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Chemie

Chemie des schwarzen Tees enträtselt

Bis zu 10.000 verschiedene Verbindungen in der Thearubigen-Fraktion nachgewiesen

Tee © USDA

Bis heute waren die Substanzen, die 60 bis 70 Prozent aller in schwarzem Tee gelösten Inhaltstoffe ausmachen und ihm Aroma und die typische braunrote Farbe verleihen, chemisch nicht näher identifiziert. Einem deutsch-englischen Forscherteam ist es jetzt jedoch erstmals gelungen, bis zu 10.000 verschiedene Verbindungen in der so genannten Thearubigen-Fraktion verschiedener Schwarztees nachzuweisen.

Rund 1.500 davon konnten mit Hilfe einer speziell angepassten hochauflösenden Massenspektrometrie-Methode aus der Erdöl-Forschung sogar durch eine Strukturformel charakterisiert werden. Dies berichten die Wissenschaftler um den Chemiker Professor Nikolai Kuhnert von der Jacobs University Bremen in der Fachzeitschrift „Rapid Communications in Mass Spectrometry“.

Eines der ältesten Getränke der Menschheit

Tee gehört zu den ältesten Getränken der Menschheit. Seit fast 5.000 Jahren werden Teile der Teepflanze Camellia sinensis – Blätter, Knospen, Blüten, Stängel – heiß aufgebrüht und der Sud getrunken. Schwarzen Tee, der durch die Fermentation der grünen, vor dem Trocknen zerquetschten Teeblätter entsteht, gibt es seit etwa 1.500 Jahren.

Heute ist schwarzer Tee, abgesehen von Wasser, das weltweit meistkonsumierte Getränk mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch von gut einem halben Liter am Tag. Darüber hinaus ist schwarzer Tee mit bis zu drei Millionen Tonnen globalem Jahresertrag, der je nach Weltmarktpreisen einen Gesamtwert von mehr als zehn Milliarden US-Dollar erzielen kann, eines der wichtigsten Produkte der Agrarwirtschaft.

Rätsel um die chemische Zusammensetzung von schwarzem Tee

„Trotz seiner enormen Bedeutung für Ernährung, Wirtschaft und Kulturgeschichte war die chemische Zusammensetzung von schwarzem Tee bis heute größten Teils ungeklärt, ja regelrecht geheimnisvoll“, sagt Kuhnert. Neben dem allgemein bekannten Inhaltsstoff Koffein sind bislang nur rund ein Drittel aller in schwarzem Tee gelösten und unter dem Sammelbegriff „Gerbstoffe“ zusammengefassten Substanzen chemisch charakterisiert, so der Chemiker weiter.

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Schwarztee-Analyse liefert Signal-Rauschen

Knackpunkt seien die so genannten Thearubigene, die zwar bereits 1959 das erste Mal beschrieben wurden, an deren Strukturanalyse sich Experten jedoch seit über 50 Jahren die Zähne ausbeißen.

„Das Problem war, dass die analytischen Standardverfahren der Lebensmittelchemie bei der Analyse von Schwarztee nur wenige markante und gut zu deutende Einzelsignale erfassen konnten, die ein Ableiten von Molekülstrukturen für einzelne Inhaltsstoffe zulassen“, erläutert Kuhnert. „Der größte Teil einer Schwarztee-Analyse bestand bislang aus einem undifferenzierten, nicht näher interpretierbaren Signal-Rauschen.“

Aromatische Verbindungen

Zusammen mit Wissenschaftlern der britischen University of Surrey, der Bremer Firma Bruker Daltonics und der Forschungsabteilung des Lebensmittelkonzerns Unilever untersuchte Kuhnert insgesamt 15 handelsübliche Schwarzteesorten mit einer Reihe sich ergänzender Analyseverfahren.

„Wir konnten zeigen, dass die aus Schwarztee isolierten Thearubigene typischerweise kleine Moleküle sind – Molekulargewicht zwischen 300 und 2100 Dalton – und zur Gruppe der Polyphenole gehören. Das sind aromatische Verbindungen, die in allen Pflanzen vorkommen, zum Beispiel als Blütenfarbstoffe oder als Bitterstoffe, die Fressfeinde abschrecken und die Pflanzen vor UV-Strahlung schützen“, erläutert Kuhnert das Ergebnis.

Im Schnitt fanden die Wissenschaftler pro Probe rund 5.000 verschiedene Verbindungen in der Thearubigen-Fraktion der untersuchten Schwarztees, in mehreren Fällen sogar knapp 10.000. „Das sind zehnmal mehr als erwartet und bedeutet, dass schwarzer Tee das komplexeste Lebensmittel ist, welches jemals analysiert werden konnte. Die Präsenz so vieler sehr ähnlicher Stoffe erklärt auch das Versagen der herkömmlichen Verfahren“, so Kuhnert.

Ein „Buckel“ verschmolzener Einzelsignale

Die nötige Messgenauigkeit zur Auftrennung der vielen, zu einem diffusen „Buckel“ verschmolzenen Einzelsignale haben die Forscher erst durch den Einsatz einer kürzlich für die petrochemische Analytik entwickelten ultrahochauflösenden Massenspektrometrie-Methode, der sogenannten Fouriertransformation-Ionenzyklotronresonanz-Massenspektrometrie erzielen können. Deren Auflösungsvermögen übertrifft die Standardverfahren um ein 1.000-faches.

Auch das computerbasierte Interpretationsverfahren zur Herleitung der chemischen Strukturformeln aus den äußerst komplexen Messdaten stammt ursprünglich aus der Erdöl-Forschung, musste jedoch von den Forschern mit neu entwickelten Diagnoseprotokollen an die die Interpretation der Schwarzteedaten angepasst werden. Insgesamt 1.517 individuelle Strukturformeln konnten den Forschern zufolge eindeutig einzelnen Messsignalen zugeordnet werden, 500 davon wurden experimentell verifiziert.

Spannende Perspektiven für die Lebensmittelchemie

„Mit der von uns entwickelten Methodik eröffnen sich viele neue und spannende Perspektiven für die Lebensmittelchemie von Naturprodukten: Ähnlich wie petrochemische Proben zeichnen diese sich oft durch äußerst komplexe, schwer zu charakterisierende Mischungen von Inhaltstoffen aus; Schokolade, gerösteter Kaffee oder auch Karamell sind hier typische Beispiele“, kommentiert Kuhnert die aktuelle Arbeit seines Teams.

„Im Fall unserer Schwarztee-Studie lassen sich unsere Ergebnisse zum einen für die Geschmacks-, Farb- und Haltbarkeitsoptimierung eines wertvollen Lebensmittels verwenden. Darüber hinaus haben wir erstmals auch eine wissenschaftliche Basis, um sowohl die gesundheitsfördernde und als auch potenzielle die gesundheitsschädliche Wirkung einzelner, genau definierter Teebestandteile zu untersuchen“, so der Jacobs-Lebensmittelforscher abschließend.

(Jacobs University Bremen, 22.12.2010 – DLO)

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