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Technik

105 Jahre alter Gezeitenrechner rechnet wieder

Restaurierung der ersten deutschen Rechenmaschine zur Tidenvorhersage abgeschlossen

Gezeitenrechner
Hier ist ein Teil des ältesten deutschen Gezeitenrechners zu sehen, einer analogen Rechenmaschine, mit der der Tidenhub an verschiedenen Häfen vorhergesagt werden konnte.© Müllenberg / DSM

Meisterwerk der Mechanik: Im Jahr 1915 wurde der erste deutsche Gezeitenrechner konstruiert – ein Vorläufer früher Computer. Jetzt wurde die 105-jährige Rarität aus Messing und Silber restauriert und wieder gangbar gemacht. Trockeneis-Pellets entfernten dabei hartnäckige Verharzungen in den Getrieben. Weltweit wurden weniger als 30 solcher Gezeitenrechner gebaut, davon nur drei in Deutschland.

Als im 19. Jahrhundert die Dampfschifffahrt aufkam, wurde es unerlässlich, die Wasserstände in den Häfen genau vorhersagen zu können. Denn der Schiffsverkehr war nun weniger wetterabhängig, musste aber trotzdem die Gezeiten berücksichtigen. Zunächst nutzte man dafür Gezeitentafeln, doch schon im Jahr 1872 konstruierte der britische Physiker William Thomson, Lord Kelvin, den Prototyp eines ersten Gezeitenrechners.

Gezeitenrechner ganz
Gesamtansicht der ersten deutschen Gezeitenrechenmaschine. © Stahlkocher /CC-by-sa 3.0

Gezeitenvorhersage mit Zahnrädern und Seilrollen

Dieses auf der Weltausstellung von 1878 vorgestellte Gerät nutzte über Seilrollen verbundene mechanische Getriebe, um Parameter wie die Position von Sonne und Mond, die Erdrotation und weitere Einflussfaktoren nachzubilden und daraus den Tidenhub für bestimmte Küstenorte zu kalkulieren. Keine leichte Aufgabe, denn die tatsächlichen Wasserstände ergeben sich erst aus der Überlagerung verschiedener Schwingungen, sogenannter Partialtiden.

In den folgenden Jahrzehnten profitierte auch die deutsche Seefahrt von den englischen Gezeitenmaschinen, indem sie ihre Daten mitnutzte. Doch mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 blieben diese Gezeitendaten aus. Deshalb begann ein Team um den Mathematiker Friedrich Kühnen vom Geodätischen Institut Potsdam im Auftrag des Reichsmarineamtes mit der Konstruktion einer deutschen Gezeitenmaschine.

Ein Jahr Tidenhub in 20 Stunden

1915 war der erste deutsche Gezeitenrechner fertig und ging am Marineobservatorium in Wilhelmshaven in Betrieb. Das Gerät besaß 20 Rechenwerke und konnte damit den Gezeitenverlauf eines Hafens ein Jahr im Voraus berechnen. Diese Wasserstandskurve entstand in nur 20 Stunden Rechenzeit – ein Mathematiker hätte dafür Wochen benötigt.

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Der nunmehr 105 Jahre alte Gezeitenrechner ist der älteste seiner Art in Deutschland und einer von nur drei hierzulande hergestellten. Auch weltweit wurden nicht einmal 30 dieser analogen Computer gebaut, nur wenige davon sind jedoch erhalten und öffentlich zugänglich. Seit 1975 steht das 105-jährige Meisterwerk der Mechanik im Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven, allerdings war das Gerät nicht mehr funktionsfähig.

Trockeneis als Reinigungshelfer

Jetzt ist der historische Gezeitenrechner restauriert und läuft wieder. Um das Gerät auch in den hintersten Winkeln seiner Zahnrädern von Schmutz und Verklebungen zu befreien, setzte der Restaurator Tim Lücke in den letzten Monaten eine innovative Methode ein: Die Reinigung mit Trockeneis. Dafür werden kleine Pellets gefrorenen Kohlendioxids in die Maschinerie eingebracht. Wen dann das Eis sublimiert, löst das freiwerdende Gas die Verkrustungen.

„Weil es sich um eine bisher selten angewandte Methode handelt, ist das Projekt auch aus restauratorischer Perspektive sehr spannend“, erklärt Martin Weiss vom Deutschen Schifffahrtsmuseum. „Wir sind froh, dass wir mit Tim Lücke einen erfahrenen Experten fanden, der die Trockeneisreinigung in unserem Museum erstmalig in dieser Form anwandte.“ Der Gezeitenrechner ist jetzt wieder komplett zusammengebaut und funktionsfähig. Er soll künftig regelmäßig öffentlich in Betrieb gesetzt werden, damit seine Getriebe nicht wieder verkleben.

Erste Restaurationsarbeiten am Gezeitenrechner im Zeitraffer.© Deutsches Schifffahrtsmuseum

Quelle: Deutsches Schifffahrtsmuseum – Leibniz-Institut für Maritime Geschichte

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