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Physik

Forscher erzeugen einen Kristall nur aus Elektronen

Elektronen in Halbleiterschicht bilden regelmäßiges Gitter eines Wigner-Kristalls

Wigner-Kristall
Physiker haben einen Wigner-Kristall aus Elektronen (rot) in einem Halbleitermaterial (blau/grau) erzeugt. © ETH Zürich

„Heiliger Gral“ der Festkörperphysik: Physikern ist es gelungen, einen Kristall nur aus Elektronen zu erzeugen und dies auf direkte Weise zu beobachten. Ein solcher Wignerkristall entsteht, wenn die Elektronen so stark heruntergebremst werden, dass ihre gegenseitige Abstoßung sie in diese regelmäßige Anordnung zwingt. Die Beobachtung dieses exotischen Zustands gelang in einem Halbleitermaterial, das extrem heruntergekühlt wurde, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.

Ob Diamant, Silizium oder die flexible Struktur der Metalle: Typisch für Kristalle ist das regelmäßige, aus sich wiederholenden Grundeinheiten bestehende Gitter ihrer Atome oder Moleküle. Die Bindungskräfte zwischen den Atomen sorgen dafür, dass diese sich von allein zu geometrischen Gittern zusammenfügen. Vor allem in Metallen und Halbleitern bleiben die Elektronen jedoch nicht fest an bestimmten Orten gebunden: Anders als ihre Atome verhalten sie sich wegen ihrer hohen Eigenbewegung eher wie eine dynamische Flüssigkeit, die die Atomrümpfe umströmt.

Wenn Elektronen ein regelmäßiges Gitter formen

Doch es geht auch anders: Schon 1934 postulierte Eugene Wigner, einer der Pioniere der Quantenphysik, dass auch die Elektronen unter bestimmten Umständen „auskristallisieren“ können. Sinkt ihre Bewegungsenergie unter einen bestimmten Wert ab, sorgt ihre gegenseitige Abstoßung dafür, dass sie sich zu einem regelmäßigen Gitter anordnen. Seither galt der Beweis dieser Wigner-Kristalle als einer der heiligen Grale der Festkörperphysik.

Das Probleme jedoch: Solche Wigner-Kristalle entstehen nur bei sehr tiefen Temperaturen und einer sehr kleinen Zahl freier Elektronen im Material. Zudem liegt der errechnete Abstand zwischen den Elektronen des Wigner-Kristalls bei wenigen Nanometern – und damit jenseits des Auflösungsvermögens von Mikroskopen und anderer direkter Nachweismethoden. Bisher war es daher nicht möglich, diesen exotischen Elektronenzustand direkt nachzuweisen.

Ultrakaltes Halbleiter-„Sandwich“

Genau dies ist nun Tomasz Smolenski von der ETH Zürich und seinen Kollegen gelungen. Dafür nutzten die Forscher eine nur eine Atomlage dicke Schicht des Halbleitermaterials Molybdän-Diselenid, die zwischen zwei Lagen von hexagonalem Bornitrid und einer als Elektroden dienenden Außenschicht aus Graphen eingeschlossen war. Diese Konfiguration sorgte dafür, dass sich die Elektronen des Hableiters nur in einer Ebene bewegen konnten.

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Dieses Material-„Sandwich“ wurde nun auf minus 273,15 Grad heruntergekühlt, um den Elektronen so viel Bewegungsenergie wie möglich zu entziehen. Zusätzlich legten die Physiker eine elektrische Spannung an die Graphenelektroden an, um die Zahl der freien Elektronen im Halbleiter zu reduzieren. Unter diesen Voraussetzungen sollte im Molybdän-Diselenid ein Wigner-Kristall entstehen – so die Theorie.

Direkter Nachweis mittels optischer Spektroskopie

„Das nächste Problem war nachzuweisen, dass wir tatsächlich Wigner-Kristalle in unserem Apparat hatten“, erklärt Smolenski. Dafür nutzten die Forscher die Tatsache, dass die Elektronen bei Bestrahlung mit Licht bestimmter Frequenz einen Resonanzeffekt auslösen, der mithilfe optischer Spektroskopie nachweisbar ist. Sind die Elektronen periodisch zu einem „Kristall“ angeordnet, verursacht dies Wechselwirkungen zwischen den Elektronen und benachbarten „Löchern“, durch die diese „Exzitonen“ eine messbare Veränderung des wieder abgegeben Lichts erzeugen.

„Eine Gruppe theoretischer Physiker um Eugene Demler von der Harvard University hatte theoretisch berechnet, wie sich dieser Effekt in den beobachteten Lichtfrequenzen der Exzitonen zeigen sollte – und genau das haben wir auch im Labor gesehen“, berichtet Smolenskis Kollege Atac Imamoglu. Die Elektronen bildeten wie vorhergesagt ein zweidimensionales Dreiecksgitter.

Zugang zu bisher unerforschten Bereichen

Damit ist es den Wissenschaftlern um Smolenski gelungen, einen Wigner-Kristall direkt zu beobachten und nachzuweisen. Sie haben dadurch die vor fast 90 Jahren gemachte Vorhersage von Eugene Wigner bestätigt. „Unsere Ergebnisse eröffnen nun neue Möglichkeiten, solche stark korrelierten Elektronen zu untersuchen und damit in bisher unerforschte Gebiete vorzudringen“, konstatieren Smolenski und seine Kollegen. (Nature, 2021; doi: 10.1038/s41586-021-03590-4)

Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)

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