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Biologie

Antibiotika aus Tabak

Toxin-Shuttle macht’s möglich

Tabakpflanzen eignen sich gut zur Produktion von Antibiotika gegen Lungenentzündung. © MPI für Molekulare Pflanzenphysiologie

Deutschen Wissenschaftlern ist es mit einer neuen Strategie gelungen, von Viren geborgte Gene für die Bildung antibiotisch-wirksamer Eiweiße in Pflanzen zu nutzen. Sie berichten über ihre Ergebnisse in der Early Edition der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Science“ (PNAS).

Während Tabak bisher mit den Attributen gesundheitsschädigend und krebserregend verbunden war, gibt es seit einiger Zeit wissenschaftliche Ansätze, Tabakpflanzen zur Produktion hochwirksamer Medikamente zu nutzen. Solche Ansätze werden unter dem Begriff „Molecular Pharming“ zusammengefasst und beinhalten die Nutzung von Pflanzen als effizientes biologisches System zur Produktion pharmazeutisch wirksamer Substanzen, wie beispielsweise Antibiotika. Tabak ist für eine solche Produktion besonders geeignet, da er in kurzer Zeit viel Blattmaterial bildet und keine Nahrungsmittelpflanze darstellt.

Wie in einer früheren Studie des Teams um Professor Ralph Bock am Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie nachgewiesen wurde, können in gentechnisch veränderten Chloroplasten von Tabakpflanzen große Mengen antibiotisch-wirksamer Proteine hergestellt werden. Der Ursprung dieser Proteine liegt in speziellen Viren (Bakteriophagen), die Bakterien befallen, deren Erbgut umprogrammieren, um sich zu vermehren und am Ende das Bakterium auflösen, um freigesetzt zu werden. Die vom Bakteriophagen kodierten Eiweiße, die den Tod des Bakteriums herbeiführen, heißen Lysine.

„Toxin-Shuttle“ als neue Strategie

Um nach der Einschleusung des Bakteriophagengens in den Chloroplasten eine hohe Ausbeute an antibiotisch-wirksamen Proteinen in der Pflanze zu erhalten, muss das Gen zunächst im Laborbakterium Escherichia coli mit molekulargenetischen Methoden für die effiziente Proteinproduktion im Chloroplasten vorbereitet werden. Gleichzeitig muss allerdings verhindert werden, dass das Gen bereits hier, das heißt vor der Übertragung in die Chloroplasten, in Protein übersetzt wird, da sonst das Laborbakterium sofort abgetötet werden würde.

Bock und seine Mitarbeiter haben nun eine Methode gefunden, die es ermöglicht, die Gene für die Bildung der Lysine erst im Chloroplasten funktionsfähig werden zu lassen. Diese neu entwickelte Strategie, „Toxin-Shuttle“ genannt, beruht auf einem Unterschied beim Ablesen der genetischen Information zwischen Chloroplasten und Bakterien. Im Bakterium werden bestimmte Gensequenzen verwendet (Terminatoren), um das Ende eines Gens anzuzeigen und so den Ablesevorgang (Transkription) an der DNA zu beenden, der zur Bildung einer Boten-RNA (mRNA) führt. Demgegenüber werden diese Terminatoren beim Ablesevorgang in Chloroplasten nicht erkannt, sondern gewissermaßen „überlesen“.

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Molekularer Trick

Damit die toxischen Genprodukte – antibiotisch-wirkende Proteine – im Bakterium noch nicht gebildet werden können, wurden von den Wissenschaftlern solche Terminatoren eingesetzt, die eine frühzeitige Beendigung des Ablesevorgangs im Bakterium zu bewirken. Da in den Chloroplasten die Information aber vollständig abgelesen wird, kann die Synthese des Lysin-Antibiotikums dort ungehindert ablaufen. Mit einem weiteren molekularen Trick wurden nach dem erfolgreichen Einbringen der neuen Gene in das Genom der Chloroplasten die nun nicht mehr benötigten Terminatoren wieder entfernt, sodass am Ende nur noch die Lysingene als neue genetische Information im Chloroplasten enthalten sind.

„Die Wirksamkeit der in den Chloroplasten produzierten Lysine konnte durch Tests an Bakterienkulturen von Streptococcus pneumoniae, dem Erreger der Lungenentzündung, überzeugend gezeigt werden“, erläutert Bernd Kreikemeyer vom Institut für medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene der Universität Rostock die Versuche. Bereits geringe Mengen der Lysine erwiesen sich als hoch wirksam. Der Anteil des Lysins am Gesamtprotein in den Tabakpflanzen betrug bis zu 30 Prozent.

„Die zur therapeutischen Verwendung in Pflanzen gewonnenen antibakteriellen Proteine sind sicherer als Proteine, die direkt aus virusbefallenen Bakterien gewonnen werden. Darüber hinaus muss kein weiterer Reinigungsschritt erfolgen, um die schädlichen bakteriellen Endotoxine zu entfernen“, stellt Bock die Vorzüge der Antibiotikaproduktion in Pflanzen heraus.

Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen

Dank der großen Vielfalt und der hohen Spezialisierung von Bakteriophagen auf bestimmte Bakterien stellen Viren eine nahezu unerschöpfliche Quelle zur Gewinnung neuer antibakterieller Wirkstoffe dar, um der zunehmenden Resistenz von Krankheitserregern gegen herkömmliche Antibiotika entgegen zu wirken.

Im Falle des Tabaks werden mit der gentechnischen Veränderung der Chloroplasten nach Angaben der Forscher zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: die Antibiotikaproduktion ist sehr hoch, da jede Pflanzenzelle eine große Anzahl an Chloroplasten besitzt, und die Weitergabe der veränderten Erbinformation erfolgt so gut wie nicht über den Pollen der Pflanze, was die biologische Sicherheit der Pflanzen erhöht, wie das Team um Bock in einer früheren Veröffentlichung nachweisen konnte.

(idw – MPG, 02.04.2009 – DLO)

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