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Physik

Paradox: Erwärmen macht Quantenfluid fest

Ultrakalte Atome zeigen überraschenden Wandel vom Suprafluid zum Suprafestkörper

Quantenfluid und Suprafestkörper
Verkehrte Welt: Wird eine Quantenflüssigkeit erwärmt, können kristalline Strukturen entstehen. © Aarhus University

Verkehrte Welt: Ultrakalte Dysprosium-Atome stellen die gängige Physik auf den Kopf. Denn dieses Quantenfluid wird beim Erwärmen nicht etwa gasförmig, sondern fest – es wandelt sich zu einem exotischen Suprafeststoff, wie Forschende entdeckt haben. Dieses Phänomen kehrt den normalen Phasenübergang um und scheint physikalischen Gesetzen zu widersprechen. Doch nähere Analysen enthüllten, warum dies trotzdem möglich und zulässig ist.

Aggregatzustände sind ein alltägliches Phänomen: Je nach Temperatur und Druck ist ein Material dabei fest, flüssig, gasförmig oder ein Plasma. Die Zufuhr von Energie verstärkt dabei die Teilchenbewegungen, bis erst die Kristallstruktur, dann lose Bindungen zerfallen und schließlich sogar Atome ihre Elektronenhüllen verlieren. Doch es gibt Bedingungen und Materialien, die noch exotischere Zustände hervorbringen. Dazu gehören nahezu reibungslose Suprafluide oder das bei ultrakalten Atomen vorkommende Bose-Einstein-Kondensat.

Fest und flüssig zugleich

Ein weiterer, erst 2019 nachgewiesener Exot unter den Materiezuständen ist der Suprafestkörper. In diesem bilden ultrakalte Atome ein Kristallgitter, zeigen aber gleichzeitig suprafluide Merkmale. Gängiger Annahme nach tritt dieser suprafeste Zustand ein, wenn eine Atomwolke in eine bestimmte Form gebracht und fast bis auf den absoluten Nullpunkt heruntergekühlt wird. Dann entsteht der Suprafestkörper als eine Art Sonderfall eines Bose-Einstein-Kondensats.

„Man würde daher erwarten, dass die geringstmöglichen Temperaturen die optimalen Bedingungen für die Suprasolidität darstellen: Sie bewirken einen hohen Grad der Phasen-Kohärenz und eine maximale Dichte des Bose-Einstein-Kondensats“, erklären Juan Sánchez-Baena von der Universität Aarhus und seine Kollegen. Anders ausgedrückt: Wenn man ein Quantengas immer weiter abkühlt, müsste es eigentlich erst suprafluid und dann suprafest werden – ähnlich wie bei den klassischen Aggregatzuständen.

Erwärmen macht Fluid zum Suprafestkörper

Um diesen Phasenübergang im Experiment nachzuvollziehen, nutzten die Wissenschaftler ein dipolares Quantengas aus Dysprosium-Atomen. In ihm sorgen magnetische Eigenschaften der Atome dafür, dass sie sich in einem Magnetfeld ausrichten – wie winzige Kompassnadeln. Dadurch lassen sich Dichte und Form der Wolke gezielt manipulieren. Wird dieses Quantengas stark abgekühlt, wird es suprafluid.

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Doch als die Forschenden dieses Suprafluid langsam wieder erwärmten, geschah Überraschendes: „Das Erwärmen des dipolaren Suprafluids von fast Nullpunktstemperaturen bewirkt einen Phasenübergang zum suprafesten Zustand“, berichten Sánchez-Baena und seine Kollegen. Statt die Kohärenz in diesem System zu zerstören, führt die Energiezufuhr dazu, dass ein Teil der Atome eine Art Gitter bilden, in dem sich der Rest als supraflüssiges Fluid bewegt.

Phasendiagramm
Phasendiagramm: Bei steigender Temperatur wird die suprafluide Dysprosium-Atomwolke teilweise fest – sie wandelt sich zum Suprafestkörper. Nc/1000 beschreibt die Teilchendichte.© Sánchez-Baena et al./ Nature Communications, CC-by 4.0

Wie kommt das ungewöhnliche Verhalten zustande?

Dieses Phänomen stellt die aus der Alltagsphysik gängigen Phasenübergänge auf den Kopf: Die Quantenflüssigkeit verliert beim Erwärmen nicht ihren Zusammenhalt, sondern wandelt sich zu einer Art Quantenkristall. Um zu verstehen, wie dieses auf den ersten Blick paradoxe Verhalten zustande kommt, rekonstruierten die Forschenden das Geschehen in einem theoretischen Modell.

„Das überraschende, unserer Alltagswahrnehmung widersprechende Verhalten ergibt sich aus der anisotropen Natur der Dipol-Dipol-Wechselwirkung der stark magnetischen Dysprosiumatome“, erklärt Koautorin Francesca Ferlaino von der Universität Innsbruck. Dadurch erzeugen die beim Erwärmen auftretenden thermischen Fluktuationen periodische Schwankungen in der Dichte der Atomwolke – und dies begünstigt ihren Übergang in den suprafesten Zustand.

Wie die Physiker erklären, sind diese Ergebnisse ein wichtiger Schritt zum besseren Verständnis der exotischen und bisher wenig erforschten Suprafestkörper. „Mit der neuen Beschreibung verfügen wir erstmals über ein Phasendiagramm, das die Entstehung suprafester Zustände in Abhängigkeit von der Temperatur zeigt“, sagt Ferlaino. (Nature Communications, 2023; doi: 10.1038/s41467-023-37207-3)

Quelle: Universität Innsbruck

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