Die Fähigkeit zu lernen und neue Erinnerungen zu bilden ist entscheidend für unsere Existenz und Identität. Jetzt ist es Forschern erstmals gelungen, den Mechanismus mit dem Gedächtnis entsteht, bildlich einzufangen. In „Science“ präsentieren sie eine Methode, mit der die für das Langzeitgedächtnis verantwortliche Proteinproduktion an den Synapsen in Echtzeit beobachtet und aufgenommen werden kann.
{1l}
Was passiert eigentlich in unserem Gehirn, wenn wir uns Dinge merken? Ein wie auch immer gearteter „Gedächtnismechanismus“ muss auf jeden Fall zwei Bedingungen erfüllen: Er muss stabil genug sein, um eine große Menge an Informationen für lange Zeit zu speichern. Zum anderen aber muss er so flexibel sein, dass das System Anpassungen und Lernen ermöglicht. Verortet haben die Neurowissenschaftler den Mechanismus bereits: in den Synapsen, den Schaltstellen des Gehirns. Sie bilden ein ausgedehntes und konstant fluktuierendes Netzwerk von Verbindungen, deren Plastizität vermutlich die Basis für das Lernen und Gedächtnis ist.
„Aber wenn dieses Netzwerk sich konstant verändert, stellt sich die Frage, wie die Erinnerungen erhalten bleiben können und wie sie entstehen“, so Wayne Sossin, Neuroforscher am Montreal Neurological Institute and Hospital. Gemeinsam mit Kollegen von der McGill Universität und der Universität von Kalifornien in Los Angeles gelang es ihm nun, erstmals einen direkten Blick auf das Geschehen an den Synapsen zu werfen und die Basis der Bildung von Erinnerungen in einer Aufnahme festzuhalten.
Proteinproduktion als entscheidender „Gedächtnismacher“
„Seit einiger Zeit ist bekannt, dass ein wichtiger Schritt des Langzeitgedächtnisses die Translation oder Produktion von neuen Proteinen an der Synapse ist“, erklärt Sossin. „Sie stärken die synaptische Verbindung und damit auch die Erinnerung. Doch bisher hat niemand dies abbilden können.“ Die Forscher entwickelten nun eine Methode, mit der sie diesen Schlüsselprozess sichtbar machen können.
Beobachtung erstmals in Echtzeit
„Mithilfe eines translationalen Markers, einem fluoreszierenden Protein, das leicht entdeckt und verfolgt werden kann, haben wir die erhöhte lokale Proteinsynthese bei der Gedächtnisbildung direkt beobachtet und abgebildet“, so der Forscher. Erstmals ist so die Proteinproduktion in Echtzeit beobachtbar. „Wichtige Erkenntnis daraus war, dass diese Translation synapsenspezifisch war und der Aktivierung durch die postsynaptische Zelle bedurfte. Das zeigt, dass dieser Schritt die Kooperation zwischen den beiden an der Synapse beteiligten Neuronen benötigt.“
Beide angrenzenden Gehirnzellen beteiligt
Die Wissenschaftler belegen damit, dass die stark lokal begrenzte Proteinproduktion tatsächlich transsynaptische Signale erfordert und liefern damit ein wichtiges Bindeglied in der Erforschung des Mechanismus. Denn klar war, dass die lokalisierte Proteinproduktion mit einer Veränderung der lokalen Genexpression einher geht. Bekannt war im Prinzip auch, dass die neuronale Plastizität mit der Stärkung lokaler Synapsen zusammenhängt.
Jetzt ist die Erzeugung der „Gedächtnis“-Proteine auf lokaler Ebene sichtbar gemacht worden und nachgewiesen, dass sie durch die Signale und die Kooperation der angrenzenden Gehirnzellen getriggert wird. Die neue Methode, die die Beobachtung der Vorgänge in Echtzeit erlaubt, könnte zukünftig noch weitere wichtige Durchbrüche im Verständnis der Gedächtnisbildung liefern.
(McGill University, 22.06.2009 – NPO)