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Physik

Atome sind nicht leicht zu erschüttern

Farey-Hierarchie erklärt Auftreten von Quanten-Beschleunigungsmoden

Ein Netz der Stabilität: Aus dem Diagramm lässt sich ablesen, wann Atome in Quanten-Beschleunigungsmoden landen. K gibt die Stärke der Laserkicks bzw. der Kopplung zwischen Laserpulsen und den Atomen an, W wird durch den lokalen Wert des Erdschwerefeldes und die Kickperiode, sprich den zeitlichen Abstand zweier Laserkicks, bestimmt. Je besser die Kickperiode der exakten Resonanz- bedingung entspricht (entlang der gepunkteten Linie zu immer kleineren Werten von K), desto höher steigt man in der Farey Hierarchie. So nähern sich Physiker dem tatsächlichen Wert des lokalen Schwerefeld immer weiter ein. Solange die Wechselwirkung zwischen den Atomen und einem Laserstrahl von einem Paar aus K und W beschrieben wird, das auf einem der farbigen Keile liegt, befinden sich die Atome in einem Quanten-Beschleunigungsmodus. Wenn sich die Keile überlappen und verzweigen können die Atome leichter aus der Formation ausbrechen. © Andreas Buchleitner / MPI für Physik komplexer Systeme

Wenn Wissenschaftler Atome auf einem senkrechten Laserstrahl hüpfen lassen – etwa so, wie ein Ball auf einer Wasserfontäne tanzt – gelangen diese in geheimnisvolle Zustände, die so genannten Quanten-Beschleunigungsmoden. Physiker haben nun eine Erklärung dafür gefunden, warum sich die Atome dann sehr geordnet bewegen und nicht leicht zu erschüttern sind.

In der Schule geht Bruchrechnung so: Wer auch die Zahlen unterm Strich addiert, hat es nicht kapiert. Genau das aber machen Physiker unter anderem vom Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme, wenn sie Quanten-Beschleunigungsmoden charakterisieren. Anders als die meisten anderen quantenmechanischen Systeme behalten die Atome auf dem Laserstrahl lange Zeit sehr definierte Eigenschaften.

Diese stabilen Zustände könnten sich einmal nutzen lassen, um Informationen in Atomen zu speichern oder mit Atomen auf Mikrochips zu manövrieren – eine Voraussetzung für den Quanten-Computer. Wann sie auftreten, ergibt sich aus der Farey Hierarchie. Das hat jetzt eine Gruppe von Physikern herausgefunden, in der auch der Max-Planck-Forscher Andreas Buchleitner arbeitet. In dieser Zahlenpyramide steigen Mathematiker von der Spitze abwärts, indem sie die Brüche in der höheren Ebene addieren – und dabei sowohl Zähler als auch Nenner summieren.

Farey-Hierarchie beschreibt Auftreten von Quantenbeschleunigungsmoden

Mathematiker bauen die Farey Hierarchie, eine Reihe rationaler Zahlen, auf, indem sie von dem Zahlenpaar 0 und 1 ausgehen, die sie als Brüche, also 0/1 und 1/1 schreiben. Zur nächsten Stufe der Hierarchie gelangen sie, wenn sie zwischen diesen beiden Zahlen die Summe der beiden Zähler und Nenner einfügen, also den Bruch 1/2. Im nächsten Schritt kommen die Werte 1/3 und 2/3 dazu, und so weiter. Der Nenner darf jedoch nicht größer werden als die Nummer der Stufe, auf Stufe 3 also nicht größer als 3 und auf Stufe 7 nicht größer als 7.

"Wir haben jetzt herausgefunden, dass die Farey-Hierarchie beschreibt, wann Quantenbeschleunigungsmoden auftreten", sagt Andreas Buchleitner in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Physical Review Letters. Quantenbeschleunigungsmoden sind für Physiker interessant, weil sich Atome in diesen Zuständen in einer geordneten Formation bewegen. Und sich auch von kleineren Störungen nicht durcheinanderbringen lassen. Da sich Atome den Gesetzen der Quantenmechanik zufolge auch als Wellen beschreiben lassen, bedeutet das: Die Wellenpakete sind scharf lokalisiert und zerfließen auch bei kleineren Störungen nicht.

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Dass sich Teilchen so scharf lokalisieren lassen und diese Schärfe über längere Zeit erhalten bleibt, kennen Physiker sonst nur aus der klassischen Physik: Sie beschreibt ganz genau, wann sich ein geworfener Ball wo in der Luft aufhält – egal wie lange er fliegt.

Elektromagnetisches Feld wirkt wie eine Kuhle

Atome in diese Zustände zu versetzen, ist jedoch eine diffizile Angelegenheit. Physiker schaffen das zum Beispiel bei Cäsium-Atomen, indem sie die Teilchen auf den Pulsen eines Lasers hüpfen lassen. Die Kraft, die jedes einzelne Atom davor bewahrt, zur Erde zu plumpsen, steckt in dem elektromagnetischen Feld des Laserlichts. Dieses Feld wirkt wie eine Kuhle, in der ein Ball, in diesem Fall das Atom, zum tiefsten Punkt rollt. Beim Laserpuls entspricht die Kuhle dem Tal der Lichtwelle. In deren elektromagnetisches Feld verfängt sich ein Atom, weil die negativen Elektronen um seinen positiven Kern flitzen und so einen schwingenden elektrischen Dipol bilden.

