffe entwickeln und an ihre Abnehmer kommunizieren. Besonders besorgniserregende Stoffe werden einem behördlichen Zulassungsverfahren unterstellt.

Kompromiss zwischen Wirtschaft und Verbraucherschutz

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel begrüßte die Einigung als „vernünftigen und tragfähigen Kompromiss“, der sich inhaltlich eng am gemeinsamen Standpunkt des Ministerrats vom Juni 2006 orientiere. „Der Text behält die Balance des gemeinsamen Standpunkts bei. Die vereinbarten Detailänderungen tragen dem Umwelt- und Verbraucherschutz ebenso Rechnung wie Anliegen der betroffenen Wirtschaft.“

Gabriel: „Mit der grundlegenden Reform der europäischen Chemikalienpolitik bringen wir den Umwelt- und Gesundheitsschutz in Europa einen großen Schritt voran. REACH setzt weltweit neue Standards. Wir werden zukünftig mehr über Chemikalien und ihre Eigenschaften wissen. Darin steckt ein großes Potenzial für technologische Entwicklungen. Mittelfristig wird REACH Produkte sicherer machen und Herstellungsverfahren optimieren.“

Kritik von Umweltverbänden

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Greenpeace haben hingegen den Kompromiss zur europäischen Chemikalienreform REACH, der gestern Nacht zwischen Vertretern des Europäischen Parlaments und des EU-Ministerrats ausgehandelt wurde, scharf kritisiert. „Diese Vereinbarung ist ein fauler Kompromiss auf dem Rücken von Verbrauchern und Umwelt. Wenn das Parlament diesem Deal Mitte Dezember zustimmt, wird es kaum eine Verbesserung gegenüber der jetzigen Gesetzeslage geben. Menschen und Natur werden weiter durch gefährliche Chemikalien belastet“, so die Meinung von Patricia Cameron, Chemieexpertin des BUND.

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BUND und Greenpeace kritisieren vor allem die negative Rolle des Bundeskanzleramtes, das massiv Einfluss auf die Verhandlungen in Brüssel nimmt. „Bundeskanzlerin Merkel lässt sich von Chemieunternehmen wie BASF instrumentalisieren. Sie sorgt brav dafür, dass Deutschland sämtliche Versuche blockiert, die Industrie zum Ersatz aller gefährlichen Chemikalien zu verpflichten. Die wirtschaftlichen Interessen der Chemiebranche sind ihr wichtiger als der Schutz der Verbraucher vor Chemiegiften“, urteilt Stefan Krug von Greenpeace.

Insektengifte in Muttermilch?

Der Kompromiss sieht vor, so die Kritik der Umweltverbände, dass krebserregende, fortpflanzungsschädliche und andere gefährliche Chemikalien selbst dann weiter vermarktet und in Alltagsprodukten verwendet werden dürfen, wenn Alternativen vorhanden sind. Die Hersteller würden diese Stoffe angeblich „adäquat kontrollieren“, somit bestehe keine Gefahr für Menschen und Umwelt. Eine adäquate Kontrolle sei aber illusorisch, wie zahlreiche Studien und regelmäßig auftretende Chemieskandale bewiesen. „In Deutschland hergestellte Industriegifte tauchen überall dort auf, wo sie nichts zu suchen haben – im Blut von Babys und Erwachsenen, in der Muttermilch, in Lebensmitteln, im Trinkwasser, sogar im Fettgewebe von Eskimos und Eisbären“, so Krug von Greenpeace.

Laut Kompromiss sollen lediglich langlebige, sich in der Natur und im Menschen anreichernde Chemikalien ersetzt werden, wenn es Alternativen gibt. Verbrauchern sollen zudem Informationen nur über eine beschränkte Anzahl von Chemikalien zugänglich sein. „Der Industrie wird auch künftig erlaubt, entscheidende Sicherheitsdaten zu ihren Chemikalien zurückzuhalten. Es ist skandalös, dass BASF, Bayer & Co weiter Chemikalien in Umlauf bringen, ohne über Risiken und Nebenwirkungen zu informieren“, sagte Patricia Cameron.

Der BUND und Greenpeace fordern die Mitglieder des Europäischen Parlaments auf, den derzeitigen Kompromiss im Sinne des Umwelt- und Gesundheitsschutzes nachzubessern. So müssten Unternehmen durch die Pflicht, alle gefährlichen Stoffe zu ersetzen, Anreize erhalten, in die Entwicklung sicherer Alternativen zu investieren. Für Gesundheitsschäden bei der Anwendung von Endprodukten müssten zudem die Hersteller haftbar gemacht werden.

(BMU; BUND, 04.12.2006 – AHE)

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