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Physik

Geheimnis der Quantenmechanik gelüftet

Dekohärenztheorie in ihren Grundzügen experimentell bewiesen

In der Welt der Quantenmechanik auf der Ebene von Atomen und noch viel winzigeren Teilchen gibt es Effekte, die der Welt der Alltagserfahrung völlig widersprechen. Den Übergang zwischen den beiden Welten beschreibt die so genannte Dekohärenztheorie. Erstmals konnte nun ein deutscher Physiker ihre grundsätzliche Richtigkeit in Experimenten beweisen.

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Die Quantenmechanik ist eine physikalische Theorie, die beschreibt, wie sich Materie auf der Ebene von Atomen und ihrer noch kleineren Bestandteile verhält. Sie wurde hauptsächlich in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt. Zwar lassen sich Vorgänge in mikroskopisch kleinen Dimensionen hervorragend durch die Quantenmechanik beschreiben und vorherberechnen. Doch der Alltagserfahrung, also dem Verhalten makroskopischer Körper und damit der klassischen Physik, widersprechen die quantenmechanischen Phänomene.

Tot oder lebendig?

„Die Widersprüche zwischen der Quantenmechanik und der praktischen Erfahrung sind den Wissenschaftlern selbst schon früh aufgefallen. Das zeigt das bekannte Gedankenexperiment von Schrödingers Katze, die bei quantenmechanischer Betrachtung gleichzeitig lebendig und tot sein könnte“, erklärt der Tübinger Physiker Peter Sonnentag. Doch dieser Widerspruch in Schrödingers Gedankenexperiment lässt sich durch die Dekohärenz auflösen.

Denn die Dekohärenz beschreibt die Entstehung klassischer Eigenschaften – also der Welt, in der es eindeutige Zustände wie ‚tot‘ und ‚lebendig‘ gibt – aus einem Quantensystem. „Ziel der Dekohärenztheorie, an der schon vor 30 Jahren geforscht wurde, ist zu klären, wie klassische Phänomene zustande kommen, wenn doch die Gesetze der Quantenmechanik überall gelten sollen“, erklärt Peter Sonnentag. Die Richtigkeit der Dekohärenztheorie hat er nun exemplarisch an einem Elektron bewiesen.

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Elektronen-Experiment

Dazu hat er zunächst gezeigt, dass ein Elektron, das von der Umgebung völlig isoliert ist, das heißt, nicht mit ihr wechselwirkt, sich gemäß der Quantenmechanik verhält. „Dafür bietet man dem Elektron zwei Wege an, auf denen es laufen kann. Die Quantenmechanik besagt, dass das Elektron wie eine Welle gleichzeitig beide Wege nimmt. Das Elektron befindet sich dann in einem Überlagerungszustand ähnlich wie bei Schrödingers Katze“, sagt Sonnentag. In diesem Fall tritt auf einem Bildschirm dort, wo sich die beiden Wege wieder treffen, Interferenz auf. „Das kann man vergleichen mit einer Wasserfläche, auf die an zwei Stellen jeweils ein Wassertropfen fällt. Dabei entstehen Wellen, die sich ausbreiten.

Je nachdem, wie Wellenberge und Wellentäler aufeinander treffen, kommt es zu einer Verstärkung oder einer Abschwächung. Auf dem Bildschirm zeigt sich ein Streifenmuster – Physiker sprechen von Interferenz. Da bei uns immer nur ein einzelnes Elektron im Interferometer ist, kann man das sich ergebende Streifenmuster eigentlich nur erklären, wenn man annimmt, dass das Elektron gleichzeitig beide Wege nimmt.“

Wechselwirkungen untersucht

Die klassischen Teilcheneigenschaften des Elektrons entstehen im vorliegenden Experiment gemäß einem Vorschlag der theoretischen Physiker James R. Anglin und Wojciech H. Zurek dadurch, dass die beiden Wege des Elektrons über eine Platte mit hohem elektrischen Widerstand geführt werden und mit dieser ‚Umgebung‘ wechselwirken. Das über die Platte fliegende negativ geladene Elektron erzeugt nämlich auf deren Oberfläche eine positive Ladung, die sich mit dem Elektron bewegt. Es entstehen Ströme in der Platte, die einen Widerstand erfahren und die Platte lokal erwärmen. „Wenn die beiden Wege, die das Elektron nehmen kann, gut voneinander getrennt sind, lässt sich im Prinzip feststellen, wo die Platte ein wenig erwärmt ist – dann würde man den Weg des Elektrons kennen“, erklärt Sonnentag. Wenn aber die Weginformation verfügbar ist, verschwindet die Interferenz – dann kommen die klassischen Eigenschaften des Elektrons zum Vorschein.

Wie Anglin und Zurek in ihrem Vorschlag schreiben, bedeutet die Wärmeentwicklung in der Platte eine Störung des „Elektronengases“ und der Gitterschwingungen der Atome. Der Quantenmechanik zufolge braucht Sonnentag in seinen Experimenten die Erwärmung beziehungsweise die Störungen in der Platte gar nicht direkt zu messen, es reicht schon, dass die Information darüber, welcher Weg genommen wurde, prinzipiell verfügbar ist. „Durch die Wechselwirkung des Elektrons mit der Platte entsteht ein verschränkter Zustand. Betrachtet man das gesamte System, bestehend aus Elektron und ‚Umgebung‘, so gilt für dessen Beschreibung nach wie vor die Quantenmechanik. Das Teilsystem Elektron allein aber verhält sich, wenn vollständige Dekohärenz eingetreten ist, scheinbar wie ein klassisches Teilchen“, sagt Sonnentag.

Um eine möglichst starke Dekohärenz zu erhalten, hat er in seiner Doktorarbeit als Plattenmaterial wegen dessen hohen elektrischen Widerstands einen Halbleiter gewählt, eine mit Phosphor dotierte Siliziumplatte. Im Experiment wird die Stärke der Dekohärenz in Abhängigkeit von zwei Größen gemessen, der Höhe der Elektronen über der Platte und dem Abstand ihrer beiden Wege. Die Dekohärenz ist umso stärker, je näher die Elektronen an der Platte vorbeifliegen und je weiter voneinander getrennt die Wege über der Platte verlaufen. Die zunehmende Stärke der Dekohärenz zeigt sich in einer Abnahme des Kontrasts der Interferenzstreifen. So erhält man im Experiment direkt Bilder vom Übergang der Quantenmechanik zur klassischen Physik. Dieser Übergang vollzieht sich nicht abrupt, sondern allmählich.

Dieses Experiment bestätigt, dass die grundlegenden Ideen der Dekohärenztheorie richtig sind, und zeigt erstmals in Fotos den kontinuierlichen Übergang vom quantenmechanischen zum klassischen Verhalten. Eine unmittelbare Anwendung für seine Forschungen sehe er derzeit nicht, so der Wissenschaftler, doch das Verständnis der Dekohärenz sei wichtig nicht nur für die Grundlagenprobleme der Quantenmechanik, sondern auch für Anwendungen. Zum Beispiel für die Realisierung eines Quantencomputers, der sehr viel leistungsfähiger sein könnte als ein klassischer Computer: „Eines der Hindernisse beim Bau eines Quantencomputers ist nämlich das in diesem Fall unerwünschte Auftreten von Dekohärenz“, erklärt Peter Sonnentag.

(idw – Eberhard Karls Universität Tübingen, 21.05.2007 – AHE)

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