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Medizin

Beim Übergewicht gibt es zwei Subtypen

Fundamentale Unterschiede bei Adipositas trotz gleichem Body-Mass-Index

Adipositas
Adipositas kann viele Gründe haben, die biologischen Mechanismen dahinter sind aber kaum bekannt. © lakshmiprasad S/ Getty images

Nur äußerlich ähnlich: Forschende haben beim Menschen zwei grundlegend verschiedene Unterformen der Adipositas entdeckt. Bei gleichem Body-Mass-Index (BMI) unterscheiden sich diese Subtypen in ihrer Muskelmasse, dem Fett- und Zuckerstoffwechsel und in Entzündungsprozessen. Ursache dieser Unterschiede ist offenbar die Aktivität eines Gens, das die Anlagerung von epigenetischen Blockaden am Erbgut reguliert, wie das Team in „Nature Metabolism“ berichtet. Das Wissen um diese Subtypen könnte die Therapie von Adipositas verbessern helfen.

Starkes Übergewicht ist ein Gesundheitsproblem: Wer unter Adipositas leidet, hat ein deutlich erhöhtes Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einige Krebsarten. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass Fettleibigkeit auf Dauer auch dem Gehirn schadet und das Demenzrisiko erhöht. Das Problem ist jedoch, dass normale Diäten oft nur bedingt wirken und die biologischen Ursachen für starkes Übergewicht bisher erst in Teilen geklärt sind. Das macht es schwer, gezielte Therapien für Betroffenen zu entwickeln.

Mehr als nur der Body-Mass-Index

„Fast zwei Milliarden Menschen weltweit gelten als übergewichtig und mehr als 600 Millionen sind von Adipositas betroffen“, sagt Seniorautor J. Andrew Pospisilik vom Van Andel Institute in Michigan. „Aber trotzdem haben wir bisher keine Parameter, um Betroffene anhand der dahinterstehenden Ursachen zu klassifizieren.“ Als Diagnosekriterium gilt meist nur der Body-Mass-Index (BMI), der das Verhältnis von Körpergröße zu Gewicht angibt. Ab einem Wert von 25 gilt man als übergewichtig, ab 30 als adipös. Doch diese Einteilung verrät nicht, ob es möglicherweise dahinterstehende biologische Unterschiede gibt.

Auf der Suche nach unterscheidbaren Subtypen der Adipositas und ihren Ursachen haben Pospisilik und sein Team zunächst Daten einer britischen Zwillingsstudie ausgewertet und nach Zwillingspaaren gesucht, deren Körperfettanteil und Körpergewicht sich stärker unterscheiden, als infolge der Umweltbedingungen, Lebensweise und Genetik zu erwarten wäre. Die Wissenschaftler bezeichnen solche Unterschiede als unerklärte phänotypische Variation (UPV).

Zwei klar abgrenzbare Untertypen

Tatsächlich wurden sie fündig: Bei den Zwillingspaaren mit einem schlanken und einem „unerklärlich“ dickeren Zwilling ließen sich zwei Typen unterscheiden. Beim Untertyp A hatte der übergewichtigere Zwilling einen erhöhten Fettanteil, aber weniger „Restmasse“. Beim Untertyp B waren hingegen sowohl Fettmasse als auch fettfreie Körpermasse erhöht. Diese Unterschiede zeigten sich trotz des bei eineiigen Zwillingen identischen Genoms. „Diese beiden Typen waren klar trennbar und repräsentieren eine nicht-genetische Variation“, erklärt das Team.

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Nähere Analysen enthüllten, dass diese beiden Subtypen der Adipositas auch mit physiologischen Unterschieden verknüpft sind: Übergewichtige des Typs B haben im Schnitt höhere Insulinspiegel im Blutplasma und auch die insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse funktionieren etwas anders. Gleichzeitig sind bei diesem Subtyp Gene aktiver, die Entzündungen fördern und immunologische Prozesse hochregulieren. Gene für den Fett- und Glucose-Stoffwechsel sind dagegen weniger aktiv. Bei Subtyp A waren diese Veränderungen nicht feststellbar, wie die Forschenden berichten.

Epigenetische „Programmierung“ schon im Kindesalter

„Damit sehen wir zum ersten Mal, dass es mindesten zwei verschiedenen metabolische Subtypen der Adipositas gibt, jede mit ihren eigenen physiologischen und molekularen Merkmalen“, sagt Pospisilik. Diese beiden Unterarten des starken Übergewichts waren nicht nur in der Zwillingsstudie nachweisbar, sondern auch in ergänzenden Untersuchungen an einer breiteren Spanne von Testpersonen, einschließlich Kindern.

Was aber steckt dahinter? Um das herauszufinden, untersuchte das Forschungsteam das Muster der epigenetischen Anlagerungen am Erbgut von Testpersonen beider Untertypen. Diese Anlagerungen beeinflussen, welche Gene für das Ablesen zugänglich sind und damit auch die Genaktivität. Tatsächlich zeigten sich deutliche Unterschiede im Epigenom des Fettgewebes: Übergewichtige des Subtyps A hatten dort mehr DNA-Anlagerungen als üblich, beim Subtyp B waren es hingegen weniger als normal. „Zwischen beiden Typen gab es fast keine Überschneidungen, was dafür spricht, dass sie wirklich fundamental verschieden sind“, berichten die Forschenden.

Weitere Untersuchungen mit menschlichen Gewebeproben und Mäusen legten nahe, dass die Aktivität eines bestimmten Gens entscheidend dafür ist, welches epigenetische Muster ein Mensch ausprägt – und dass diese „Programmierung“ schon in der frühen Kindheit nachweisbar ist.

Ansatzpunkt für gezieltere Therapien

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es zwei grundsätzlich verschiedene Subtypen des metabolischen Syndroms und speziell der Adipositas gibt“, konstatieren Pospisilik und sein Team. Das Wissen um diese beiden Subtypen könnte dabei helfen, gezieltere Therapien für die Betroffenen zu entwickeln – beispielsweise in Form von Wirkstoffen, die an den epigenetischen Veränderungen und ihren Folgen ansetzen.

Gleichzeitig geben die neuen Erkenntnisse auch wertvolle Einblicke in die biologischen Grundlagen der Adipositas und in die Frage, warum manche Menschen schon von Kindheit an zu Übergewicht neigen. (Nature Metabolism, 2022; doi: 10.1038/s42255-022-00629-2)

Quelle: Van Andel Research Institute

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