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Geowissen

Chile-Beben riss Meeresboden auf

Forscher entdecken auffällige Strukturen in 700 Meter Wassertiefe

Riss im Meeresboden in 700 Metern Wassertiefe © ROV-Team / IFM-GEOMAR

Deutsche Forscher haben am chilenischen Kontinentalrand im Ostpazifik eine überraschende Entdeckung gemacht. In 700 Meter Wassertiefe stießen sie auf auffällige Risse im Meeresboden, die möglicherweise beim folgenschweren Erdbeben im Februar 2010 entstanden sein könnten. Bei dem Erdstoß mit einer Stärke von 8,8 und dem nachfolgenden Tsunami starben damals mindestens 342 Menschen.

Mit zwölf Containern voller technischer Ausrüstung sind die 27 Expeditions-Teilnehmer Ende September 2010 in Valparaiso, Chile, an Bord des deutschen Forschungsschiffes „SONNE“ gegangen – mit mehreren massiven Gesteinsblöcken, Sediment- und Wasserproben sowie spektakulären Video- und Fotoaufnahmen kehren sie jetzt aus der tektonisch überaus aktiven Region am Kontinentalrand im Ostpazifik zurück.

Subduktionssystem besser verstehen

„Unsere Funde und Analysen helfen, das Subduktionssystem vor der chilenischen Küste genauer zu verstehen, wo die ozeanische Platte unter die kontinentale taucht und dabei zusammengeschoben und aufgeschmolzen wird“, erläutert Fahrtleiter Peter Linke, Meeresbiologe am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR). „Wir möchten die hier ablaufenden Prozesse und damit verbundene Gefahren in diesem Gebiet besser abschätzen. Damit sind wir jetzt einen ganzen Schritt weiter und können unsere Ergebnisse auch in einen globalen Kontext stellen.“

Mehr als 100 Kilo schwere Karbonatblöcke, gehoben mit einem videogesteuerten Großgreifer, dienen den Wissenschaftlern als geochemische Archive: Sie werden demnächst in den Kieler Laboren mit hochspezialisierten Massenspektrometern und Lasergeräten untersucht. Dabei erfahren die Geologen, wie aktiv die Mikroben im Boden waren und welche Mengen an Fluiden ausgetreten sind – etwa des gelösten Klimagases Methan oder des giftigen Schwefelwasserstoffs.

Oase um eine Methan-Quelle

„So können wir die Entwicklung über verschiedene geologische Zeiträume rekonstruieren“, erklärt Linke. „Diese Auswertungen werden allerdings von allen am längsten dauern.“ Sind diese Funde erst analysiert, ergibt sich ein wichtiger Vergleich zu den aktuellen Beobachtungen am Meeresboden. „Auf einem Tauchgang mit dem ROV Kiel 6000 haben wir in knapp eintausend Metern Tiefe eine geradezu beispielhafte Oase rund um eine Methan-Quelle genau angeschaut und gezielt Proben genommen“, so Linke.

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Er und seine Kollegen entdeckten Karbonate, die aus der Oxidation von Methan im Meeresboden entstehen, sowie Bakterienmatten, große und kleine Muscheln und Röhrenwürmer. Diese Organismen können sich in diesen extremen Lebensräumen behaupten, weil sie sich direkt oder indirekt von dem gelösten Methan oder Schwefelwasserstoff ernähren.

Besonderes Interesse galt auch einem Walskelett, das nach Schätzungen der Biologen bereits mindestens 60 Jahre in der Tiefe schlummert. „Rund um die fettreichen Knochen leben ähnliche Organismen wie an den Fluidaustritten“, erklärt Linke. „Die Wissenschaft fragt sich seit längerem, wie diese spezialisierten Lebewesen von einer Austrittsstelle zur anderen gelangen. Solche Skelette könnten ihre Brücke sein.“

Der Tauchroboter ROV Kiel 6000. © Peter Linke / IFM-GEOMAR

Risse, Senken und Abbruchkanten

Ein ROV-Tauchgang nordwestlich von Concepción illustrierte, wie schnell sich die Existenzgrundlage dieser Lebensgemeinschaften ändern kann: In 700 Meter Tiefe entdeckten die Forscher ausgedehnte Felder aus toten Muscheln, lange Risse, tellerförmige Senken und Abbruchkanten. Das Wasser enthielt dort weitaus mehr Methan und Schwefelwasserstoff als in anderen Regionen – und mehr, als die Muscheln verarbeiten konnten.

„Seit wann es an dieser Stelle schon so aussieht und was genau passiert ist, werden unsere Auswertungen zeigen“, stellt Linke klar. „Aber mit einigen Kollegen diskutieren wir bereits, ob es sich hierbei um sehr junge Veränderungen handelt, die mit dem Erdbeben im Februar diesen Jahres in Verbindung stehen. Sicher sind wir zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht.“

Methan sprudelt aus dem Meeresboden

Meerwasseranalysen zeigten, dass die Methanmengen, die aus den Rissen und Senken aufsteigen, ausreichen, um in die Atmosphäre zu gelangen. Dazu Linke: „Dieser Fund war zwar einer der wenigen Punkte, an denen wir selbst so hohe Konzentrationen dieses Treibhausgases gemessen haben. Wir wissen aber von unseren chilenischen Kollegen, dass es viele solcher Quellen gibt – sogar in nächster Nähe zum Land.“

Methan, das in großen Mengen gasförmig aus dem Meeresgrund entweicht, wird nicht von den biologischen Lebensgemeinschaften aufgenommen. So steigt es zur Wasseroberfläche und von dort in die Atmosphäre auf und kann das Klima beeinflussen.

Massive Eruptionen

Einen weiteren Beleg für den Stoffkreislauf am chilenischen Kontinentalrand liefern die sechs und zwölf Meter langen Sedimentkerne, die die Wissenschaftler aus dem Meeresboden ziehen konnten. Die Kerne enthalten deutlich sichtbare Asche-Ablagerungen von Vulkanausbrüchen. „Es muss sich dabei um sehr massive Eruptionen gehandelt haben“, folgert Linke. „Denn normalerweise wird die Asche mit den vorherrschenden Westwinden Richtung Osten aufs Festland getragen. Nur eine große Explosion kann Asche Richtung Westen aufs Meer transportieren.“

Wie häufig solche gigantischen Ausbrüche bisher vorkamen, wann sie stattgefunden haben, welcher Vulkan die Quelle war und welche Rolle vulkanische Aschen im Stoffkreislauf der Subduktionszone haben, werden ebenfalls die Laboranalysen zeigen. „Derartige Aschelagen können auch als Rutschbahnen für Sedimente am Kontinentalhang dienen. Rutschungen und Tsunamis könnten die Folge sein“, berichtet Linke. „Ob aktuell Gefahr besteht, diskutieren die Geologen derzeit mit Kollegen aus Chile und anderen Ländern.“

Tauchroboter erreicht erstmals 6.000 Meter Tiefe

Neben umfangreichen neuen Erkenntnissen und zahlreichen Proben nehmen die Forscher auch einen echten Rekord mit nach Hause: Der Tauchroboter ROV Kiel 6000 erreichte bei einem Test erstmals seine maximal zulässige Tiefe von 6.000 Metern. „Das war ein großer technischer Erfolg und ein Zeichen, wie hervorragend das Team inzwischen mit dem Gerät agieren kann“, so Linke.

(idw – Leibniz-Institut für Meereswissenschaften, 15.11.2010 – DLO)

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