Die heutige Zirkulation im Arktischen Ozean stellt, verglichen mit der geologischen Vergangenheit, eine Ausnahmesituation dar. Dies haben Wissenschaftler anhand von geochemischen Analysen an Meeressedimenten gezeigt. Während des überwiegenden Teils der letzten 15 Millionen Jahre wurde demnach die Zirkulation stark durch die Bildung von Meereis beeinflusst und nicht, wie heute, durch einfließendes Wasser aus dem Atlantik bestimmt.
Das legt auch nahe, so die Forscher des Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR) in der Online-Ausgabe der neuen Fachzeitschrift „Nature Geoscience“, dass das Bildungsgebiet des Nordatlantischen Tiefenwassers in diesen Zeiten weiter im Süden lag und den Arktischen Ozean daher nicht so stark beeinflussen konnte. Dieses Tiefenwasser ist für die globale Zirkulation und den Wärmeaustausch zwischen niedrigen und hohen Breiten von großer Bedeutung.
Begrenzter Wasseraustausch
Der Arktische Ozean steht nur in begrenztem Austausch mit dem globalen Ozean, wobei die Framstraße zwischen Grönland und Svalbard die einzige Tiefenwasserverbindung zum Atlantischen Ozean darstellt. Hauptsächlich über diesen Weg wird der tiefe Arktische Ozean zurzeit mit Sauerstoff versorgt. Heute verhindert eine ausgeprägte und stabile Süßwasser-Schicht an der Oberfläche des Arktischen Ozeans, die durch die großen russischen Flüsse erzeugt wird, die Tiefenwasserbildung im Arktischen Ozean selbst nahezu vollständig.
Die Ergebnisse von Brian Haley und seinen Kollegen vom IFM-GEOMAR zeigen nun, dass diese Situation in den vergangenen 15 Millionen Jahre nicht die Regel sondern eher die Ausnahme war. Die Kieler Forscher machten ihre Entdeckung als sie geochemische Analysen an Sedimenten der Arctic Coring Expedition – ACEX, Leg 302 des Integrated Ocean Drilling Programms (IODP) – und einer Polarstern Expedition durchführten, die nahe des Nordpols auf dem Lomonosov-Rücken in 1.000 bis 1.200 Meter Wassertiefe gewonnen wurden.
Element Neodym mit Schlüsselrolle
Sie rekonstruierten dabei das Meerwasser-Isotopenverhältnis des Elements Neodym (143Nd/144Nd) in der Vergangenheit aus den Sedimenten. Das Neodym, das in Gesteinen abhängig von deren Alter und Typ charakteristische Isotopenverhältnisse hat, wird durch Verwitterung in den Ozean transportiert und liefert dort Informationen über die Herkunft von Wassermassen.
Zu ihrer Überraschung stellten die Geochemiker dabei fest, dass die Isotopen-Signatur des Meerwassers der letzten 15 Millionen Jahre, mit Ausnahme der Ablagerungen aus den Warmzeiten der letzten 400.000 Jahre, sehr stark unterschiedlich zum heutigen Signal war.
„Noch erstaunlicher ist,“, so Haley, „dass diese Signatur auf einen starken Einfluss der Verwitterung basaltischer Gesteine hinwies. Solche Gesteine existieren jedoch in den Landmassen um die Arktis herum ausschließlich in Form der sibirischen ‚Putorana-Flutbasalte’“.
Aus dieser geologisch einmaligen Situation konnten, zusammen mit Rekonstruktionen der kontinentalen Eisbedeckung der letzten 140.000 Jahre, Rückschlüsse über die Strömungsgeschichte des tiefen Arktischen Ozeans gezogen werden. Die Basaltsignatur kann nach den Erkenntnissen der Wissenschaftler nur dadurch in den tiefen Arktischen Ozean gelangt sein, dass sich in Kaltzeiten große Mengen neuen Meereises nahe den Basaltgebieten in der Karasee gebildet haben.
Tiefenwasserbildung erfolgte weiter südlich
Doch wie kam das Signal zum Meeresboden? „Bei der Eisbildung ‚friert’ das Salz aus, und es entstehen extrem salzhaltige Lösungen, die dichter als das umgebende Meerwasser sind. Diese sinken in die Tiefe ab und transportieren dabei die gelöste Neodym-Signatur der Basalte zum Meeresboden, wo die Sedimentkerne gewonnen wurden“, erklärt Professor Martin Frank.
Ferner lassen die gemessenen Isotopenverhältnisse nur den Schluss zu, dass der Einstrom Atlantischen Wassers in den Arktischen Ozean während des größten Teils der letzten 15 Millionen Jahre und während der Eiszeiten der letzten 400.000 Jahre im Vergleich zu heute stark erniedrigt war. Dies legt nahe, dass das Zentrum der Atlantischen Tiefenwasserbildung in diesen Zeiten nicht wie heute in der Norwegisch-Grönländischen See, sondern weiter südlich lag.
(idw – Leibniz-Institut für Meereswissenschaften, 03.12.2007 – DLO)