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Biotechnologie

Genetisches Make-up für Säugerzellen

Neuartige Technik ermöglicht Einschleusen von bis zu fünf Genen ins Erbgut von Säugerzellen in einem Schritt

Forscherin beobachtet durch das konfokale Mikroskop ihre Säugerzellen, die mehrere fluoreszierende Proteine herstellen. © Paul Scherrer Institut

Die Gentechnik liefert Werkzeuge, mit denen Forscher Gene aus dem Erbgut von Zellen herausschneiden, verändern und einfügen können. Die stabile Integration mehrerer Gene in Säugetierzellen gilt zwar als Schlüsseltechnologie, die verfügbaren Methoden waren bislang aber äußerst ineffizient. Schweizer Wissenschaftler haben nun eine neuartige Technik entwickelt, mit der sich ein Satz von bis zu fünf Genen in einem Schritt ins Erbgut von Säugerzellen einschleusen lässt.

Da Säugetiere im Gegensatz zu Bakterien oder Hefepilzen sehr nahe mit dem Menschen verwandt sind, eignet sich die Technik auch gut zur Entwicklung von neuen Medikamenten, schreiben die Forscher des Paul Scherrer Institut (PSI) in der Fachzeitschrift „Nature Communications“.

Molekulare Maschinen

Gene sind die Träger der Baupläne für Proteine. Diese agieren im Körper als molekulare Maschinen, mit deren Hilfe die Zelle ihren gesamten Stoffwechsel bewerkstelligt. Wissenschaftler, die sich mit dem Aufbau von Proteinen und deren mannigfaltigen Wechselwirkungen befassen, bedienen sich immer öfter der Gentechnik, um Zellen gezielt zu verändern, beispielsweise für strukturelle und funktionelle Studien. Dazu werden zusätzliche Gene in eine Zelle oder einen Organismus übertragen. Die Empfängerzellen lesen die fremden Baupläne ab und stellen die zu untersuchenden Proteine her.

Transgene Organismen

Gentechnisch veränderte Organismen, die artfremde Gene enthalten, werden als transgen bezeichnet. Verfahren zur Herstellung mehrfach transgener Bakterien sind heute bereits ausgereift. Anders verhält es sich mit höher entwickelten Organismen: Die verfügbaren Methoden waren bislang sehr aufwändig.

In ihrer neuen Studie beschreiben Wissenschaftler um Philipp Berger am PSI zusammen mit Kollegen vom European Molecular Biology Laboratory EMBL in Grenoble und der Universität Zürich ein neues Verfahren zur effizienten Herstellung von mehrfach transgenen Säugerzellen – genannt MultiLabel. Die am PSI entwickelte Technik verspricht nicht nur, den Biologen das zuweilen harte Laborleben einfacher zu machen, sondern eröffnet ihnen auch ein Spektrum an Möglichkeiten, Experimente durchzuführen, die bislang nur aufwändig machbar waren.

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Genetischer Baukasten

MultiLabel umfasst einen modular aufgebauten und flexibel einsetzbaren genetischen Baukasten. Er erlaubt es, bis zu fünf frei wählbare Gene in ein Trägervehikel, ein sogenanntes Plasmid, zu integrieren. Die Gene werden flankiert von zusätzlichen Steuerungselementen, die garantieren, dass die fremden Baupläne effektiv ins Genom der Gastzelle eingeschleust und anschließend auch zusammen abgelesen werden. Die Herstellung sämtlicher Fremdproteine erfolgt dabei den Wissenschaftlern zufolge in einem kontrollierbaren Rahmen, was dem System eine bis anhin nicht erreichte Zuverlässigkeit verleiht. Auch reicht zur Handhabung ein Labor mit einer molekularbiologischen Standardausrüstung völlig aus.

Bisherige Methoden sind technisch aufwändiger und deutlich weniger erfolgreich, da die Gene entweder einzeln nacheinander oder mithilfe von Viren in die Zielzelle eingeführt werden mussten, was letztendlich nur ungenügend kontrolliert werden konnte.

Proteine und ihre Interaktionen im Visier

„MultiLabel, die von uns entwickelte molekularbiologische Technik, ist jedoch nur ein Mittel zum Zweck – im Zentrum unseres Forschungsinteresses stehen die Proteine und ihre Interaktionen“, erklärt Berger, Forscher in der Gruppe Molekulare Zellbiologie des Labors für Biomolekulare Wissenschaften am PSI und geistiger Vater von MultiLabel. „Eine solche Technologie gab es bisher jedoch nicht, daher mussten wir sie selbst entwickeln, um mit unseren Forschungsarbeiten voranzukommen“.

MultiLabel basiert auf den Vorgängertechniken MultiBac und ACEMBL, beides Tool-Boxen zur Herstellung von Multiprotein-Komplexen in Insektenzellen und Bakterien, an deren Entwicklung Berger ebenfalls beteiligt war. Obwohl die Verfahren für die Nutzung am PSI geschaffen wurden, stellen die Wissenschaftler ihre Werkzeuge nun der Forscherwelt zur Verfügung und hoffen auf eine weite Verbreitung ihrer Methoden. Einige positive Rückmeldungen verschiedener Gruppen und Laboratorien hat Berger bereits erhalten. „Das Interesse ist vorhanden“, sagt er.

Fundamental für die Krebsforschung

Das PSI-Verfahren ermöglicht es, in transgenen Zellen von Säugetieren gleichzeitig mehrere Proteine in vorgegebener Menge und auf stabilem Niveau herzustellen. Das ist fundamental für die Krebsforschung am PSI und war bislang äußerst schwierig zu erreichen, da bestehende Methoden für die Multiprotein-Produktion in Säugerzellen ziemlich unflexibel, technisch aufwändig und sehr zeitraubend sind. Deshalb arbeiteten die Wissenschaftler um Berger schon länger daran, eine effiziente Methode zu entwickeln.

Die Einführung verschiedener Gene oder Genkombinationen in Säugerzellen ist von zentraler Bedeutung für die Life Sciences. Entsprechend vielfältig sind die Anwendungen von Bergers Technik. Für Strukturbiologen, die Bau und Funktion von menschlichen Eiweißen analysieren, ist MultiLabel besonders geeignet, weil sich damit einzelne Proteine und kleine Proteinkomplexe in ausreichenden Mengen für strukturbiologische Analysen herstellen lassen. Proteinkomplexe sind Eiweißgebilde, die aus mehreren Teilproteinen, sogenannten Untereinheiten, zusammengesetzt sind. Derzeit ist die Anzahl Untereinheiten auf fünf beschränkt. Berger zufolge werden – aufgrund der modularen Organisation der neuen Technik – künftig aber auch größere Multiprotein-Komplexe herstellbar.

Wertvolles Werkzeug für Zell-, System- und Entwicklungsbiologen

MultiLabel wird aber nicht nur bei Strukturbiologen Verwendung finden. Zellbiologen erhalten mit MultiLabel ein wertvolles Werkzeug in die Hand, um Zellen zu verändern. Systembiologen wiederum, die Stoffwechselprozesse analysieren, können mit der Technik mehrere Parameter synchron überwachen, etwa indem fluoreszierende Proteine als Sensoren in lebenden Zellen verwendet werden.

Entwicklungsbiologen schließlich werden das Verfahren nutzen, um Körperzellen durch Zugabe bestimmter Gene in Stammzellen zurückzuverwandeln. Stammzellen besitzen die Fähigkeit, sich zu verschiedenen Gewebetypen zu differenzieren, was sie zu interessanten Kandidaten für neuartige Krankheitstherapien macht.

(Paul Scherrer Institut, 18.11.2010 – DLO)

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