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Neurowissenschaften

Wie Gedanken unsere Wahrnehmung verändern

Unter Hypnose eingeflößte Suggestionen beeinflussen das Tastempfinden

Die fünf Sinne
Unsere Sinne sind durch Gedanken und Gefühle beeinflussbar. So kann hypnotische Suggestion beispielsweise unseren Tastsinn sensibler machen oder abstumpfen lassen. © Jolygon/ Getty images

Nichts ist wie es scheint: Hypnose kann unser Tastempfinden verändern – je nach Suggestion kann es präziser oder weniger akkurat werden, wie ein Hypnose-Experiment belegt. Demnach werden wir dann feinfühliger, wenn wir unter Hypnose annehmen, unser Zeigefinger sei fünfmal größer. Gehen wir davon aus, er sei erheblich kleiner, fühlen wir hingegen weniger präzise. Dies bestätigt, dass unsere Gedanken auch unseren Tastsinn beeinflussen können, wie das Team erklärt.

Wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen, gleicht keinem detailgetreuen Spiegel der Wirklichkeit, sondern ist stets getrübt von subjektiven Einflüssen. So ordnen wir zum Beispiel unter Schlafmangel fremde Gesichter als weniger vertrauenswürdig ein oder nehmen generell die Welt unseren Vorurteilen entsprechend wahr. Wer zum Beispiel Männern grundsätzlich aggressive Eigenschaften zuschreibt, interpretiert ein männliches Gesicht automatisch als wütender.

Doch nicht nur unsere visuelle, sondern auch die taktile Wahrnehmung lässt sich beeinflussen: Romantische Musik etwa lässt uns Berührungen erwiesenermaßen als sinnlicher empfinden. Ob jedoch neben Musik auch die reine Kraft der Gedanken ausreicht, um unsere Wahrnehmung zu verändern, war bislang ein Streitpunkt innerhalb der Neurowissenschaft.

Zwei-Punkt-Diskrimination
Zwei-Punkt-Diskrimination in Aktion: Denkt die Besitzerin dieser Hand gerade, dass sie zwei Nadeln pieken oder doch nur eine? © RUB, Nelle

Nadelstiche unter Hypnose

Forschende um Marius Markmann von der Ruhr-Universität Bochum (RUB) sind dem Rätsel der Gedankenkraft nun mit einem neuen Ansatz nähergekommen. Dafür untersuchten sie das Tastempfinden von 24 Testpersonen mit der sogenannten Zwei-Punkt-Diskrimination. Bei dieser Methode liegt der Zeigefinger entspannt auf einer Apparatur, bei der zwei Nadeln immer wieder den Finger schmerzfrei, aber deutlich berühren.

„Wir können dabei zwei Berührungspunkte unterscheiden, wenn die Nadeln weit genug auseinander stehen“, erklärt Markmanns Kollege Hubert Dinse. Stehen die Nadeln hingegen sehr eng zusammen, interpretieren wir sie fälschlicherweise als eine einzige. Für jeden Menschen lässt sich dadurch eine individuelle Empfindungsgrenze ermitteln, ab der die Nadeln weit genug auseinanderstehen, um als zwei einzelne Berührungspunkte wahrgenommen zu werden.

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„Wir wollten wissen, ob man diese Empfindungsgrenze verändern kann, indem man bei einer Person einen sprachlich formulierten Gedanken (Suggestion) aktiviert“, erläutert Koautor Albert Newen von der RUB. Deshalb ermittelte das Team die Empfindungsgrenze der Versuchsteilnehmer unter vier Bedingungen: Unter normalem Alltagsbewusstsein, unter Hypnose ohne Suggestion sowie unter Hypnose mit den beiden Suggestionen, dass der Finger entweder fünfmal größer oder kleiner wäre. Professionelle Hypnotiseure sorgten jeweils dafür, dass die Teilnehmer ernsthaft von ihrer veränderten Fingergröße überzeugt waren.

Hypnotische Suggestionen beeinflussen Tastgefühl

Das Ergebnis: „Normales Bewusstsein und Hypnose ohne Suggestion führte zu keinem Unterschied in der Empfindungsgrenze“, berichtet Koautor Martin Tegenthoff von der RUB. „Führt man aber unter Hypnose die Überzeugungen als Suggestionen ein, lässt sich eine systematische Veränderung der Empfindungsgrenze beobachten.“

Im Detail bedeutet das: Waren die Versuchspersonen davon überzeugt, ihr Zeigefinger sei fünfmal größer, dann verbesserte sich bei den meisten von ihnen auch ihre Empfindungsgrenze von durchschnittlich rund 1,6 Millimetern auf etwas über 1,5 Millimeter. Die Personen konnte die beiden Nadeln also auch schon bei geringerem Abstand getrennt voneinander wahrnehmen und waren dementsprechend feinfühliger.

Bei der Suggestion eines fünfmal kleineren Zeigefingers verschlechterte sich die Empfindungsgrenze hingegen: Zwischen den Nadeln mussten für getrennte Wahrnehmung dann fast 1,8 Millimeter liegen, was einem insgesamt schlechteren Tastempfinden entspricht.

Veränderte Wahrnehmung auch am Gehirn ablesbar

Für Markmanns Team ist klar: Es sind die mittels Hypnose manipulierten Überzeugungen hinsichtlich der Fingergröße, die die Wahrnehmungen der Versuchspersonen verändert haben. Auch zusätzliche Messungen der neuronalen Aktivität, etwa in Form einer Elektroenzephalographie (EEG), untermauern diese Interpretation. Diese zeigten, dass sich durch die hypnotische Suggestion die Kopplung der Hirnaktivität zwischen dem Stirnhirn und dem für Sinneseindrücke zuständigen somatosensorischen Cortex veränderte.

Die Bochumer Studie liefert damit einen weiteren Beweis dafür, dass Denkinhalte tatsächlich komplette Wahrnehmungsprozesse beeinflussen können – bislang eine Streitfrage innerhalb der Neurowissenschaft. (Scientific Reports, 2023; doi: 10.1038/s41598-023-33108-z)

Quelle: Ruhr-Universität Bochum

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