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Physik

Rätsel um starke Kernkraft

Spin-Präferenz von Mesonen deutet auf unerkannte Effekte der starken Wechselwirkung hin

Spin
Physiker haben Diskrepanzen in der Spinrichtung bestimmter Mesonen beobachtet. Das könnte auf noch unerkannte Effekte der starken Kernkraft hindeuten. © Brookhaven National Laboratory

Unerwartete Diskrepanz: Bei der Kollision von Goldkernen in einem US-Teilchenbeschleuniger haben Physiker eine überraschende Abweichung im Teilchenverhalten entdeckt. Denn die dabei erzeugten Phi-Mesonen, Teilchen aus einem Strange-Quark und einem Strange-Antiquark, zeigten eine signifikante Präferenz für eine bestimmte Spinrichtung. Diese ist jedoch nicht durch konventionelle Mechanismen erklärbar, so die Forschenden in „Nature“. Sie vermuten lokale Fluktuationen der starken Wechselwirkung als Ursache.

Die starke Wechselwirkung ist die vielleicht fundamentalste aller Grundkräfte. Denn sie ist der „Kleber“, der die Quarks in Protonen und Neutronen zusammenhält – den Bausteinen aller Atomkerne. Als Kraftteilchen dienen dabei Gluonen, deren anziehender Effekt anders als bei anderen Kräften mit der Entfernung nicht schwächer wird. Stattdessen steigt die Spannung wie bei einem Gummiband an, bis das Band „reißt“. Dann entsteht durch freiwerdende Energie ein Meson – ein Teilchen aus einem Quark und einem Antiquark.

Teilchenkollision
Kollisionen von Goldkernen im Teilchenbeschleuniger erzeugen ein Quark-Gluon-Plasma, an dem Physiker das Verhalten der starken Wechselwirkung erforschen.© Brookhaven National Laboratory

Doch auch wenn diese Grundlagen der starken Wechselwirkung schon länger bekannt sind: In vielen Details gibt diese Grundkraft noch immer Rätsel auf. So verhalten sich Protonen bei Elektronenbeschuss anders, als sie es nach dem gängigen Modell dürften. Zudem gibt es in ihrem Inneren eine nicht erklärbare Asymmetrie bei den kurzlebigen Antiquarks. Und unter extremem Druck scheint die starke Kernkraft in Neutronen sogar abstoßend statt anziehend zu wirken.

Goldkerne, Quark-Gluon-Plasma und der Spin

Eine weitere Überraschung haben jetzt Physiker der STAR-Kollaboration am Brookhaven National Laboratory in den USA entdeckt. Dort werden im Relativistic Heavy Ion Collider (RHIC) schwere Goldkerne auf 99,9 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und zur Kollision gebracht. Dabei werden Quarks und Gluonen für winzige Sekundenbruchteile aus ihrer Bindung befreit und bilden ein Quark-Gluon-Plasma. Dieses setzt unter anderem Mesonen frei, deren Verhalten Aufschluss über die Effekte der starken Kernkraft geben können.

Im aktuellen Experiment nutzten die Physiker leicht exzentrische Kollisionen der Goldkerne, um das Quark-Gluon-Plasma in rotierende Bewegung zu versetzen. Dies beeinflusst den Spin der dabei entstehenden Mesonen auf definierte, von der starken Kernkraft geprägte Weise. Demnach müssten Phi-Mesonen aus einem Strange-Quark und einem Strange-Antiquark alle drei ihnen mögliche Spinrichtungen in gleichen Anteilen aufweisen. Gleiches gilt für K*0-Mesonen aus einem Down-Quark und einem Strange-Antiquark.

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Signifkante Abweichung beim Phi-Meson

Für das K*0-Meson bestätigten die Daten aus dem Teilchenbeschleuniger dies auch – nicht aber für das Phi-Meson. Bei diesem zeigte sich eine deutliche Abweichung von der Drittel-Aufteilung der drei Spinrichtungen, die Signifikanz dieser Anomalie lag bei 7,4 Sigma. „Irgendwie scheint die Natur beschlossen zu haben, dass die Phi-Mesonen einen der Spinzustände bevorzugen“, berichtet Xu Sun, einer der Forscher der STAR-Kollaboration.

TEilchenspuren
Phi-Mesonen zerfallen in positive und negative Kaonen (K+, K-). Ihr Anteil und ihre Flugbahnen geben Aufschluss über die Spinrichtung des Phi-Mesons. © Brookhaven National Laboratory

Dieses Ungleichgewicht in den Spinrichtungen des Phi-Mesons widerspricht allen gängigen Modellen und Mechanismen. Auch äußere Einflüsse durch elektrische oder magnetische Felder können diese Abweichungen nicht erklären, wie die Physiker erklären. Unter anderem deshalb haben sie ihre Resultate mehrfach überprüft und auf mögliche Fehlerquellen hin analysiert. „Aber unsere Ergebnisse hielten dieser Überprüfung stand, die Zahlen wollen einfach nicht passen“, sagt Aihong Tang vom Brookhaven National Laboratory.

Fluktuationen der starken Kernkraft als Ursache?

Doch was ist der Grund? Das Physikerteam vermutet die Erklärung bei der starken Wechselwirkung: „Es könnte sein, dass Fluktuationen der starken Kernkraft der fehlende Faktor sind“, sagt Tang. Dies könnte auch erklären, warum die Abweichungen nur bei den Phi-Mesonen, nicht aber bei den K*0-Mesonen aufgetreten sind. Weil im Phi-Meson zwei Strange-Quarks enthalten sind – ein normales und ein Antiquark – reagieren sie auf diese Fluktuationen ähnlich. Dies verstärkt deren Effekt so stark, dass dies ihre Spinrichtung beeinflusst.

Bei den K*0-Mesonen gehören ihr Quark und Antiquark zu unterschiedlichen Familien – sie enthalten ein Down-Quark und ein Strange-Antiquark. „Bei dieser Mischung geht der Einfluss der starken Kernkraft in verschiedenen Richtungen. Daher zeigt sich keine so deutliche Abweichung wie beim Phi-Meson“, erklärt Koautor Xin-Nian Wang vom Lawrence Berkeley National Laboratory.

Überprüfung an weiteren Mesonen geplant

Sollte diese Erklärung zutreffen, dann müsste sich dieser Effekt auch bei anderen Mesonen aus gleichen Quarksorten zeigen. Die Physiker der STAR-Kollaboration planen deshalb, dies noch in diesem Jahr an J/Psi-Mesonen (Psionen) zu überprüfen. Diese Teilchen bestehen aus einem Charm-Quark und einem Charm-Antiquark und müssten daher ebenfalls eine messbare Abweichung von der Drittelverteilung der Spinrichtungen aufweisen.

„Diese Messungen liefern uns eine Möglichkeit, einzuschätzen, wie stark die lokalen Fluktuationen der starken Kernkraft sind“, erklärt Tang. „Damit eröffnen sie uns einen Weg, um die starke Wechselwirkung aus einer neuen Perspektive zu erforschen.“ (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-022-05557-5)

Quelle: DOE/ Brookhaven National Laboratory

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