Anders als eine Delle im Boden ist die elektromagnetische Kuhle des Lichts jedoch mal da und mal nicht da, wenn Physiker Atome mit Laserpulsen in der Schwebe halten. Jeder neue Puls verpasst den Atomen daher einen Kick. In welche Richtung der Kick ein bestimmtes Atom schubst, hängt davon ab, wo das Teilchen zu liegen kommt, wenn der Laser aufblitzt. Landet es links vom tiefsten Punkt des Wellentals, bekommt es einen Kick nach rechts und umgekehrt. Wenn sich die Richtungen der Kicks in zufälliger Reihenfolge abwechseln, ist völlig unvorhersehbar, wo sich ein einzelnes Atom nach einer bestimmten Zahl von Kicks befinden wird: Die Bewegung endet im Chaos, und die einzelnen Atome eines Ensembles werden bald ihre eigenen Wege gehen.

Anders ist das, wenn alle Atome immer an derselben Stelle der elektromagnetischen Kuhle landet: Dann bewegen sie sich in einer Formation und noch dazu in sehr berechenbarer Weise. Physiker sprechen in diesem Fall von einer nicht-linearen Kopplung oder Resonanz zwischen Laserpuls und Atomen. Den Trick, Atome an Laserpulse zu koppeln, sprich sie in geordnet auf einer Laserwelle tanzen zu lassen, beherrschen Forscher seit einigen Jahren. Sie geben den Teilchen dabei mit den Laserpulsen genau kalkulierte Kicks. Physikalisch ausgedrückt, verändern sie damit den Impuls der Atome in regelmäßiger und kalkulierbarer Weise.

Inseln in einem Meer von Chaos

Die Bedingungen, unter denen die nicht-lineare Resonanz auftritt, stellen sie in einem speziellen Diagramm dar. Dieses Bild gibt wieder, wie sich ein Teilchen unter einem bestimmten äußeren Einfluss, etwa unter Beschuss mit einem Laser verhält. Meistens lässt sich darüber nicht viel sagen – da es sich chaotisch aufführt. Nur einige Inseln bieten in diesem Meer von Chaos eine Zuflucht. In ihrem Mittelpunkt sind Laser und Atom so aufeinander abgestimmt, dass es zur Resonanz kommt. Aber auch wenn Laser und Atom nicht ganz genau aufeinander abgestimmt sind, kommt es noch zur Resonanz. Wie weit das Atom und der Laserpuls gegenüber der optimalen Resonanz-Bedingung verschoben sein darf, hängt von der Stärke der Laserkicks ab. Und letztendlich auch davon, wie stark das Atom an das Laserlicht gekoppelt ist. Die Kraft der Laserpulse darf dabei weder zu klein noch zu groß sein.

Dass Atome nicht mehr so leicht aus einer Formation ausbrechen, wenn der Laser sie einmal eingefangen hat, ist für Physiker sehr praktisch. Es erlaubt ihnen nämlich auch kleine Schlampigkeiten in ihren Versuchsaufbauten: "Irgendwo haben sie immer Dreck", sagt Buchleitner. Oder der Experimentiertisch zittert unmerklich. Experimente, in denen wie zum Beispiel im harmonischen Oszillator keine nicht-lineare Kopplung die scharfen Wellenpakete stabilisiert, sind da sehr viel empfindlicher. "Dieser Effekt beruht letztendlich darauf, dass die Kopplung zwischen dem Laserpuls und dem Atom groß ist, verglichen mit der Störung", sagt Andreas Buchleitner.

Stabile Formation auf dem Laserstrahl

Bislang beobachteten Physiker diesen Effekt allerdings nur in quantenmechanischen Systemen, in denen sie sich nahe an der Grenze zur klassischen Physik befinden. Für die Gesetze der klassischen Physik sind Quanten, die physikalische Währung der Quantenmechanik verschwindend klein. "Nun haben wir dieses Phänomen erstmals tief in der quantenmechanischen Domäne beobachtet", sagt Buchleitner. Also weit weg von der Grenze, jenseits derer die Gesetze der klassischen Physik gelten. Das heißt die Quantelung, im Falle von den Laserkicks die Quantelung des Impulses, bleibt eine relevante Größe. Andreas Buchleitner und seine Kollegen variieren vielmehr die Stelle der Laserwellen, an der das Atom landet, wenn der Laserpuls kommt. Und stellen fest: Die Formation bleibt auch stabil, wenn das Atom ein bisschen von der Idealposition abweicht, solange es die Resonanzinsel nicht verlässt.

Dass die Formation der Atome auf dem Laserstrahl nicht leicht zu erschüttern ist, lässt sich auch noch unter einem anderen Blickwinkel betrachten: Es hängt, bildlich gesprochen, mit der Topografie der Insel zusammen. Ihr Ufer ist nämlich durch eine Art Damm gegen das Meer des Chaos gesichert. Um diesen Wall zu überwinden müssen die Atome auf der Insel den Wall durchtunneln. Überspringen können sie ihn nicht, weil ihre Energie dafür nicht ausreicht. Die Wahrscheinlichkeit, den energetischen Damm zu überwinden ist jedoch recht klein – so bleiben die Atome auf der Insel der Stabilität gefangen.

(idw – MPG, 23.05.2006 – DLO)

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