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Umwelt

Fukushima: radioaktiver Schwefel kam bis nach Kalifornien

Forscher ermitteln Schwefelentstehung und Neutronenemission aus havarierten Reaktoren

Pier der Scripps Instition of Oceanography in La Jolla, Kalifornien, hier wurden die radioaktiven Schwefelverbindungen gemessen. © Kimberly Prather

In den ersten Tagen nach dem Reaktorunglück von Fukushima enthielt die Luft über der Küste Japans 365 Mal mehr radioaktiven Schwefel als normal. Das berichten US-amerikanische Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“. Sie hatten die Spur der radioaktiven Schwefelatome von Kalifornien bis zur japanischen Küste zurück verfolgt. Der Schwefel sei entstanden, als das zur Kühlung eingesetzte Meerwasser mit der Neutronenstrahlung in den Reaktorkernen reagierte, sagen die Wissenschaftler. Wie dies genau geschah und wie viel Neutronenstrahlung dabei frei wurde, haben sie jetzt erstmals quantitativ berechnet.

Ausgangspunkt der Studie waren Luftschadstoffmessungen im kalifornischen La Jolla durch Forscher der University of California in San Diego. Dort hatten die Messgeräte am 28. März 2011 Rekordwerte von 1.501 radioaktiven Schwefelatomen pro Kubikmeter Luft registriert. „Das war die höchste Aktivität, die an diesem Ort jemals gemessen worden ist“, sagen die Wissenschaftler. Mit Hilfe eines Modells der Luftströmungen über dem Pazifik identifizierten Priyadarshi und ihre Kollegen die Quelle der verseuchten Luftmassen: die Küste Japans. Die starken Westwinde hatten die radioaktive Wolke in rund 900 Metern Höhe einmal quer über den Ozean geschoben.

Ein Großteil der Schwefelteilchen wurde bereits während des Weges ausgewaschen, zerfallen oder wegetragen. Nur 0,7 Prozent von ihnen erreichten Kalifornien, zeigten die Modellrechnungen. Aus diesen Werten ermittelten die Forscher die ursprüngliche Konzentration des radioaktiven Schwefeld in der Luft über Fukushima.

Bombardement des Meerwassers mit Neutronen

Wie der radioaktive Schwefel in den Reaktoren von Fujkushima entstand, rekonstruieren die Forscher so: Am 13. März 2011 begannen die japanischen Atomtechniker damit, die havarierten Reaktoren mit Meerwasser zu kühlen. Von den teilweise geschmolzenen Brennelementen ging starke Neutronenstrahlung aus. Die Neutronen kollidierten mit den Chlorid-Ionen des Meersalzes und wandelte sie in radioaktiven Schwefel (35S) um. „Man weiß, wie viel Meerwasser sie in Fukushima eingesetzt haben, wie weit die Neutronen in das Meerwasser eindringen und wie groß das Chlorid-Ion ist“, sagt Antra Priyadarshi von der University of California in San Diego.

Modell der Luftmassenbewegungen in den Tagen vor dem 28. März 2011, rot markiert der Weg der radioaktiven Schwefelatome von Fukushima nach La Jolla in Kalifornien. © Gerardo Dominguez, UC San Diego

400 Milliarden Neutronen pro Quadratmeter

Aus diesen Informationen könne man kalkulieren, wieviele Neutronen mit dem Chlorid reagiert haben müssen, um den radioaktiven Schwefel zu produzieren. Ihr Ergebnis: Bis zum 20. März 2011 entwichen fast 400 Milliarden Neutronen pro Quadratmeter aus freiliegenden Brennelementen in den Reaktorkernen und Abklingbecken des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi. Neutronenstahlung gilt als besonders schädlich für biologische Gewebe. Die biologische Wirksamkeit energiereicher Neutronen wird gegenüber der Gammastrahlung als 10 bis 20-fach stärker eingestuft.

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Noch im Reaktorkern oxidierte der Schwefel innerhalb von Sekunden zu Schwefeldioxid und Schwefelaerosolen. Mit dem verdampfenden Kühlwasser gelangten diese Teilchen in die Luft über dem Reaktor und wurden über das Meer geweht. (PNAS, 2011; DOI:10.1073/pnas.1109449108)

(UC San Diego/ PNAS, 16.08.2011 – NPO)

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