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Chemie

Alten Meistern auf die Palette geschaut

Chemiker enthüllen das Geheimnis der schneller trocknenden Ölfarbe

Ölgemälde von William Turner aus dem Jahr 1842. Er malte dieses Bild eines Bergmassivs in der Schweiz bereits nach Einführung der ersten chemischen Trocknungshelfer für Ölfarben. © historisch

Chemische Helfer: Maler des 19. Jahrhunderts wie William Turner verdanken ihren Ausdrucksreichtum auch einer chemischen Innovation. Denn sie nutzten erstmals Sikkative, um ihre Ölfarben schneller trocknen zu lassen. Das chemische Geheimnis hinter diesen frühen Trocknungshelfern haben französische Forscher nun genauer untersucht. Demnach spielten vor allem Blei und freie Radikale eine entscheidende Rolle.

Über Jahrhunderte hinweg bestanden Ölfarben für die Malerei nur aus natürlichen Ölen wie Leinöl oder Walnussöl und Pigmentpulvern. Das erlaubte zwar durch Mischungen eine Vielzahl von Farbnuancen, dafür aber benötigten die einzelnen Farbschichten Wochen, um zu trocknen. Ein Kunstwerk zu vollenden dauerte allein deswegen manchmal Monate bis Jahre. Bestimmte Maltechniken wiederum ließen sich mit diesen langsam trocknenden Ölfarben gar nicht umsetzen.

Ein Gemälde in nur drei Tagen

Im frühen 19. Jahrhundert jedoch änderte sich dies. Eine chemische Innovation eröffnete Künstlern wie dem englischen Maler William Turner ganz neue Maltechniken und Ausdrucksmöglichkeiten. Denn erstmals gab es ein Mittel, das Ölfarben sehr viel schneller erhärten ließ. „Turner demonstrierte damit 1841, dass er ein Werk in nur drei Tagen vollenden konnte – ein Rekord für die damalige Zeit“, berichten Laurence de Viguerie von der Sorbonne und ihre Kollegen.

Diese sogenannten Sikkative gibt es noch heute. In kleinen Mengen der Ölfarbe zugesetzt, fördern sie die Bildung vernetzter Moleküle und sorgen so dafür, dass die Farbe gelartig erstarrt. Wie genau die ersten Sikkative des 19. Jahrhunderts dies chemisch gesehen bewirkten, ist jedoch bisher kaum untersucht worden.

Historisch-chemische Spurensuche

Um das Geheimnis von Turners „Wunderfarbe“ zu ergründen, haben De Viguerie und ihre Kollegen mit Hilfe von historischen Dokumenten und chemischen Analysen der Gemälde die Formeln für die frühen Sikkative rekonstruiert. Auf deren Basis gelang es ihnen, die historischen Trockenhilfen herzustellen und ihre chemischen Eigenschaften eingehend zu untersuchen.

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Das gummiartige Harz der Mastix-Pistazienbäume (Pistacia lentiscus) ist ein entscheidender Bestandteil des Sikkativs. © Lemmikkipuu/ CC-by-sa 3.0

Wie die Analysen enthüllen, bestanden die Sikkative von Turner und seinen Zeitgenossen vor allem aus Mastix-Harz und Bleiacetat. Bereits winzige Mengen dieser Mischung reichen aus, um zusammen mit den Ölfarben ein hybrides, organisch-anorganisches Gel zu bilden, wie die Forscher berichten. In diesem Gel bilden sich miteinander verflochtene kettenförmige Moleküle, die die zuvor flüssige Farbe erstarren lassen.

Harz, Blei und freie Radikale

Die Grundbausteine für die vernetzten Polymere liefert dabei das Mastix-Harz. Dieses gummiartige Harz spezieller Pistazienbäume enthält verschiedene Kohlenwasserstoffe, darunter Triterpenoide. Bei Anwesenheit von Blei bilden diese aus mehreren Ringen bestehenden Moleküle untereinander Bindungen. Das lässt die Farbmischungen erstarren. Das Blei spielt dabei sowohl eine Rolle als Katalysator, trägt aber auch selbst zur Strukturbildung bei, wie die Forscher berichten.

Wie De Viguerie und ihre Kollegen herausfanden, spielen aber auch freie Radikale für die Trocknung durch die Sikkative eine Rolle. So lässt eine Bestrahlung der Farbmischungen mit UV-Licht diese noch schneller erstarren. Gaben die Forscher dagegen Radikalfänger in die Gelmischung, verzögerte dies die Trocknung der Farbe um mehrere Tage. Wie sie erklären, fördern die freien Radikale die Ausbildung der Bindungen zwischen den Polymerbausteinen – und damit das Erstarren der Mischung.

„Unsere Studie liefert damit neuen Einblicke in das Verhalten dieser hybriden organisch-anorganischen Materialien“, konstatieren die Wissenschaftler. William Turner und seine Zeitgenossen jedoch wussten die Vorteile dieser chemischen Innovation auch ganz ohne solche Einblicke zu nutzen. Sie probierten einfach aus, was für ihre Zwecke am besten funktionierte. (Angewandte Chemie International Edition, 2017; doi: 10.1002/anie.201611136)

(CNRS (Délégation Paris Michel-Ange), 10.01.2017 – NPO)

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