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Materialforschung

Forscher entwickeln lebenden Beton

Baumaterial aus Sand und Bakterien könnte den klimaschädlichen Zement ersetzen

Lebender Beton
Mithilfe von Cyanobakterien lässt sich eine umweltfreundliche Beton-Alternative herstellen. © College of Engineering and Applied Science at Colorado University Boulder

Umweltfreundliche Alternative: Forscher haben ein Beton-ähnliches Material entwickelt, das „lebt“. Ihr neuartiger Baustoff besteht aus Sand und Gelatine, die durch die Arbeit von Bakterien in eine feste Masse verwandelt werden. Das Ergebnis ist ähnlich stabil wie gängiger Mörtel aus Zement. Das eigentlich Spannende aber: Steine aus diesem Material können sich quasi selbständig vervielfältigen – und dank der in ihnen lebenden Bakterien sogar mit einer Vielzahl von Funktionen ausgestattet werden.

Beton ist ein begehrter Baustoff, der die Grundlage für fast alle Konstruktionen unserer modernen Welt bildet – von Brücken über Gebäuden bis hin zu Tunneln. Doch das Material hat auch eine Schattenseite: Bei seiner Produktion entstehen große Mengen des klimaschädlichen Treibhausgases CO2. Vor allem sein Inhaltsstoff Zement schlägt in diesem Zusammenhang kräftig zu Buche. Schätzungen zufolge gehen rund sechs Prozent der weltweiten CO2-Emissionen allein auf das Konto der Zementproduktion.

Mikroben als Baumeister

Auf der Suche nach einer umweltfreundlicheren Alternative haben Chelsea Heveran von der University of Colorado in Boulder und ihre Kollegen nun ein spannendes Material entwickelt: eine Art lebenden Beton. Als Konstrukteure nutzten die Forscher dabei winzige Organismen. Sie ließen Photosynthese betreibende Cyanobakterien den entscheidenden Schritt der Materialproduktion durchführen.

Wie funktioniert das? Um den neuartigen Baustoff herzustellen, braucht es ein Gerüst aus Sand und einem Hydrogel wie Gelatine, in dem Bakterien der Gattung Synechococcus wachsen. Über die gelartige Masse werden sie dabei mit Nährstoffen und Feuchtigkeit versorgt. Der Clou ist nun, dass diese Bakterien unter bestimmten Bedingungen Calciumcarbonat erzeugen und Mineralisierungsprozesse anstoßen – ähnlich wie bei der Bildung von Muschelschalen.

Lebender Beton
Steine aus dem neuen Material sind erstaunlich stabil. © College of Engineering and Applied Science at Colorado University Boulder

Aus einem Stein mach zwei

Als Folge mineralisieren die Mikroorganismen die Gelatine und binden Sand und Gel nach und nach zu einer festen Masse zusammen. Ein aus diesem Material gefertigter Stein kann sich sogar selbständig vervielfältigen, wie die Wissenschaftler berichten. Zerbricht man ihn in der Mitte, wachsen die beiden Hälften zu zwei vollständigen Steinen heran. Dafür müssen die mikrobiellen Konstrukteure lediglich etwas zusätzliches Material und Nährstoffe erhalten. Aus einem „Eltern-Stein“ konnten im Test auf diese Weise bis zu acht Steine entstehen.

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Das Besondere: Anders als bei der herkömmlichen Beton- und Zementproduktion wird bei der Herstellung des lebenden Betons kaum CO2 freigesetzt. Stattdessen verbrauchen die Mikroben das Treibhausgas bei ihrer Arbeit sogar.

Stabiles Material

Das lebende Material ist dem Forscherteam zufolge ähnlich stark wie Zement basierter Mörtel. „Du kannst darauf treten und es wird nicht brechen“, sagt Heverans Kollege Will Srubar. Strukturell am stabilsten ist der lebende Beton dabei im komplett ausgetrockneten Zustand – zu viel Trockenheit gefährdet allerdings das Überleben der Bakterien in dem Material. Aus diesem Grund mussten die Wissenschaftler eine feine Balance finden, um sowohl die strukturelle Integrität als auch die Überlebensfähigkeit der Mikroben zu sichern.

Wie Heverans Team feststellte, waren bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von mindestens 50 Prozent nach 30 Tagen noch neun bis 14 Prozent der Bakterien in dem Material am Leben. „Das ist deutlich mehr als die Werte, die für in zementartige Materialien eingeschlossene Mikroorganismen bisher berichtet wurden“, betonen die Forscher. Kalkproduzierende Bakterien wurden bislang zum Beispiel zu Zement hinzugefügt, um entstehende Risse zu reparieren. Deren Überlebensquote lag demnach allerdings nur bei weniger als einem Prozent.

„Viele Anwendungsmöglichkeiten“

Indem sie Temperatur und Feuchtigkeit anpassen, können Heveran und ihre Kollegen die Bakterien quasi auf Knopfdruck in einen Dämmerzustand versetzen oder zur Arbeit anregen. In „schlafender“ Form profitiert die Stabilität des Materials, „erwachen“ die Bakterien, wachsen sie wieder und können zum Beispiel Schäden in der Bausubstanz beheben.

Doch das ist noch nicht alles: „Dieses Material ebnet den Weg für eine Vielzahl spannender Werkstoffe“, konstatiert Srubar. „Indem wir Baumaterialien zum Leben erwecken, könnte eine ganz neue Disziplin mit unendlich vielen Anwendungsmöglichkeiten entstehen. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.“

Nützlich für den Mars?

Die Wissenschaftler haben schon einige Ideen, was sich mit ihrem lebenden Beton alles anstellen lassen könnte. Mit anderen Bakterien als Konstrukteuren könnte zum Beispiel ein Material mit biologischer Funktion entstehen – ein solcher Beton würde womöglich giftige Substanzen in der Luft registrieren und diese aufnehmen oder strukturelle Schäden durch Fluoreszenz anzeigen.

Auch in Umgebungen mit beschränkten Rohstoffvorräten wie der Wüste oder sogar auf dem Mars könnte sich das neuartige Material als nützlich erweisen. „In kargen Landschaften machen sich solche Baustoffe sehr gut, weil sie hauptsächlich die Sonne zum Wachstum nutzen und nur wenig Material von außen benötigen“, erklärt Srubar. „Ich glaube nicht, dass wir eines Tages säckeweise Zement mit auf den Roten Planeten bringen – aber biologische Organismen möglicherweise schon.“ (Matter, 2020; doi: 10.1016/j.matt.2019.11.016)

Quelle: Cell Press/ University of Colorado at Boulder

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