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Neurowissenschaften

Temperaturzentrum unseres Gehirns lokalisiert

Gehirn erkennt Wärme und Kälte an unerwarteter Stelle und über getrennte Signalwege

Temperaturzentrum
Forschende haben herausgefunden, wo der thermische Cortex liegt – das Hirnareal, in dem Mensch und andere Säugetiere Warm- und Kaltreize verarbeiten. © comotion_design/ Getty images

Überraschung beim Temperatursinn: Unser Gehirn verarbeitet Wärme- und Kältereize an anderer Stelle als erwartet. Denn das Temperaturzentrum liegt nicht bei den anderen Sinnesarealen im somatosensorischen Cortex, sondern in der hinteren Inselrinde – einem eingesenkten Bereich oberhalb der Schläfenlappen. In diesem Areal – dem thermischen Cortex – werden Kälte- und Wärmereize zudem auf verschiedene Weise von jeweils eigenen Neuronen verarbeitet, wie Forschende in „Nature“ berichten.

Ob eiskalter Wind oder die Wärme der Sonne: Über unsere Haut können wir die Temperatur unserer Umgebung wahrnehmen. Zwei verschiedene Sensoren senden dabei Nervensignale ans Gehirn, durch die wir selbst geringe Temperaturunterschiede noch erspüren können. Doch wo im Gehirn diese Temperaturreize verarbeitet werden, war erst in Teilen geklärt. Demnach schienen zwar Kältereize im somatosensorischen Cortex anzukommen, wo aber die Wärmereize bleiben, blieb offen.

Inselrinde
Lage der Inselrinde im menschlichen Gehirn. © Gray’s Anatomy/ historisch

Unerwartete Reaktion in der Inselrinde

Dieses Rätsel haben nun Mikkel Vestergaard und seine Kollegen vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin gelöst. Um die Frage zu klären, ob es im Gehirn einen thermischen Cortex gibt und wo dieser liegen könnte, machten sie sich bei Mäusen auf die Suche. Dafür setzten sie die Vorderpfoten der Tiere auf- oder absteigenden Temperaturen zwischen 10 und 42 Grad aus. Mithilfe verschiedener bildgebender Verfahren analysierten die Forschenden dabei, welcher Teil des Gehirns auf die Veränderungen der Hauttemperatur reagierte.

Das Ergebnis: „Überraschenderweise zeigte sich, dass der somatosensorische Cortex zwar auf Kälte, nicht aber auf Wärme reagiert“, berichten Vestergaard und seine Kollegen. Stattdessen leuchteten die Neuronen in einer anderen Hirnregion auf: in der hinteren Inselrinde. Diese Hirnregion liegt in der Falte oberhalb des Schläfenlappens und wird schon länger mit der Verarbeitung einiger Sinnesreize in Verbindung gebracht, darunter dem subjektiven Schmerzempfinden oder sprachlich-akustischen Denkprozessen.

Thermischer Cortex spiegelt Körperregionen wider

Jetzt zeigt sich, dass offenbar auch das Temperaturempfinden in der hinteren Inselrinde angesiedelt ist. Dies bestätigte sich, als Vestergaard und sein Team dieses Hirnareal bei einigen ihrer Mäuse vorübergehend ausschalteten. „In diesen Fällen haben die Mäuse den Temperaturreiz nicht mehr gefühlt“, berichtet Seniorautor James Poulet. Erst als ihre Inselrinde wieder normal reagieren konnte, empfanden die Mäuse auch wieder Wärme oder Kälte.

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Für die Wissenschaftler ist damit klar: Der lange gesuchte thermische Cortex der Säugetiere und auch des Menschen liegt demnach in der hinteren Inselrinde. „Wir haben dort thermisch sensible Gebiete identifiziert, die wie eine somatotopische Karte organisiert sind: Benachbarte Neuronen kodieren Information von benachbarten Stellen des Körpers“, erklärt das Team. Damit ähnelt diese Anordnung der der anderen Sinneszentren im somatosensorischen Cortex.

Verschiedene Neuronen und Signalwege für Kälte und Wärme

Interessant jedoch: Die Gehirnzellen in diesem thermischen Cortex folgen offenbar einer Arbeitsteilung: „Manche der Neuronen antworten nur auf Kälte, andere nur auf Wärme. Und viele reagieren auf beides“, berichtet Vestergaard. Auch in ihrer Reaktion auf diese Reize zeigen sich auffallende Unterschiede: Die für Wärme zuständigen Neuronen sprechen auf die absolute Temperatur an, während die für Kälte zuständigen Neuronen auch relative Temperaturunterschiede registrieren.

Thermischer Cortex
Kalt- und Warm-Neuronen im thermischen Cortex der Maus. (AC, IAF: auditorische Areale) © Vestergaard et al./ Nature, CC-by 4.0

Wie die Tests außerdem enthüllten, erfolgt die Reaktion auf Kälte schneller und lässt schneller wieder nach. Dabei feuern selbst bei geringer Abkühlung nahezu alle dafür zuständigen Zellen. Anders bei den Wärmereizen: Sie lösen eine verzögerte Reaktion aus, bei der zunächst nur wenige Warmneuronen aktiv werden. Erst bei hohen Temperaturen reagieren dann auch die restlichen Wärmeneuronen.

„Das legt nahe, dass es unterschiedliche Signalwege für die Wahrnehmung von Kälte und Wärme gibt“, sagt Vestergaard. Warm und kalt sind demnach für unser Gehirn nicht einfach nur zwei Extreme derselben Skala, sondern werden offenbar grundlegend anders verarbeitet.

Noch viele Fragen offen

Damit beantworten die neuen Erkenntnisse zwar einige Fragen zu unserem Temperatursinn, werfen aber auch viele neue auf. So ist noch unklar, wie genau die verschiedenen Signalwege von Kalt- und Warmreizen aufgebaut sind. Dafür wollen die Wissenschaftler als nächstes den ganzen Weg der Temperatur von der Haut über das Rückenmark in den Thalamus und schließlich zum Cortex analysieren. „Wir wollen wissen, wo und wie die Informationen zur Temperatur an den unterschiedlichen Stationen repräsentiert sind. Und wie sie sich entlang des Weges verändern“, sagt Poulet.

Offen ist auch die Frage, warum der primäre somatosensorische Cortex auf Kälte, aber nicht auf Wärme reagiert – und warum der thermische Cortex getrennt von diesem Sinnesareal liegt. Eine Vermutung wäre, dass der somatosensorische Cortex eher für die Wahrnehmung komplexer Texturen zuständig ist – zum Beispiel, wenn sich etwas klamm, glatt oder metallisch anfühlt. „Wir brauchen mehr Versuche, um das wirklich zu verstehen. Es ist faszinierend, aber noch recht unklar“, so Poulet. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-05705-5)

Quelle: Nature, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft

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