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Chemie

Flüssiges Wasser ist „klumpig“

Räumliche Trennung von geordneter und ungeordneter Molekülstruktur erklärt Anomalien

Zwei räumlich deutlich getrennte Anordnungsformen der Moleküle: tetraedrisch verbunden (Vordergrund) oder aber ungeordnet (Hintergrund) © Hirohito Ogasawara, Ningdong Huang / SLAC

Wasser ist ein alltäglicher Stoff, nichts geht ohne. Und trotzdem ist seine molekulare Struktur noch immer nicht komplett aufgeklärt. Jetzt haben Forscher erstmals nachgewiesen, dass im flüssigen Zustand verschiedene Molekülanordnungen nicht gleichmäßig verteilt sind, sondern „Klumpen“ von geordneter Tetraeder-Struktur von ungeordneten Molekülen umgeben sind. Diese deutliche Trennung erklärt auch die Dichteanomalie des Wassers.

Gleich 66 Anomalien besitzt das Wasser – Eigenschaften, die es eigentlich gar nicht haben dürfte. Dazu gehören seine seltsam schwankende Dichte, die hohe Oberflächenspannung und die große Wärmekapazität. Und auch seine molekulare Struktur ist noch immer rätselhaft. Zwar ist bekannt, dass im gefrorenen Zustand die Moleküle ein enges tetraedrisches Gitter bilden, in dem jedes mit vier anderen verbunden ist. Doch die Struktur des flüssigen Zustands ist alles andere als geklärt. Seit mehr als hundert Jahren ist sie Gegenstand heftiger Debatten und intensiver Forschungsbemühungen.

Wie sind die Tetraederstrukturen verteilt?

Die gängige Lehrbuchmeinung besagt, dass die Gitterstrukturen beim Schmelzen des Eises auseinander brechen, aber noch immer danach streben, ihre tetraedrische Anordnung so weit wie möglich beizubehalten. Das soll dann in einer gleichmäßigen Verteilung von verzerrten, teilweise gebrochenen Tetraederstrukturen resultieren. Aber ist dem auch wirklich so? Ein internationales Forscherteam unter Leitung von Anders Nilsson, Wissenschaftler am National Accelerator Laboratory in Kalifornien hat genau das jetzt erneut überprüft – mit überraschendem Ergebnis.

Die Wissenschaftler hatten starke Röntgenstrahlen, erzeugt im Synchrotron der Stanford Universität und der SPring-8 Synchrotron-Anlage in Japan, auf Proben flüssigen Wassers gerichtet und daraus Daten über die Zusammensetzung des Wassers gewonnen. Diese enthüllten, dass Wasser bei Raumtemperatur keineswegs der gleichförmigen Molekülverteilung der Lehrbuchmeinung entspricht. Stattdessen existieren zwei räumlich deutlich getrennte Anordnungsformen der Moleküle: tetraedrisch verbunden oder aber ungeordnet.

Wasser als „Tanzlokal“

Die tetraedrischen Strukturen bilden dabei Klumpen von rund 100 Molekülen, die von Regionen ungeordneter Strukturen umgeben sind. Wenn die Temperatur des flüssigen Wassers ansteigt, bleiben immer weniger dieser Klumpen übrig, ihre Größe jedoch verändert sich dabei nicht. Selbst bei nahezu kochendem Wasser sind noch einige dieser tetraedrischen Bereiche zu finden.

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„Man kann sich das vorstellen wie ein gut gefülltes Tanzlokal, in dem einige Leute an großen Tischen sitzen und relativ viel Platz einnehmen – wie die tetraedrischen Komponenten im Wasser“, erklärt Nilsson. „Andere Gäste dagegen sind auf der Tanzfläche und bewegen sich schneller oder langsamer je nach Stimmung – wie die Moleküle in den ungeordneten Bereichen des Wasser durch die Temperatur angeregt werden, reagieren die Tänzer auf den Takt der Musik. Es gibt immer wieder einen Austausch, wenn Leute aufstehen um zu tanzen oder sich Tänzer an die Tische setzen. Wenn die Tanzfläche richtig voll wird, können auch Tische aus dem Weg geräumt werden, wenn die Dinge sich abkühlen, werden mehr Tische hereingebracht.“

Erstmals Klumpenbildung bei Raumtemperatur belegt

Das Besondere an dieser Entdeckung ist, dass eine solche „Klumpenbildung“ im Wasser bisher allenfalls für den unterkühlten Zustand postuliert worden ist. In diesem ungewöhnlichen Zustand kann Wasser bis unter den Gefrierpunkt abgekühlt werden, gefriert aber nicht zu Eis. „Zuvor hat kaum einer geglaubt, dass bei Raumtemperatur Fluktuationen zu so deutlichen lokalen Strukturen führen“, so Nilsson. „Aber genau das haben wir gefunden.“

Erklärung für anormales Dichtemaximum

Die neue Erkenntnis erklärt auch zum Teil die Dichteanomalie des Wassers: Die Moleküle in tetraedrischer Anordnung besitzen eine geringere Dichte als die ungeordnete Struktur des umgebenden Wassers. Diese verändert sich auch bei steigenden Temperaturen kaum. Die ungeordneten Bereiche jedoch sind anfangs sehr dicht, aber reagieren stark auf Erwärmung. Während Eis nur aus dem Tetraedergitter besteht, liegen bei 4°C einzelne Tetraederklumpen in der noch sehr dichten „Suppe“ aus ungeordneten Molekülen. Daher ist hier das Dichtemaximum erreicht. Erwärmt sich das Wasser, „dünnt“ der ungeordnete Anteil sehr schnell aus und die Dichte nimmt daher ab.

Grundlage auch für andere Forschungsgebiete

Die Erklärung der Eigenschaften des Wassers mithilfe seiner molekularen Struktur ist jedoch nicht nur für die Grundlagenforschung wichtig, sondern auch für das Verständnis von Prozessen in der Medizin, der Biologie bis hin zu Klima und Energie. „Wenn wir dieses grundlegende Element des Lebens nicht verstehen, wie können wir dann komplexere Materialien wie Proteine studieren, die in Wasser gelöst sind?“ fragt Congcong Huang vom SALC. „Wir müssen das Einfache verstehen, bevor wir das Komplexe begreifen können.“

(SALC National Accelerator Laboratory, 13.08.2009 – NPO)

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