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Botanik

Cyborgpflanzen als Klimawächter?

Mikrosensoren und Computer entschlüsseln die Sprache der Pflanzen

Verkabelte Pflanzen liefern Signale an Computer © Andrea Vitaletti

Big Data aus verkabelten Gewächsen: In einem EU-Forschungsprojekt wollen Wissenschaftler mit Hilfe von Cyborgpflanzen herausfinden, mit welchen Signalen Pflanzen auf Umweltveränderungen reagieren. Wenn diese Pflanzensprache ausreichend verstanden ist, sollen die grünen Cyborgs nicht nur Gärten überwachen, sondern auch die Auswirkungen des Klimawandels protokollieren.

Direkte Auswirkungen von Umweltveränderungen und Klimawandel lassen sich nur schwer messen: Zwar ist es theoretisch möglich, mit zahlreichen Sensoren in Feld und Wald die dortigen Umweltbedingungen zu überwachen. Dies verrät jedoch noch nicht, wie Pflanzen darauf reagieren und ist zudem teuer und aufwändig. Die Pflanzen dagegen sammeln eine riesige Menge an Informationen über ihre Umgebung: Lichtverhältnisse, Temperatur, Sauerstoff- und Ozongehalt der Luft, Wasser und Nährstoffe im Boden gehören zu den Dingen, auf die Pflanzen reagieren. Mit bestimmten chemischen Signalen teilen sie diese Informationen sogar mit ihrer Umwelt. Allerdings ist diese „Pflanzensprache“ bislang weitgehend unbekannt.

Verkabelte Pflanze sagt, wie sie sich fühlt

Wissenschaftler um Andrea Vitaletti von der Sapienza Universität Rom arbeiten im Rahmen des EU-Projektes „PLEASED“ daran, diese Sprache zu entschlüsseln und zu übersetzen. PLEASED steht für „PLants Employed As SEnsing Devices“ – Ziel des Projekts ist es, Pflanzen als Sensoren für Umweltveränderungen einzusetzen. Dazu arbeiten die Forscher mit „Cyborgpflanzen“: Verkabelte Gewächse werden direkt an Computer angeschlossen.

Die Cyborgpflanzen teilen Umwelteinflüsse wie etwa veränderliche Temperatur über elektrische Signale mit. © PLEASED

Vitaletti und sein Team benutzen dabei dieselbe Technologie, mit der auch Gehirnströme und Muskelbewegungen beim Menschen gemessen werden. Mikrosensoren an der Pflanze registrieren die winzigen elektrischen Signale, die durch biochemische Reaktionen der Pflanzenzellen auf die Umwelt entstehen. Die Sensoren leiten diese Signale an einen Computer weiter, der auch Daten anderer Pflanzen in der Umgebung sammelt und analysiert.

Aus diesen kombinierten Informationen ergibt sich ein detailliertes Bild der Umwelt, oder, wie die Wissenschaftler es ausdrücken: Die Cyborgpflanze kann dem Computer sagen, wie sie sich fühlt, und warum. Ob zu viel Sonne, zu wenig Wasser oder der falsche Dünger – solche Dinge wären sofort erkennbar, nicht erst wenn die Blätter braun werden und abfallen. „Pflanzen werden die Wächter der Umwelt sein“, sagt Vitaletti. „Daher versuchen wir, die elektrischen Signale von Pflanzen als Reaktion auf äußere Reize wie Schadstoffe zu klassifizieren.“

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Nützlich für Gärtner, aber auch die Umweltforschung

Das System soll einer breiten Masse von Menschen nützen, von Kleingärtnern bis hin zu landwirtschaftlichen Betrieben. Darum bestehen die Prototypen der im Projekt entwickelten Sensoren aus billigen und leicht verfügbaren Einzelteilen. Mit drahtlosen Verbindungen ist die Überwachung des eigenen Gartens technisch vom Wohnzimmer aus möglich.

Wenn die Sprache der Cyborg-Pflanzen erst einmal ausreichend verstanden ist, eröffnen sich auch neue Möglichkeiten, um die Auswirkungen der Umweltverschmutzung und des Klimawandels zu untersuchen. Aber Vitaletti betont, dass das Verstehen der Pflanzen nur ein erster Schritt sei: „Die Pflanzen können dazu beitragen, indem sie uns ein wertvolles Werkzeug zur Verfügung stellen, um unsere Umwelt besser zu verstehen und zu überwachen“, sagt er, „aber dann liegt die Veränderung in unseren Händen.“

Inhalte des EU-Projekts „PLEASED“© Andrea Vitaletti

Damit eine größere Gemeinschaft an der Entwicklung mitwirken kann, sind die vollständige Architektur des PLEASED-Systems sowie die bereits erhaltenen Daten offen zugänglich. „Wir entwickeln jetzt das PLEASED-Kit, ein offenes System, mit dem die Benutzer ihre eigenen Experimente durchführen und das Design verbessern können“, ergänzt Vitaletti. Besonders hofft er dass sich andere Wissenschaftler beteiligen und eigene Algorithmen entwickeln, um die Signale der Pflanzen immer besser zu verstehen.

(European Commission, CORDIS, 04.06.2014 – AKR)

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