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Physik

Atom: Rückstoß verkehrt herum

Physiker liefern experimentellen Beweis für 90 Jahre alte Theorie zur Photoionisation

Impuls
Physiker haben de Impuls photoionisierter Atome vermessen – und eine Theorie von 1930 bestätigt. © APS/ S. Grundmann et al., Phys. Rev. Lett. (2020)

Endlich bewiesen: Physikern ist es gelungen, eine 90 Jahre alte Theorie zur Photoionisation experimentell zu belegen. Nach dieser führt das Herausschlagen eines Elektrons durch Licht dazu, dass das betroffene Atom eine Art Rückstoß zeigt – es bewegt sich auf das Licht zu. Diesen Effekt haben Forscher nun erstmals direkt beobachtet, als sie Helium und Stickstoffatome im Röntgenstrahl ionisierten.

Es ist eine fundamentale Wechselwirkung von Licht und Materie, die schon Einstein beschrieb: Treffen energiereiche Photonen auf ein Atom, können sie dessen Elektronen auf ein höheres Energieniveau bringen oder sogar ein Elektron komplett aus dem Atomverbund herausschleudern – das Atom wird ionisiert. Dabei bekommt das Elektron jedoch nicht nur Energie vom Photon, sondern auch vom Atom selbst mit, wie Messungen seines Impulses belegen.

Eine Frage der Impulserhaltung

Doch dieser Effekt zieht einen weiteren nach sich, wie der Münchener Physiker Arnold Sommerfeld im Jahr 1930 postulierte: Wenn das Atom seinem Elektron einen zusätzlichen „Schub“ mitgibt, fordert das Impulserhaltungsgesetz, dass auch das Atom darauf reagieren muss. Es muss sich in einer Art Rückstoß in Gegenrichtung des Elektrons bewegen – und damit auf die Quelle der Photonen zu.

Konkret bedeutet dies: Während der Strahlungsdruck des Lichts normalerweise Materie vor sich herschieben kann – beispielsweise in einem Lichtsegel – kehrt sich dies im Fall der Photoionisation um. Das Atom, das ein Elektron abgibt, bewegt sich ein wenig auf die Lichtquelle zu statt von ihr weg. Soweit Sommerfelds Theorie. Doch weil die entsprechende Messtechnik fehlte, ließ sich dieser Photoionisationseffekt nicht beweisen.

Helium und Stickstoff unter Röntgenbeschuss

Den fehlenden experimentellen Beweis liefern nun Sven Grundmann von der Goethe-Universität Frankfurt und seine Kollegen. Für ihr Experiment haben sie das in Frankfurt entwickelte COLTRIMS- Reaktionsmikroskop genutzt, eine Anlage, die den Impuls und die Bewegungsrichtung der bei der Photoionisation entstehenden Teilchen spektroskopisch aufzeichnen und messen kann. Diese Messanlage installierten die Forscher an den Röntgenstrahllinien des DESY in Hamburg und des ESRF im französischen Grenoble.

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Für den eigentlichen Versuch bestrahlten Grundmann und sein Team Helium und Stickstoffgas (N2) mit Röntgenphotonen unterschiedlichen Energiegehalts. Dabei wählten sie die Bedingungen so, dass ein Röntgenphoton jeweils ein Elektron aus den Atomen herausschlug. Dadurch konnten sie den Impuls der beteiligten Partner mitverfolgen. „Wir konnten nicht nur den Impuls des Ions messen, sondern auch sehen, woher er kommt, nämlich vom Rückstoß des herausgeschlagenen Elektrons“, erläutert Grundmanns Kollege Reinhard Dörner.

Vorhersage bestätigt

Das Ergebnis: Wie vor 90 Jahren vorhergesagt, konnten die Physiker einen rückwärtsgerichteten Impuls beim frisch ionisierten Atom messen. „Der mittlere Wert der Impulsverteilung beim Ion liegt bei -3/5 des Photonenimpulses und ist rückwärts gegen die Lichtrichtung gerichtet“, berichten Grundmann und sein Team. „Dieses Ergebnis bestätigt die 90 Jahre alte Vorhersage.“

Gleichzeitig ergaben die Versuche, dass die Stärke des „verkehrten“ Rückstoßes linear von der Energie des auf das Atom treffenden Photons abhängt. Je energiereicher das Photon ist, desto stärker fällt auch der „Kick“ aus, den das herausgeschleuderte Elektron dem Atom gibt. „Unser experimenteller Durchbruch erlaubt uns jetzt viele weitere Fragen zu stellen, wie etwa die, was sich ändert, wenn man die Energie auf zwei oder mehr Photonen verteilt“, sagt Dörner. (Physical Review Letters, 2020; doi: 10.1103/PhysRevLett.124.233201)

Quelle: Goethe Universität Frankfurt

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