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Chemie

Element Flerovium hat zwei „Gesichter“

Experiment klärt widersprüchliche Eigenschaften des superschweren Elements 114

Flerovium
Das superschwere Element Flerovium gibt Rätsel auf, denn es reagiert mal wie ein Edelgas und mal wie ein Metall. © HT Ganzo/ Getty images

Rätsel um superschweres Element: Das Element Flerovium verblüfft durch ein widersprüchliches Verhalten – einige seiner Atome scheinen reaktionsträge wie ein Edelgas, andere reagieren wie ein Metall. Jetzt bringt ein neues Experiment Klärung. Demnach ist das superschwere Element zwar das am wenigsten reaktive seiner Periodensystem-Gruppe und eher träge wie ein Edelgas. In „energetischen Fallen“ kann es aber trotzdem Bindungen bilden. Was genau dahintersteckt, ist aber weiterhin rätselhaft.

Ordnet man alle bekannte Elemente anhand ihrer Protonenzahlen und ihres Reaktionsverhaltens, ergibt sich das Periodensystem der Elemente. Die Position eines Elements in einer der Gruppen und Perioden erlaubt Rückschlüsse über seine Merkmale – eigentlich. Doch bei den superschweren Elementen der untersten Periode – Zeile – wird es komplizierter. Denn bei ihnen kommt es wegen des großen, schweren Atomkerns zu relativistischen Effekten: Die Elektronen müssen so schnell um den Atomkern rasen, dass dies das Verhalten des Elements grundlegend verändern kann.

Mysteriöser Gegensatz beim Flerovium

Umso spannender ist es für Kernphysiker und Chemiker, die erst in den letzten Jahren entdeckten schwersten Vertreter der bekannten Elemente zu untersuchen – die Elemente 113 bis 118. Doch diese Elemente sind extrem kurzlebig und können nur atomweise produziert werden. Bisher gibt es daher nur für Flerovium, das Element 114, erste Informationen zum Verhalten und der möglichen Kernstruktur – und diese wurden in zwei Experimenten an nur drei beziehungsweise zwei einzelnen Atomen dieses Elements gewonnen.

Das Merkwürdige dabei: In den beiden Experimenten verhielten sich die Flerovium-Atome völlig unterschiedlich: Im ersten reagierte das superschwere Element träge wie ein Edelgas und weigerte sich, eine Bindung einzugehen. Die beiden im zweiten Experiment getesteten Atome verhielten sich dagegen fast wie das flüchtige Metall Quecksilber und wurden als reaktiver eingestuft als das Transactinium Copernicium mit der Ordnungszahl 112.

Superschwere Atome im Bindungstest

Um diesen Widerspruch zu klären, hat ein internationales Forschungsteam um Alexander Yakushev vom Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt weitere sechs Flerovium-Atome erzeugt und untersucht. Dafür schoss das Team gut neun Trillionen stark beschleunigte Calcium-Ionen auf ein Ziel aus dem neutronenreichem Plutonium-Isotop 244Pu. Bei sechs dieser Kollisionen kam es zur Bildung der kurzlebigen Flerovium-Atome. Zusammen mit zwei schon zuvor erzeugten Atomen verfügte das Team damit über acht Mess-Atome.

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Diese wurden in einen speziellen Gaschromatografen geleitet, in denen sie innerhalb von etwa einer Zehntelsekunde erst über Siliziumdioxid, dann über eine Goldfläche mit nach hinten abnehmender Temperatur geleitet wurden. Am Ende der Passage war das Gold minus 160 Grad kalt und von einer dünnen Eisschicht bedeckt. Die Forschenden konnte nun anhand der Zerfallsketten und der Stellen, an denen die Flerovium-Atome zerfielen, ermitteln, ob und wo sie eine Verbindung mit der Oberfläche eingingen.

Zwei verschiedene Reaktionen

Das überraschende Ergebnis: Die Flerovium-Atome zeigten eine klar zweigeteilte Reaktion. Fünf von ihnen setzten sich bei Raumtemperatur auf der Goldfläche ab. Damit reagierten sie ähnlich wie das flüchtige Metall Quecksilber. „Dies spricht dafür, dass diese Flerovium-Exemplare ziemlich stark mit dem Gold interagierten“, erklären Yakushev und seine Kollegen.

Die drei restlichen Flerovium-Atome jedoch passierten die gesamte Goldfläche ohne jegliche Wechselwirkung und lagerten sich erst im kalten, von einer Eisschicht bedeckten Teil der Anlage ab. Diese Zone bildet eine Falle selbst für extrem reaktionsträge Edelgase wie Radon. „Dies spricht für eine nur schwache Interaktion des Flerovium-Gold-Systems“, schreiben die Forschenden. Mit anderen Worten: Flerovium reagiert einerseits wie ein Metall, andererseits aber wie ein bindungsscheues Edelgas.

Suche nach den Ursachen

Aber warum? Eine mögliche Erklärung wäre, dass ein Teil der Flerovium-Atome noch in der Schwebe eine Bindung eingegangen ist – beispielsweise mit winzigen Sauerstoff- oder Wasserdampfresten in der eigentlich hochreinen Helium-Argon-Atmosphäre. Das allerdings sei unwahrscheinlich, weil dies in Vergleichstests mit dem beständigeren, aber offenbar ähnlich reagierenden Quecksilber nie beobachtet wurde, erklären die Wissenschaftler.

Das Team vermutete daher eine zweite, wahrscheinlichere Möglichkeit: Durch winzige Unebenheiten in der Goldfläche könnten einige Flerovium-Atome zufällig in Senken gelandet sein, in denen sie leichter „festgehalten“ wurden. Andere Atome trafen hingegen auf glatte, ebene Zonen und flogen weiter. Und tatsächlich: „Eine Analyse der Detektor-Oberfläche enthüllte eine morphologisch inhomogene Struktur der aufgedampften Goldschicht“, berichten Yakushev und sein Team. „Dies legt nahe, dass die Oberfläche auch energetisch inhomogen ist.“

„Energetische Fallen“ halten Flerovium fest

Nach Ansicht der Forschenden könnte dies das scheinbar widersprüchliche Verhalten des Fleroviums erklären: Die fünf schon im Goldteil angelagerten Flerovium-Atome verhielten sich wie ein Metall, weil sie auf „energetische Fallen“ in der Goldoberfläche trafen. In solche Senken sorgen die Konfiguration der Goldatome und die Energie der Raumtemperatur dafür, dass das Flerovium die energetische Barriere zur chemischen Bindung überwindet. Die restlichen drei Atome entgingen diesen „Fallen“ und lagerten sich daher erst im Edelgasbereich des Chromatografen ab.

Was aber bedeutet dies für die grundlegenden Eigenschaften des Fleroviums? „Flerovium zeigt demnach eine geringere Reaktivität gegenüber Gold als das flüchtige Metall Quecksilber“, erklären die Wissenschaftler. „Aber es kann andererseits mit Gold stärkere Bindungen bilden als das Edelgas Radon.“ Wie die Reaktion mit anderen Materialien aussieht und wie das Verhalten des superschweren Elements mit den relativistischen Effekten im Atom zusammenhängt, müssen nun weitere Experimente klären. (Frontiers in Chemistry, 2022; doi: 10.3389/fchem.2022.976635)

Quelle: GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung GmbH

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